Gesetzesbegründung Besonderer Teil zu § 15 (Leistungsverantwortung bei Mehrheit von Rehabilitationsträgern)
„Schon nach bisheriger Rechtslage war der erst- oder der zweitangegangene Rehabilitationsträger nach allen in Betracht kommenden Leistungsgesetzen für die umfassende Bedarfsfeststellung und Leistungserbringung zuständig und hatte alle Leistungen zur Teilhabe „wie aus einer Hand“ zu erbringen. Die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hat hierzu das Prinzip der „aufgedrängten Zuständigkeit“ entwickelt, welches unter Beachtung des Gebots der Aufgaben- und Verantwortungsklarheit eine schnelle und im Verhältnis zu den Leistungsberechtigten konfliktfreie Leistungsgewährung in den Fällen der Trägermehrheit ermöglicht (z. B. BSG v. 11.5.2011– B 5 R 54/10 R; BSG v. 3.2.2015 – B 13 R 261/14 B). Die Leistungsverantwortung erstreckt sich daher im Außenverhältnis zu den Leistungsberechtigten auf alle Rechtsgrundlagen, die in der konkreten Bedarfssituation überhaupt in Betracht kommen (LSG Baden-Württemberg v. 24.4.2015 – L 8 AL 2430/12). An dieser Systematik hält § 15 grundsätzlich fest. § 15 geht den Regelungen über Beauftragungen zwischen Sozialleistungsträgern nach den §§ 88 ff. des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) vor, da der leistende Rehabilitationsträger im Vergleich zum vertraglich oder gesetzlich beauftragten Sozialleistungsträger weitergehende Rechte und Pflichten wahrnimmt.
Absatz 1 erfasst alle Anträge auf Leistungen, bei denen ein nach § 14 leistender Rehabilitationsträger neben den nach seinem Leistungsgesetz zu erbringenden Leistungen zusätzlich Ansprüche auf weitere Leistungen zu prüfen hätte, für die er jedoch nicht Rehabilitationsträger nach § 6 Absatz 1 sein kann. In diesen Fällen wird der zuständige Rehabilitationsträger in seiner originären Trägerverantwortung durch eine teilweise Antragsweiterleitung auch für die Entscheidung über den Antrag zuständig, die innerhalb der mit Antragseingang bei dem nach § 14 leistenden Rehabilitationsträger in Gang gesetzten Frist nach Absatz 4 erfolgen muss. Hiermit wird der einzige zulässige Fall einer Antragssplittung im Rehabilitationsrecht geregelt.
In den Fällen der Beteiligung eines Rehabilitationsträgers nach Absatz 1 bleibt dennoch die Koordinierungsverantwortung für die rechtzeitige Entscheidung über den gesamten Antrag bei dem nach § 14 leistenden Rehabilitationsträger, der nach § 19 das Teilhabeplanverfahren durchzuführen hat. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Entscheidungsfrist Leistungen nach § 18 selbst beschaffen und die Erstattung der Aufwendungen von dem nach § 14 leistenden Rehabilitationsträger verlangen. Der nach § 14 leistende Rehabilitationsträger hat sich dann nach § 16 Absatz 5 im Innenverhältnis zu dem beteiligten Rehabilitationsträger schadlos zu halten. Aus diesem Grund ist der nach § 14 leistende Rehabilitationsträger gehalten, die Weiterleitung des Antrags in Bezug auf die weiteren Leistungen nur in sachlich begründeten Fällen zu betreiben, die eine rechtzeitige Bearbeitung durch den beteiligten Träger auch tatsächlich erwarten lassen. Nach Absatz 2 bleibt – anders als nach Absatz 1 – bei allen anderen Konstellationen der Trägermehrheit nicht nur die Koordinierungsverantwortung, sondern im Verhältnis zu den Leistungsberechtigten auch die Leistungsverantwortung für Leistungen zur Teilhabe bei dem nach § 14 leistenden Rehabilitationsträger. Dies betrifft alle Leistungsanträge, für die der leistende Rehabilitationsträger teilweise zwar nicht nach seinem Leistungsgesetz zuständig ist, jedoch grundsätzlich nach § 6 Absatz 1 Rehabilitationsträger für diese Leistungsgruppe sein könnte. Mit der Beteiligung nach Absatz 2 wird unter Beachtung des Gebots der Aufgaben- und Verantwortungsklarheit das bereits vom Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung entwickelte Prinzip „aufgedrängter Zuständigkeit“ im Außenverhältnis zum Antragssteller verankert. Sofern die beteiligten Rehabilitationsträger nach ihrem Leistungsgesetz zuständig sind, können sie den nach § 14 leistenden Rehabilitationsträger an ihre Feststellungen binden. Die Bindungswirkung betrifft alle Feststellungen zur Anwendung der Leistungsgesetze, die für den beteiligten Rehabilitationsträger maßgeblich sind. Die Wirksamkeit der Entscheidung des nach § 14 leistenden Rehabilitationsträgers bleibt von der Bindungswirkung unberührt. Innerhalb der im gegliederten System der Rehabilitationsleistungen bestehenden Zuständigkeiten klären die Träger untereinander nach § 16 die Kostenerstattung, deren Umfang sich nach den Feststellungen der beteiligten Rehabilitationsträger richtet, wenn diese rechtzeitig übermittelt wurden.
