Gesamt- und Teilhabeplanverfahren

Paradigmenwechsel

Bedarfsermittlung, Gesamtplan- und Teilhabeplanverfahren nach dem BTHG

Mit dem BTHG hat der Bundesgesetzgeber im SGB IX festgelegt, wie ein personenzentriertes Verfahren zur Ermittlung und Feststellung des individuellen Bedarfs sowie zur Steuerung, Dokumentation und Wirkungskontrolle des Teilhabeprozesses ablaufen soll. Personenzentriert bedeutet, dass der Mensch mit Behinderungen im Mittelpunkt des Verfahrens steht und in alle Verfahrensschritte einbezogen wird.

Was erfahre ich hier?

Was ändert das BTHG bei der Ermittlung des Rehabilitationsbedarfs durch die Eingliederungshilfe?

Stellt ein Mensch einen Antrag auf Rehabilitationsleistungen, ist die Ermittlung seines individuellen Bedarfs der nächste Schritt. Mit dem BTHG hat der Bundesgesetzgeber festgelegt, dass der Träger der Eingliederungshilfe dafür ein Instrument nutzt, das sich an der ICF der Weltgesundheitsorganisation orientiert.

ICF steht für Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. Sie definiert neun Lebensbereiche:

  • Lernen und Wissensanwendung,
  • Allgemeine Aufgaben und Anforderungen,
  • Kommunikation,
  • Mobilität,
  • Selbstversorgung,
  • häusliches Leben,
  • interpersonelle Interaktionen und Beziehungen,
  • bedeutende Lebensbereiche und
  • Gemeinschafts-, soziales und staatsbürgerliches Leben.

Die ICF betrachtet für jeden dieser Bereiche, wie genau die Aktivität und Teilhabe eines Menschen mit Behinderungen beeinträchtigt werden – immer unter Beachtung seines gesamten Lebenshintergrunds. Daraus ergibt sich der Bedarf an Leistungen, die für diesen Menschen Teilhabe und selbstbestimmte Lebensführung ermöglichen.

Die ICF ist die Grundlage dafür, wie im BTHG Behinderung verstanden wird: Eine Behinderung wird nicht mehr als Eigenschaft oder Defizit einer Person verstanden. Was ihre gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft einschränkt, sind vielmehr einstellungs- und umweltbedingte Barrieren. Diese individuellen Barrieren gilt es abzubauen.

 

ICF-orientierte Bedarfsermittlungsinstrumente

Identifiziert werden diese Barrieren im Rahmen der personenzentrierten Bedarfsermittlung. Dafür haben die Bundesländer ICF-orientierte Bedarfsermittlungsinstrumente (z.B. Fragebögen, Checklisten, Leitfäden) entwickelt oder bestehende Instrumente an die Regelungen des BTHG angepasst.

Der Träger der Eingliederungshilfe ermittelt im Bedarfsermittlungsgespräch mit der leistungsberechtigten Person ihre Wünsche und Ziele. Mit dem Bedarfsermittlungsinstrument bildet der Leistungsträger die individuelle Situation des Menschen mit Behinderungen strukturiert in den neun Lebensbereichen der ICF ab. Mit Unterstützung der Fachkraft formuliert die leistungsberechtigte Person personenzentrierte Leitziele. Diese können mehrere Lebensbereiche betreffen und sind der Ausgangspunkt für die Gesamtplanung.

Herausforderungen in der Umsetzung der Bedarfsermittlung

  • Neues Rollenverständnis: Die Bedarfsermittlung soll durch den Leistungsträger erfolgen. Die Leistungserbringer sind nicht mehr regelmäßig eingebunden.
  • Einheitliche Anwendung der Bedarfsermittlungsinstrumente: Innerhalb eines Bundeslandes müssen die Träger der Eingliederungshilfe ein gemeinsames Verständnis davon entwickeln, wie das neue Instrument angewendet wird, und dieses Verständnis in die Praxis umsetzen.
  • Kommunikationswege: Die Träger der Eingliederungshilfe müssen Wege finden, die Bedarfsermittlungsinstrumente auch bei Menschen mit kommunikativen Einschränkungen oder Schwerstmehrfachbehinderungen anzuwenden, um ihren Bedarf personenzentriert zu ermitteln.
  • Hoher Zeitaufwand und Systematisierung der Erkenntnisse: Der voraussichtliche Zeitumfang für die Bedarfsermittlung ist bereits hoch und wird durch umfangreiche Instrumente noch erhöht. Zudem stehen die Mitarbeitenden der Träger der Eingliederungshilfe vor der inhaltlichen Herausforderung, den individuellen Bedarf als konkrete Ziele zu formulieren und diese in konkrete Leistungen des SGB IX zu übersetzen.

