2024 – sieben Jahre nach der ersten Reformstufe des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) ist es Zeit, Bilanz zu ziehen. Welche Erfolge wurden in der Umsetzung des BTHG bisher erzielt? Welche Hemmnisse zur Umsetzung der trägerübergreifenden Zusammenarbeit existieren? Was sind die größten aktuellen Herausforderungen bei der weiteren Realisierung des BTHG?
Diese drei Fragen beantworten hier monatlich wechselnde Vertreterinnen und Vertreter aus Bund, Ländern, Kommunen, Wohlfahrts- und Fachverbänden, Interessensvertretungen sowie der Politik. Durch ihre einzigartige Perspektive und wertvollen Erfahrungen aus der Praxis und Wissenschaft geben die Interviewten wertvolle Einblicke in die Umsetzung des BTHG.
Welche Erfolge konnten aus Ihrer Sicht in der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes bisher erzielt werden? Von welchen Änderungen profitieren Menschen mit Behinderungen am meisten?
Systemisch betrachtet ist es ein Erfolg, dass die Eingliederungshilfe nun ein eigenes Leistungsrecht ist und nicht mehr in der Sozialhilfe aufgeht. Davon profitieren viele Leistungsberechtigte, u. a. durch neue Möglichkeiten zur selbstbestimmten Lebensführung, wie dem Budget für Arbeit oder Leistungen zur Teilhabe an Bildung. Außerdem eröffnen sich für einige Menschen mit Behinderungen durch die neuen Einkommens- und Vermögensfreigrenzen sowie den neuen Schonbetrag für Barvermögen neue finanzielle Spielräume. Als AWO begrüßen wir die Stärkung der Werkstatträte ausdrücklich, sowie den Aufbau ihrer Interessensvertretung auf Bundes- und Länderebene.
Mit dem Bundesteilhabegesetz sollen Leistungen wie aus einer Hand ermöglicht werden. Welche Hemmnisse zur Umsetzung der trägerübergreifenden Zusammenarbeit sehen Sie? Welche Handlungsansätze könnten diese Hemmnisse überwinden?
Das SGB IX schafft die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die trägerübergreifende Zusammenarbeit. Ein Grundhemmnis für Leistungen „wie aus einer Hand“ ist es, dass viele Teilhabe- und Gesamtplankonferenzen bis dato noch nicht durchgeführt werden oder sehr lange dauern. Wir denken, dass eine gesetzliche Verpflichtung zur Zusammenarbeit sowie die Entwicklung transparenter und vergleichbarer Antragsverfahren hilfreich wären. Unsere Träger wünschen sich auch, einen besseren Überblick über lokale, regionale und bundesweite Teilhabeangebote und Leistungsanbieter zu bekommen. Das könnte nicht nur die Zusammenarbeit, sondern auch die Netzwerkarbeit erleichtern.
Was sind darüber hinaus Ihrer Ansicht nach die größten aktuellen Herausforderungen bei der weiteren Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes? Welche Schritte wären aus Ihrer Sicht sinnvoll?
Eine der größten Herausforderungen ist die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im gesamten Bundesgebiet. Menschen mit Behinderungen finden regional und lokal schwer vergleichbare Rahmenbedingungen vor. Zudem ist die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes aufgrund der zahlreichen Krisen in den letzten Jahren erheblich ins Stocken geraten. Die Pandemie, aber auch die Energiekrise haben gezeigt, dass neben zahlreiche rechtliche Hürden vor allem praktische Umsetzungsschwierigkeiten treten, zum Beispiel durch die Trennung der Fachleistungen von den existenzsichernden Leistungen. Hinzu kommt, dass sich die Vertrags- und Vergütungsverhandlungen in den Ländern sehr aufwendig gestalteten und sich vielerorts sich auch die personenzentrierten Bedarfsfeststellungsverfahren verzögerten. Das alles führt zu weitreichenden Nachteilen für Menschen mit Behinderungen und ihre Unterstützungsstrukturen. All diese Probleme sind bisher ungelöst. Deswegen wünschen wir uns, dass die Umsetzungsbegleitung fortgeführt wird.
Welche Erfolge konnten aus Ihrer Sicht in der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes bisher erzielt werden? Von welchen Änderungen profitieren Menschen mit Behinderungen am meisten?