Absatz 3 Satz 1 regelt den häufig anzunehmenden Fall, dass alle Träger und die Leistungsberechtigten ein im Teilhabeplan festzuhaltendes Einvernehmen darüber herstellen, dass die Leistungserbringung auch durch die jeweils zuständigen Rehabilitationsträger gewährleistet ist, weil die Bedarfsfeststellung im Teilhabeplan umfassend und nahtlos sichergestellt werden konnte. Eine Entscheidung durch die jeweils zuständigen Leistungsträger anstelle des nach § 14 leistenden Rehabilitationsträgers kann in konfliktfreien Leistungsfällen erheblichen Verwaltungsaufwand verringern, zu einer Beschleunigung führen und das Verfahren der Kostenerstattung nach § 16 entbehrlich machen. Diese Möglichkeit war nach dem bisherigen Recht und der hierzu ergangenen Rechtsprechung nicht eröffnet, da sie nicht zwischen „Konfliktfällen“ und „Konsensfällen“ unterschieden hat. Absatz 3 Satz 2 legt demgegenüber in den „Konfliktfällen“ fest, dass der nach § 14 leistende Rehabilitationsträger über die Leistungen, für die er grundsätzlich nach § 6 Absatz 1 Rehabilitationsträger sein kann, ungeachtet der nach den Leistungsgesetzen bestehenden Zuständigkeiten im eigenen Namen entscheidet und den Verwaltungsakt erlässt, wenn die Voraussetzungen für eine getrennte Leistungsbewilligung nicht erfüllt sind. Er hat dann die volle Koordinierungs- und Leistungsverantwortung inne. Die Antragsteller sind von der Last der Klärung der Zuständigkeiten befreit.
Die Leistungsberechtigten können einer getrennten Leistungsbewilligung aus wichtigem Grund widersprechen.
Ein wichtiger Grund kann z. B. angenommen werden, wenn Leistungsberechtigte in der Vergangenheit Leistungen von dem Rehabilitationsträger nur mit Schwierigkeiten, etwa nach Widerspruch und Klage, erhalten haben und sie deshalb auf die Leistungserbringung nicht vertrauen oder wenn eine Kommunikation mit dem Rehabilitationsträger für den Leistungsberechtigten erschwert ist, weil keine Geschäftsstelle in der Nähe ist und dies für den Leistungsberechtigten von Bedeutung ist.
Nach Absatz 4 ist bei Mehrheit von Rehabilitationsträgern anstelle der in § 14 geregelten Frist von drei Wochen abweichend innerhalb von sechs Wochen und bei Durchführung einer Teilhabeplankonferenz innerhalb von zwei Monaten nach Antragseingang zu entscheiden. Die Frist trägt der in § 19 geregelten Verpflichtung Rechnung, unter Beteiligung aller mitbetroffenen Rehabilitationsträger und unter Einbeziehung den Leistungsberechtigten einen Teilhabeplan zu erstellen. Eine privilegierte Entscheidungsfrist für den Fall der Begutachtung ist, anders als in § 14, jedoch nicht vorgesehen. Der nach § 14 leistende Rehabilitationsträger ist demnach gehalten, bereits mit der unverzüglichen Beteiligung der anderen Rehabilitationsträger auch das erforderliche Benehmen über die Beauftragung eines Gutachters herzustellen.
Widerspruch und Klage richten sich nach § 84 Absatz 1 SGG gegen den Rehabilitationsträger, der den Verwaltungsakt erlassen hat, d. h. gegen den leistenden Rehabilitationsträger in den Fällen nach Absatz 3 Satz 1 und gegen die zuständigen Rehabilitationsträger in den Fällen nach Absatz 3 Satz 2. Richtet sich der Widerspruch gegen den leistenden Rehabilitationsträger, so hat er nach § 12 Absatz 2 SGB X die beteiligten Rehabilitationsträger im Widerspruchsverfahren hinzuzuziehen. Die Notwendigkeit der Beiladung im sozialgerichtlichen Verfahren ergibt sich aus § 75 SGG und ist in jedem Einzelfall zu prüfen.“
(BT-Drs. 18/9522, S. 234 ff.)