Was passiert bei der Gesamtplanung durch den Träger der Eingliederungshilfe?

Das Bild ist eine Illustration in Schwarz-Weiß mit einzelnen in Farbe hervorgehobenen Elementen. Die Illustration zeigt die Maschen eines Schals, der von einer Person gestrickt wird.

© Anke Seeliger

Die Gesamtplanung ist das neue Verwaltungsverfahren in der Eingliederungshilfe. Sie wird vom Träger der Eingliederungshilfe auf Antrag immer dann durchgeführt, wenn für einen Menschen mit Behinderungen Eingliederungshilfeleistungen in Betracht kommen.

Das Verfahren der Gesamtplanung dient der Planung, Steuerung, Dokumentation und Wirkungskontrolle des Teilhabeprozesses. Mit dem BTHG hat der Bundesgesetzgeber die rechtlichen Rahmenbedingungen des Verfahrens verändert. Der Mensch mit Behinderungen steht im Mittelpunkt (Personenzentrierung). Er wird in alle Verfahrensschritte einbezogen, um verbesserte Teilhabe und Selbstbestimmung im Sinne der UN-BRK zu erreichen. Ziel des Verfahrens ist es, "maßgeschneiderte", passgenaue Leistungen für die leistungsberechtigte Person zusammenzustellen.

 

Wie läuft das Gesamtplanverfahren ab?

Der Mensch mit Behinderungen wird zunächst vom Träger der Eingliederungshilfe umfassend beraten. Im Anschluss an die Beratung stellt der Leistungsberechtigte einen Antrag auf Eingliederungshilfe. Der Träger prüft dann, ob der Mensch mit Behinderungen leistungsberechtigt ist. Ist dies der Fall, ermittelt der Träger der Eingliederungshilfe mit dem Bedarfsermittlungsinstrument den Teilhabebedarf der leistungsberechtigten Person. Stimmt diese zu, werden gegebenenfalls die jeweils zuständige Pflegekasse und/oder der Träger der Hilfe zur Pflege sowie der Hilfe zum Lebensunterhalt beteiligt. Außerdem kann die leistungsberechtigte Person eine Person ihres Vertrauens im Gesamtplanverfahren hinzuziehen. Diese Person des Vertrauens kann auch die/der Betreuer/in sein. Die/Der Betreuer/in kann aber auch zusätzlich zur Person des Vertrauens am Gesamtplanverfahren teilnehmen.

Zur Sicherstellung der Leistungen für den Menschen mit Behinderungen kann der Träger der Eingliederungshilfe eine Gesamtplankonferenz durchführen. Voraussetzung dafür ist, dass die leistungsberechtigte Person zustimmt. In einer Gesamtplankonferenz beraten der Träger der Eingliederungshilfe und andere beteiligte Leistungsträger gemeinsam mit der leistungsberechtigten Person über die Unterstützungsbedarfe und die notwendigen Leistungen. Hier kann auch darüber beraten werden, wieviel Barmittel die leistungsberechtigte Person vom Regelsatz zur Verfügung hat. Auf dieser Grundlage stimmt der Träger der Eingliederungshilfe die Leistungen ab, erstellt den Gesamtplan und erlässt – sofern der Träger der Eingliederungshilfe zuständig ist – den Verwaltungsakt.

Das Gesamtplanverfahren wird nur vom Träger der Eingliederungshilfe durchgeführt. Sofern Leistungen verschiedener Leistungsgruppen oder mehrerer Reha-Träger erforderlich sind oder es die leistungsberechtigte Person wünscht, wird ein Teilhabeplanverfahren durchgeführt.