Der Schritt, die Eingliederungshilfe aus der Logik der Sozialhilfe herauszunehmen und in ein eigenes Leistungsrecht umzuwandeln ist richtig. So werden die Menschen viel stärker als bisher in den Mittelpunkt der Hilfe gestellt. Selbstbestimmung und individuelle Lebensplanung sind hier zentrale Schwerpunkte. Soziale Teilhabe, die Teilhabe am Arbeitsleben und die Teilhabe an Bildung sollen gestärkt werden. Handlungsleitend ist dabei die Frage, welche Potenziale ein Mensch mit sich bringt. Damit dieser Ansatz gelingt, entwickeln wir aktuell das Bedarfsermittlungsverfahren weiter.
Mit dem Bundesteilhabegesetz sollen Leistungen wie aus einer Hand ermöglicht werden. Welche Hemmnisse zur Umsetzung der trägerübergreifenden Zusammenarbeit sehen Sie? Welche Handlungsansätze könnten diese Hemmnisse überwinden?
Wir sind noch zu weit davon entfernt, die Nachteile unseres gegliederten Reha-Systems für die Antragstellenden zu überwinden. Die Antragsverfahren sind noch sehr unterschiedlich und die trägerübergreifende Zusammenarbeit ist aufwendig. Dies zeigt sich in der Praxis etwa, wenn neben Leistungen der Eingliederungshilfe im Einzelfall auch spezielle pflege- oder krankenkassenfinanzierte Leistungen nötig sind und separat beantragt und koordiniert werden müssen. Hier wollen wir besser werden: Leistungen sollen künftig schneller und unkomplizierter beantragt werden können.
Was sind darüber hinaus Ihrer Ansicht nach die größten aktuellen Herausforderungen bei der weiteren Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes? Welche Schritte wären aus Ihrer Sicht sinnvoll?
Aus meiner Sicht muss die personenzentrierte Bedarfsermittlung weiterbewegt werden. In Hamburg sind wir hierzu, aber auch zu anderen Themen schon auf dem Weg: Die Sozialbehörde hat gemeinsam mit Verbänden und den Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen bereits einen Landesrahmenvertrag zur Umsetzung der entsprechenden Vereinbarungen erstellt. Wir haben die personellen Ressourcen verstärkt, sowohl im Fachamt Eingliederungshilfe als auch in der Sozialbehörde. Darüber steht aber die Frage, wie geeignetes Personal in sozialen Berufen für die guten Vorgaben des BTHG gewonnen werden kann. Hier werden wir mit einer Neuaufstellung der Fachkräftestrategie Impulse setzen.
Welche Erfolge konnten aus Ihrer Sicht in der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes bisher erzielt werden? Von welchen Änderungen profitieren Menschen mit Behinderungen am meisten?
Viele Umsetzungsakteure sehen sich in hohem Maße der Zielsetzung des BTHG verpflichtet, personenzentrierte Leistungen zu erbringen und die Selbstbestimmung der Menschen mit Behinderungen weiter zu befördern. Die Umsetzungspraxis hält aber mit dem allgemeinen Commitment zu diesen Zielen noch nicht genügend Schritt. Zugleich zeigen sich mehr und mehr Leistungsberechtigte gut informiert über die ihnen zustehenden Leistungen (insb. der sozialen Teilhabe) und es gibt (wenn auch regional unterschiedlich) Fortschritte bei der Umsetzung der – insgesamt aufwendigen – Bedarfsermittlung. Für die EGH-Leistungsbeziehenden erweist sich zudem die Anhebung der Einkommens- und Vermögensgrenzen als vorteilhaft.
Mit dem Bundesteilhabegesetz sollen Leistungen wie aus einer Hand ermöglicht werden. Welche Hemmnisse zur Umsetzung der trägerübergreifenden Zusammenarbeit sehen Sie? Welche Handlungsansätze könnten diese Hemmnisse überwinden?
Die Grundsätze für die Leistungsverantwortung und Koordinierung der Rehaträger (§§14 SGB IXff.) und zum Teilhabeplanverfahren (§§ 19ff SGB IX) sollten die Klärung der Prozessverantwortlichkeiten schärfen und verbessern. Tatsächlich sind diese Regelungen komplex und stellen hohe Anforderungen an die Kooperationsfähigkeit der beteiligten Rehaträger, ohne diese Kooperation besonders zu begünstigen. Die trägerübergreifende Zusammenarbeit wird auch durch die zum Teil unklaren Schnittstellen zwischen Leistungen der sozialen Teilhabe erschwert, insbesondere in Abgrenzung zu den Leistungen der Kranken- und Pflegekassen sowie der Jugendhilfe. Dies wird sich nicht allein durch bessere Kooperation lösen lassen, sondern bedarf auch gesetzlicher Nachschärfungen.
