Gesetzesbegründung Besonderer Teil zu § 18 (Erstattung selbstbeschaffter Leistungen)
„In § 18 wird der bisher in § 15 normierte Anspruch auf Kostenerstattung bei der Selbstbeschaffung von Leistungen zur Teilhabe durch die Leistungsberechtigten gesetzlich weiterentwickelt. Die Weiterentwicklung des Rechts auf Selbstbeschaffung von Leistungen stärkt die Leistungsberechtigten. Sie sollen aufgrund der Vielfalt von Zuständigkeiten im gegliederten System der Leistungen zur Teilhabe zur Verwirklichung ihrer Ansprüche nicht allein auf das Instrument der Untätigkeitsklage verwiesen werden.
Mit der Neufassung von § 18 wird das nach bisheriger Rechtslage beim Leistungsberechtigten liegende Kostenrisiko für fehlerhafte Selbstbeschaffungen in angemessenem Umfang auf die säumigen Rehabilitationsträger verlagert.
Als Folge der neuen Genehmigungsfiktion gelten für den Vertrauensschutz der Leistungsberechtigten die allgemeinen Maßstäbe für die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte. Ausgenommen von der Kostenerstattung sind damit nur Evidenzfälle, die von der sozialgerichtlichen Rechtsprechung bereits zur Konkretisierung der Genehmigungsfiktion nach § 13 Absatz 3a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) herausgearbeitet wurden („Urlaub auf Mallorca“).
Absatz 1 verpflichtet die Rehabilitationsträger, den Leistungsberechtigten eine begründete Mitteilung zu machen, wenn die Bearbeitung des Antrags bis zu Entscheidung länger als zwei Monate andauert. Die Regelung erhöht die Rechtssicherheit der Leistungsberechtigten bei der Selbstbeschaffung von Leistungen, indem die Frist für den Eintritt der Genehmigungsfiktion nach Absatz 3 unter Verzicht auf unbestimmte Zeitangaben geregelt wird. Auf die Setzung einer zusätzlichen Nachfrist durch die Leistungsberechtigten kommt es nicht mehr an. Die Leistungsberechtigten tragen im Streitfall lediglich die Beweispflicht für den Antragseingang beim leistenden Rehabilitationsträger. Begründet der leistende Rehabilitationsträger eine Fristüberschreitung, so kann er sich nach Absatz 2 auf eine Bearbeitungsfrist von zwei Monaten berufen und zusätzlich für sich einen erweiterten Zeitaufwand bei der Beauftragung von Sachverständigen oder bei der Durchführung der Begutachtung in Anspruch nehmen, wenn er dies gegenüber den Leistungsberechtigten in seiner Mitteilung nachweist.
In Absatz 3 wird die Rechtsfolge einer Fristüberschreitung geregelt. Durch den Eintritt der Genehmigungsfiktion gilt die beantragte Leistung als bewilligt. Durch die Genehmigungsfiktion wird keine behördliche Entscheidung ersetzt, sondern eine Rechtsposition sui generis geschaffen, die die Leistungsberechtigten in die Lage versetzt, gegenüber dem leistenden Rehabilitationsträger einen Kostenerstattungsanspruch nach Absatz 4 geltend zu machen.
Insbesondere vermittelt die Genehmigungsfiktion den Leistungsberechtigten keine Rechtsposition gegenüber Dritten, z. B. gegenüber Leistungserbringern oder anderen Rehabilitationsträgern, die nicht leistender Rehabilitationsträger sind.
Der Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen nach Absatz 4 richtet sich gegen den nach § 14 leistenden Rehabilitationsträger und ist grundsätzlich unbeschränkt, soweit nicht ein Ausschlusstatbestand nach Absatz 5 eingreift.
Auf die Wirtschaftlichkeit und Rechtmäßigkeit, also insbesondere auf die Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit der selbst beschafften Leistung, kommt es nicht an.