 

Was genau ist der Gesamtplan?

Der Gesamtplan steuert und dokumentiert den Teilhabeprozess und kontrolliert dessen Wirkung. Er wird in schriftlicher Form festgehalten und soll regelmäßig, spätestens nach zwei Jahren überprüft und fortgeschrieben werden. Um zu überprüfen, ob die Teilhabeziele mit den bewilligten Leistungen erreicht werden, können der Träger der Eingliederungshilfe und die leistungsberechtigte Person außerdem zu Teilen des Gesamtplans eine Teilhabezielvereinbarung abschließen.

Außerdem kann die leistungsberechtigte Person eine Person ihres Vertrauens im Gesamtplanverfahren hinzuziehen. Diese Person des Vertrauens kann auch die/der Betreuer/in sein. Die/Der Betreuer/in kann aber auch zusätzlich zur Person des Vertrauens am Gesamtplanverfahren teilnehmen.

Herausforderungen in der Umsetzung der Gesamtplanung

  • Beteiligung der leistungsberechtigten Personen: Im Gesamtplanverfahren hat der Träger der Eingliederungshilfe u.a. die Aufgabe, die leistungsberechtigte Person in alle Verfahrensschritte einzubinden, um die Personenzentrierung umzusetzen.
  • Wirkungskontrolle: Da der Gesamtplan u.a. der Wirkungskontrolle des Teilhabeprozesses dient, sind Art, Umfang und Datengewinnung für die Wirkungskontrolle der Leistungen festzulegen.
  • Übersetzung der Ziele aus der Bedarfsermittlung in konkrete Leistungen des SGB IX: Die Mitarbeitenden der Träger der Eingliederungshilfe stehen vor der inhaltlichen Herausforderung, den individuellen Bedarf als konkrete Ziele zu formulieren und diese in konkrete Leistungen des SGB IX zu übersetzen.
  • Unzureichende Angebotslandschaft: Ergibt sich aus der Bedarfsermittlung ein Spannungsfeld zwischen dem individuell ermittelten Bedarf, den Zielen und Leistungen und dem tatsächlich vorhandenen Leistungsangebot, muss die Angebotslandschaft vor Ort entsprechend weiterentwickelt werden.

Was passiert beim Teilhabeplanverfahren?

Das Bild ist eine Illustration in Gelb, Blau und Pink mit einzelnen in Farbe hervorgehobenen Elementen. Die Illustration zeigt eine Person, die einen gestrickten Schal um den Hals trägt. Der Schal ist in verschiedene farbliche Segmente unterteilt, die für verschiedene Anteile stehen.

© Anke Seeliger

Die Eingliederungshilfe hat im gegliederten Sozialleistungsystem eine Auffangfunktion. Diese ergibt sich aus dem Nachrangprinzip (§ 91 SGB IX). Viele Teilhabeleistungen werden vorrangig durch andere Rehabilitationsträger, kurz Reha-Träger, erbracht. Welcher Reha-Träger für welche Leistung zuständig ist, hängt von unterschiedlichen Voraussetzungen ab. Damit Menschen mit Behinderungen keine Nachteile aus unserem gegliederten Sozialleistungsysstem entstehen, ist 2018 das neue Teilhabeplanverfahren in Kraft getreten.

Das Teilhabeplanverfahren gilt als verbindliches, partizipatives Verfahren für alle Reha-Träger. Es soll Menschen mit Behinderungen ermöglichen, mit nur einem Antrag Leistungen „wie aus einer Hand“ zu erhalten. Das BTHG hat die Vorschriften zur Koordination und Kooperation der Reha-Träger geschärft und besondere Regelungen zur Kostenerstattung eingeführt.