Was sind darüber hinaus Ihrer Ansicht nach die größten aktuellen Herausforderungen bei der weiteren Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes? Welche Schritte wären aus Ihrer Sicht sinnvoll?
Die Herausforderungen sind vielfältig. Die Trennung der Fachleistungen von den existenzsichernden Leistungen ist zwar formal vollzogen, aber die Leistungserbringung erfolgt in der Praxis häufig noch verschränkt. Gerade in besonderen Wohnformen scheinen innovative, individuell passende Angebote vielfach noch kaum etabliert. Bei den Leistungsvereinbarungen zwischen EGH-Trägern und Leistungserbringern (§§123ff SGB IX) muss es unbedingt vorangehen, um das Prinzip personenzentrierter Leistungen weiter zu fördern und zugleich vertraglich abzusichern. Nur auf dieser Basis wird es auch möglich sein, Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsprüfungen regelhaft zu etablieren, um mittelfristig Wirksamkeit und Effizienz der EGH zu steigern.
Welche Erfolge konnten aus Ihrer Sicht in der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes bisher erzielt werden? Von welchen Änderungen profitieren Menschen mit Behinderungen am meisten?
Ausgezahlt hat sich sicherlich der Paradigmenwechsel, dass die Eingliederungshilfe keine Fürsorgeleistung mehr ist, sondern eine Leistung der Rehabilitation. Damit geht ein verändertes Verständnis einher, dem zufolge Menschen mit Behinderungen offener ihre Leistungsansprüche prüfen und darüber sprechen. Dies wird durch eine differenzierte Bedarfsermittlung und Gesamtplanung unterstützt, in der unterschiedliche Lebensbereiche gezielt angesprochen werden, um auch solche Unterstützungsbedarfe aufzudecken, die vorher nicht bewusst waren. Für eine kleine Zielgruppe ist auch das Budget für Arbeit hilfreich.
Mit dem Bundesteilhabegesetz sollen Leistungen wie aus einer Hand ermöglicht werden. Welche Hemmnisse zur Umsetzung der trägerübergreifenden Zusammenarbeit sehen Sie? Welche Handlungsansätze könnten diese Hemmnisse überwinden?
Die Zusammenarbeit der Eingliederungshilfe mit den Kranken- und Pflegekassen hat vor Einführung des BTHG schlecht funktioniert, und daran hat sich durch das BTHG wohl nichts geändert. Die Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit funktioniert wohl einigermaßen bei Übergängen vom Bildungs- in den Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen, aber auch hierzu gibt es kritische Berichte. Eine gemeinsame Beratung in Form einer Teilhabekonferenz findet so gut wie nicht statt. Die Zusammenarbeit mit den Trägern der Grundsicherung verläuft in den Ländern, in denen die Trennung der existenzsichernden Leistungen von den Fachleistungen konsequent durchgeführt wurde, gut, aber aus Sicht der Leistungsbeziehenden hat diese (fachlich gut begründete) Leistungstrennung dazu geführt, dass die Wahrnehmung als „Leistung aus einer Hand“ verlorengegangen ist.
Was sind darüber hinaus Ihrer Ansicht nach die größten aktuellen Herausforderungen bei der weiteren Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes? Welche Schritte wären aus Ihrer Sicht sinnvoll?
Die Leistungsbewilligung sollte durchgängig auf den Ergebnissen der Bedarfsermittlung aufbauen und nicht auf frühere „Schubladensysteme“ zurückgreifen. Angebote sollten auch in besonderen Wohnformen flexibel gestaltet und auf individuelle Wünsche abgestimmt sein. Um eine umfassend personenzentrierte Leistungsgestaltung zu erreichen, besteht noch weiterer Handlungsbedarf, und dabei sollte klar sein, dass eine verbesserte Qualität auch mehr kostet und nicht „kostenneutral“ erreicht werden kann.
Welche Erfolge konnten aus Ihrer Sicht in der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes bisher erzielt werden? Von welchen Änderungen profitieren Menschen mit Behinderungen am meisten?