Nach Absatz 5 ist die Einwendung des Rehabilitationsträgers, eine Leistung hätte nicht oder nicht in der selbstbeschafften Art und Weise erbracht werden können, im Grundsatz ausgeschlossen. Gegen die Kostenerstattung kann damit eine fehlende Rechtmäßigkeit oder Erforderlichkeit der Leistung nicht mehr vorgebracht werden, da diese Einwendungen den Sinn und Zweck der Vorschrift leerlaufen lassen würden. Wäre die Erstattung selbstbeschaffter Leistungen von vornherein begrenzt auf die Leistungen, die nach dem jeweiligen Leistungsgesetz hätten erbracht werden dürfen, so wäre das Ergebnis eine faktische Besserstellung des säumigen Rehabilitationsträgers, da er in diesem Fall später erstatten dürfte, als er eigentlich zu leisten verpflichtet gewesen wäre. Die in § 18 geregelte Möglichkeit der Selbstbeschaffung der Leistungen soll jedoch gegenüber den säumigen Rehabilitationsträgern eine wirksame Sanktionswirkung entfalten. Maßgeblich für einen etwaigen Ausschluss der Kostenerstattung ist lediglich der auch nach dem allgemeinen Sozialverfahrensrecht bestehende Verschuldensmaßstab für die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte, ohne hierbei den Leistungsberechtigten eine besondere Kenntnispflicht des Rehabilitationsrechts aufzubürden. Im Ergebnis wird hierdurch eine Erstattung offensichtlich rechtswidriger Leistungen, die rechtsmissbräuchlich beschafft wurden, ausgeschlossen.
Absatz 6 greift inhaltlich den Selbstbeschaffungsanspruch nach § 15 Absatz 1 Satz 4 alter Rechtslage auf und wird nur aus Gründen der Rechtsklarheit in seinem Wortlaut an § 13 Absatz 3 Satz 1 SGB V angepasst. Mit dem Anspruch auf Selbstbeschaffung werden die Leistungsberechtigten in den Fällen der Unaufschiebbarkeit oder der unberechtigten Ablehnung einer beantragten Leistung nicht lediglich auf einstweiligen Rechtsschutz verwiesen. Die Erstattungsregelung hat den Zweck, den Berechtigten so zu stellen, wie er bei rechtzeitiger oder rechtmäßiger Gewährung einer gesetzlichen Leistung stehen würde. Durch die Selbstbeschaffung nach Absatz 6 haben die Leistungsberechtigten zwar weitgehende Handlungsmöglichkeiten. Allerdings können sich die Leistungsberechtigten in diesen Fällen nicht in gleicher Weise auf einen privilegierten Vertrauensmaßstab berufen, wie bei bloßer Nichttätigkeit der Leistungsträger nach den Absätzen 1 bis 5. Die Leistungsberechtigten können ihre Selbstbeschaffung dem Rehabilitationsträger deshalb nur entgegenhalten, soweit sie sich damit berechtigterweise innerhalb des Systems der Rehabilitationsleistungen bewegen. Der Erstattungsanspruch umfasst nur solche Kosten, von denen der Leistungsberechtigte bei regulärer Leistungserbringung befreit wäre. Anders als in den Fällen der Absätze 1 bis 5 gilt kein privilegierter Maßstab für den Erstattungsumfang. Auf das Wissen oder Kennenmüssen seitens der Leistungsberechtigten kommt es daher nicht an. Die Erforderlichkeit und die Rechtmäßigkeit der selbst beschafften Leistung begrenzen objektiv den Erstattungsumfang.
Der Anspruch richtet sich nach Absatz 6 Satz 2 gegen den Rehabilitationsträger, der den Bescheid über die Leistung erlassen hat. Dies kann der leistende Rehabilitationsträger sein oder im Falle der getrennten Leistungsbewilligung nach § 15 Absatz 1 oder Absatz 3 auch einer der beteiligten Rehabilitationsträger. Liegt zum Zeitpunkt der Beschaffung noch keine Entscheidung vor, ist der leistende Rehabilitationsträger zur Erstattung verpflichtet, um die Leistungsberechtigten von der Last der Zuständigkeitsklärung zu befreien.
Absatz 7 entspricht der bisherigen Rechtslage, ersetzt jedoch die bislang von der Erstattung selbstbeschaffter
Leistungen ausgenommenen Träger der Sozialhilfe durch die in § 6 Absatz 1 als Rehabilitationsträger neu bestimmten Träger der Eingliederungshilfe. Wie schon nach bisheriger Intention des Gesetzgebers zu § 15 alter Fassung (Bundestagsdrucksache 14/5531, S. 8) und der hierzu ergangenen Rechtsprechung (BSG v. 9.12.2008, B 8/9b SO 10/07 R) gilt der Ausschluss auch zukünftig nicht für die Selbstbeschaffung wegen Unaufschiebbarkeit oder unberechtigter Ablehnung einer Leistung nach Absatz 6.“
(BT-Drs. 18/9522, S. 238 f.)