Wie ist die Typisierung von Leistungen mit dem Wunsch- und Wahlrecht vereinbar?
Antwort:Kooperativ-dialogisches Verfahren in der Leistungsfeststellung
Gemäß § 104 SGB IX n.F. bestimmen sich die Leistungen der Eingliederungshilfe nach der Besonderheit des Einzelfalls. Dementsprechend ist von Fall zu Fall zu prüfen, ob die gewünschte(n) Leistung(en) rechtlich gedeckt sind. In diesem Zusammenhang ist „auch die Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse sowie des Sozialraums einzubeziehen.“ (BT-Drs. 18/9522: 279)
Soweit sie angemessen sind, ist den Wünschen der Leistungsberechtigte zu entsprechen (§ 104 Abs. 2 SGB IX n.F.). Die Hürden, die Angemessenheit der gewünschten Leistung abzuerkennen, hat der Gesetzgeber hoch angesetzt.
Gleichzeitig benötigt eine Öffentliche Verwaltung Eingangstore, in denen leistungsberechtigte Menschen „ganzheitlich“ betrachtet werden und nicht nur unter dem Aspekt der jeweiligen „Parzelle“. Ein Mensch, der ausschließlich auf dem Hintergrund seiner „Behinderung“ betrachtet wird – ICF basiert und Strichlisten-diagnostiziert – wird reduziert auf seine „Behinderung“ und erhält somit eine Leistung, die sich nur auf dieses Segment bezieht und damit ihre Wirkungen in einem hochkomplexen, integrierten Alltag nur rudimentär entfalten kann.
Insofern muss der Leistungsträger in der Phase der Leistungsfeststellung – idealerweise in enger Kooperation mit dem leistungsberechtigten Menschen und dessen Vertrauensperson (ggf. ein Leistungserbringer) – für ein kooperativ-dialogisches Verfahren stehen, das über leistungsgesetzliche Einengungen hinausreicht und den einzelnen Menschen mit seinen individuellen Eigenarten und sozialräumlichen Bezügen möglichst ganzheitlich in den Blick nimmt. Insofern ist die Typisierung von Leistungen nur in solchen Systemen notwendig (und ich fürchte, in den meisten Bundesländern werden solche Systeme geradezu gepflegt), in denen auf der Grundlage kleinteiliger Leistungs- und Entgeltvereinbarungen Hilfebedarfsgruppen zum Zwecke einer den Leistungsträger beruhigenden Abrechenbarkeit die Grundlage für die Leistungsgewährung sind. Nimmt man den Geist des Wunsch- und Wahlrechts ernst, muss man sich auf ein kooperativ-dialogisches Verfahren einlassen, wie ich es oben beschrieben habe. Derzeit jedoch bestimmt das vorhandene Angebot die individuelle Leistung, versäulte Angebote dominieren die Landschaft, und es gibt noch wenig finanzielle Anreize für diejenigen Leistungserbringer, die eingefahrene Pfade verlassen wollen und bereit sind, auf der Grundlage eines konsequenten Verständnisses von Inklusion Leistungen zu flexibilisieren, kreative Kombinationen von ambulanten und stationären Leistungen zu erproben und vorgefertigte Spezialisierungen abzubauen zugunsten integriert erbrachter Leistungen.
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