Der größte Vorteil für die leistungsberechtigten Menschen ist sicherlich die weitgehende Freistellung von Einkommen und Vermögen. Von den Landkreisen als in vielen Ländern zuständigen Leistungsträgern wird vor allem der erhebliche Aufwand kritisiert. Die Vorgaben zur Bedarfsermittlung, zum Gesamt- sowie zum Teilhabeplan sind sehr komplex. Sowohl die Träger der Eingliederungshilfe als auch die Leistungserbringer sowie insbesondere auch die behinderten Menschen beklagen den bürokratischen Aufwand. Dies gilt auch für das neue Vertragsrecht – ohne dass damit ein unmittelbarer Nutzen für die Leistungsberechtigten verbunden wäre. Dies muss dringend vereinfacht werden.
Mit dem Bundesteilhabegesetz sollen Leistungen wie aus einer Hand ermöglicht werden. Welche Hemmnisse zur Umsetzung der trägerübergreifenden Zusammenarbeit sehen Sie? Welche Handlungsansätze könnten diese Hemmnisse überwinden?
Auch das Verfahren zum Teilhabeplan bei Einbeziehung weiterer Reha-Träger ist komplex und verwaltungsaufwändig. Die Eingliederungshilfe ist hierbei meistens der größte Träger. Helfen würde es, wenn der Gesetzgeber die Verantwortung der anderen Träger (nicht nur der Reha-Träger) klar benennen würde. Wir sprechen uns z. B. dafür aus, dass die Pflege vorrangig ist, sowohl im häuslichen Umfeld als auch in besonderen Wohnformen, und dass versicherte pflegebedürftige Menschen mit Behinderungen die vollständigen Leistungen der Pflegeversicherung bekommen. Auch die Unterstützung behinderter Kinder müsste vollständig aus der Hand der Schule erbracht werden.
Was sind darüber hinaus Ihrer Ansicht nach die größten aktuellen Herausforderungen bei der weiteren Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes? Welche Schritte wären aus Ihrer Sicht sinnvoll?
Der Deutsche Landkreistag spricht sich für die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe aus, um sie zu einem noch besseren Teilhaberecht nach den Zielen der UN-Behindertenrechtskonvention zu machen. Dazu gehören auch stärkere Steuerungsmöglichkeiten der Leistungsträger und eine Begrenzung der sich dynamisch entwickelnden Kosten. Insbesondere erfordert der stark zunehmende Fach- und Arbeitskräftemangel die Beschränkung auf einfache und praktikable Vorgaben ohne unnötigen Aufwand. Das Präsidium des Deutschen Landkreistags hat am 7./8. Mai 2024 „Vorschläge zur Weiterentwicklung des Bundesteilhabegesetzes (PDF-Dokument)“ verabschiedet.
Welche Erfolge konnten aus Ihrer Sicht in der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes bisher erzielt werden? Von welchen Änderungen profitieren Menschen mit Behinderungen am meisten?
Mit dem BTHG wurden schrittweise die Freigrenzen für eigenes Einkommen und Vermögen bei der Kostenheranziehung erhöht. Einkommen und Vermögen von Ehe- oder Lebenspartnern werden nicht mehr angerechnet. Auch haben Beschäftigte in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen von der Verdoppelung des Arbeitsförderungsgelds profitiert. Durch das Teilhabeplanverfahren gibt es verpflichtende Vorgaben für die Rehabilitationsträger bei der Klärung der Zuständigkeit und zur trägerübergreifenden Zusammenarbeit. Auch die Schwerbehindertenvertretungen wurden gestärkt, sie spielen eine wichtige Rolle bei der Schaffung eines inklusiven Arbeitsmarktes.
Mit dem Bundesteilhabegesetz sollen Leistungen wie aus einer Hand ermöglicht werden. Welche Hemmnisse zur Umsetzung der trägerübergreifenden Zusammenarbeit sehen Sie? Welche Handlungsansätze könnten diese Hemmnisse überwinden?
Die unterschiedliche Umsetzung in den Bundesländern, zahlreiche Übergangsvorschriften, unterschiedliche Bedarfsermittlungsinstrumente und Trägerlogiken machen das Geschehen intransparent. Wenn sich weiterhin und entgegen der Absicht des Gesetzgebers das Beharrungsvermögen der Träger so ausgeprägt zeigt, sollte der Gesetzgeber eine Weiterentwicklung des SGB IX im Sinne eines einheitlichen Teilhaberechts in Betracht ziehen und einen einzigen einheitlichen Rehabilitationsträger für alle Menschen mit Behinderung oder drohenden Behinderungen schaffen.