Ein Teilhabeplanverfahren wird durchgeführt

  • wenn Leistungen mehrerer Reha-Träger erforderlich sind.
  • wenn Leistungen verschiedener Leistungsgruppen erforderlich sind.
  • wenn Anlass zu der Annahme besteht, dass Leistungen mehrerer Reha-Träger oder aus mehreren Leistungsgruppen erforderlich werden.
  • wenn der Leistungsberechtigte dies wünscht, obwohl keine Leistungen verschiedener Leistungsgruppen oder mehrerer Reha-Träger erforderlich sind.

Das Teilhabeplanverfahren ist Teil des Reha-Prozesses. Dieser besteht aus folgenden Schritten:

  • Bedarfserkennung
  • Zuständigkeitsklärung
  • Bedarfsermittlung und Bedarfsfeststellung
  • Teilhabeplanung
  • Leistungsentscheidung
  • Durchführung von Leistungen zur Teilhabe
  • Aktivitäten zum bzw. nach Ende einer Leistung zur Teilhabe

Im zweiten Schritt des Reha-Prozesses, der Zuständigkeitsklärung, wird geklärt, welcher Rehabilitationsträger leistender Reha-Träger wird und das Teilhabeplanverfahren einleitet, durchführt, wenn nötig weitere Reha-Träger beteiligt und die Leistungen dokumentiert. Ist der Reha-Träger, bei dem ein Mensch mit Behinderungen seinen Antrag gestellt hat, für einen Teil der beantragten Leistungen zuständig, ist er leistender Reha-Träger. Ist dies nicht der Fall, gibt es feste, kurze Fristen, in denen der Antrag der leistungsberechtigten Person geprüft und weitergeleitet werden muss. Ziel ist es, dass die leistungsberechtigte Person in möglichst kurzer Zeit eine Ansprechstelle hat, die sie durch das Verfahren führt. Wird der Träger der Eingliederungshilfe vom leistenden Reha -Träger hinzugezogen, führt dieser immer das Gesamtplanverfahren durch. Das Gesamtplanverfahren wird dann mit dem Teilhabeplanverfahren verbunden.

Herausforderungen in der Umsetzung des Teilhabeplanverfahrens

  • Fortbildungsbedarf: Kenntnisse über Leistungsvoraussetzungen und Leistungsspektrum der jeweils anderen Reha-Träger müssen bei den Mitarbeitenden aufgebaut werden.
  • Entwicklung interner Strukturen: Zur Koordinierung der Leistungen zwischen den Reha-Trägern ist für ein Fristenmanagement Sorge zu tragen.
  • Grundlage für die Zusammenarbeit: Reha-Träger, Leistungserbringer und Selbsthilfe müssen ein gemeinsames Verständnis vom neuen Verfahren entwickeln. Die unter dem Dach der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e.V. (BAR) organisierten Reha-Träger haben dazu die „Gemeinsame Empfehlung Reha-Prozess“ entwickelt, der sich andere Reha-Träger anschließen können.
  • Mitwirkungspflichten: Durch die vorgesehenen Zustimmungsrechte und Mitwirkungsverpflichtungen leistungsberechtigter Personen gestalten Menschen mit Behinderungen das Verfahren in größerem Maße als bisher mit.

BTHG-Kompass

Mehr zur Bedarfsermittlung

Viele Antworten auf Fragen aus der Praxis zur Bedarfsermittlung finden Sie im BTHG-Kompass.

BTHG-Kompass

Mehr zum Gesamtplanverfahren

Viele Antworten auf Fragen aus der Praxis zum Gesamtplanverfahren finden Sie im BTHG-Kompass.

BTHG-Kompass

Mehr zum Teilhabeplanverfahren

Viele Antworten auf Fragen aus der Praxis zum Teilhabeplanverfahren finden Sie im BTHG-Kompass.

Mitschnitte

Gesamt- und Teilhabeplanverfahren nach dem BTHG

Hier finden Sie Mitschnitte der digitalen Veranstaltungen zu den Änderungen des BTHG im Hinblick auf das Gesamtplanverfahren der Eingliederungshilfe sowie das Teilhabeplanverfahren für die Koordination der Reha-Träger untereinander.

Links und Materialien Bedarfsermittlung und ICF-Orientierung

Links und Materialien Gesamtplanung

Links und Materialien Teilhabeplanverfahren

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