Was sind darüber hinaus Ihrer Ansicht nach die größten aktuellen Herausforderungen bei der weiteren Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes? Welche Schritte wären aus Ihrer Sicht sinnvoll?
Der Zugang zu Leistungen darf nicht abhängig vom Bundesland, der Kommune oder dem Bezirk sein, in dem ein Leistungsberechtigter wohnt. Ausschlag darf nicht die Diagnose, sondern muss der individuelle Teilhabebedarf geben. Der nächste wichtige Schritt ist daher eine neue Verordnung über den leistungsberechtigten Personenkreis. Auch wenn Bund und Länder die Kostenneutralität wollen, darf dies nicht schwerer wiegen als der individuell ermittelte Bedarf der behinderten Menschen.
Welche Erfolge konnten aus Ihrer Sicht in der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes bisher erzielt werden? Von welchen Änderungen profitieren Menschen mit Behinderungen am meisten?
Wir nehmen die beabsichtigte Stärkung verschiedener Akteure wahr. So sind gleich mit der 1. Reformstufe die Rechte der Schwerbehindertenvertretungen gestärkt worden. Dort, wo Schwerbehindertenvertretungen aktiv sind, werden die Rechte behinderter Menschen in der Arbeitswelt besser durchgesetzt. Aber auch die aufgewertete Rolle der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation und die Verstetigung der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) führt zu einer deutlich intensiveren Auseinandersetzung mit den Zielen des BTHG und den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention.
Mit dem Bundesteilhabegesetz sollen Leistungen wie aus einer Hand ermöglicht werden. Welche Hemmnisse zur Umsetzung der trägerübergreifenden Zusammenarbeit sehen Sie? Welche Handlungsansätze könnten diese Hemmnisse überwinden?
Für die trägerübergreifende Zusammenarbeit braucht es Reformwillen und einen grundlegenden Bewusstseinswandel. Solange die Träger als oberste Maßgabe weiterhin an ihren jeweiligen Leistungsgesetzen festhalten, anstatt vom Dachgesetz des SGB IX her zu denken, und solange die dringend erforderlichen Fortbildungen nicht stattfinden, werden die Nachteile des gegliederten Sozialsystems nicht überwunden werden. Die Rehabilitationsträger müssten sich auf übereinstimmende Ausbildungsinhalte nach den Maßgaben des SGB IX und des bio-psycho-sozialen Wechsel-Modells der ICF verständigen.
Was sind darüber hinaus Ihrer Ansicht nach die größten aktuellen Herausforderungen bei der weiteren Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes? Welche Schritte wären aus Ihrer Sicht sinnvoll?
Partizipation und Personzentrierung müssen bei der Bedarfsfeststellung und Leistungsgewährung gewährleistet werden. Die verantwortlichen Ministerien müssen dies gegenüber Rehabilitationsträgern und diese wiederum gegenüber Leistungserbringern durchsetzen. Für die besonderen Bedarfe von Kindern und Jugendlichen, von Menschen mit kognitiven oder psychischen oder mehrfachen Beeinträchtigungen müssen spezifische Leistungen bereitgehalten werden (aufsuchende Reha, Coaching, Fallmanagement, lebenslange Unterstützung). Hochschulen müssen für Menschen mit Behinderungen zugänglich sein.
Welche Erfolge konnten aus Ihrer Sicht in der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes bisher erzielt werden? Von welchen Änderungen profitieren Menschen mit Behinderungen am meisten?
Der größte Erfolg ist, dass mit dem BTHG ein Leistungsrecht im SGB IX verankert wurde, das die Eingliederungshilfe behinderter Menschen neu und personenorientiert regelt. Mit dem Gesamt- und Teilhabeplanverfahren stehen Instrumente zur Verfügung, die eine individualisierte Unterstützung ermöglichen. Für viele Menschen mit Behinderung sind die neuen Einkommens- und Vermögensgrenzen eine deutliche Verbesserung, für Beschäftigte in der Werkstatt neben der Verdopplung des Arbeitsförderungsgeldes, die Einführung von Mitbestimmung und Frauenbeauftragten sowie eines bundesweiten Budgets für Arbeit.
Mit dem Bundesteilhabegesetz sollen Leistungen wie aus einer Hand ermöglicht werden. Welche Hemmnisse zur Umsetzung der trägerübergreifenden Zusammenarbeit sehen Sie? Welche Handlungsansätze könnten diese Hemmnisse überwinden?
Zwar stärkt der erste Teil des SGB IX die Verpflichtung zur Zusammenarbeit, allerdings treffen nach wie vor unterschiedliche Logiken bei Antragstellung und Bewilligung von Leistungen aufeinander. Eine verpflichtende Zusammenarbeit mit Angleichung der Antragsverfahren, wie aktuell bei der BAR in Erarbeitung, könnte bei einer Selbstverpflichtung der Träger, dies umzusetzen, zur Verbesserung führen.
Was sind darüber hinaus Ihrer Ansicht nach die größten aktuellen Herausforderungen bei der weiteren Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes? Welche Schritte wären aus Ihrer Sicht sinnvoll?
Die Ausnahmesituation der letzten Jahre und die daraufhin vereinbarten Übergangsfristen haben die Durchführung der Bedarfsermittlung als Herzstück der personenorientierten Leistungsgewährung vielerorts behindert, sodass sie nicht flächendeckend umgesetzt wird. Ohne eine umfassende Bedarfsermittlung im Einzelfall laufen jedoch viele Impulse des BTHG ins Leere.
Welche Erfolge konnten aus Ihrer Sicht in der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes bisher erzielt werden? Von welchen Änderungen profitieren Menschen mit Behinderungen am meisten?
Der Erfolg eines Gesetzes misst sich daran, welche Erwartungen mit der Umsetzung verknüpft waren. Nach meiner Auffassung ist es gelungen, die Eingliederungshilfe durch die Überführung aus der Sozialhilfe in ein eigenständiges Leistungsrecht im SGB IX aus dem Fürsorgesystem herauszulösen und die Mitsprache- und Selbstbestimmungsmöglichkeiten der Menschen mit Behinderungen zu stärken. Die verbindliche Vorgabe eines Gesamtplanverfahrens ist ein wichtiger Baustein dieser Veränderung. Auch die weitgehende Freistellung vom Einsatz von Einkommen und Vermögen macht den Wandel der Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht deutlich.
Mit dem Bundesteilhabegesetz sollen Leistungen wie aus einer Hand ermöglicht werden. Welche Hemmnisse zur Umsetzung der trägerübergreifenden Zusammenarbeit sehen Sie? Welche Handlungsansätze könnten diese Hemmnisse überwinden?
Die Umsetzung der trägerübergreifenden Zusammenarbeit kommt ebenfalls in den gesetzlichen Regelungen zur Gesamt- und Teilhabeplanung zum Ausdruck. Das Verfahren zur Beteiligung aller betroffenen Rehabilitationsträger ist sowohl organisatorisch als auch personell sehr aufwendig. Eine rechtlich abgesicherte Vorleistungsmöglichkeit des Trägers der Eingliederungshilfe mit nachträglicher Ausgleichsverpflichtung anderer Rehabilitationsträger könnte Abhilfe leisten.
Was sind darüber hinaus Ihrer Ansicht nach die größten aktuellen Herausforderungen bei der weiteren Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes? Welche Schritte wären aus Ihrer Sicht sinnvoll?
Die größte Herausforderung bei der Umsetzung des BTHG besteht derzeit zweifelsfrei in der Anpassung und Umsetzung der Landesrahmenverträge und der entsprechenden Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen. Denn erst nach deren vollständiger Anpassung wird sich abschließend bewerten lassen, ob das Ziel des Gesetzes, nämlich verbesserte Teilhabe bei gleichzeitiger Dämpfung des Kostenanstiegs, erreicht wird. Auch die gesetzlich verbesserten Prüf- und Steuerungsmöglichkeiten der Träger der Eingliederungshilfe werden ihre volle Wirkung erst entfalten können, wenn die Vereinbarungen angepasst sind. Das Verhandlungsgeschäft zur Anpassung der vertraglichen Grundlagen erweist sich als äußerst zeitintensiv und zäh. Eine weitere Herausforderung sehe ich darin, ein gemeinsames Verständnis zur Beurteilung der Wirksamkeit von Leistungen zu finden.
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