Urteil zum Wunsch- und Wahlrecht bei der Hilfsmittelversorgung durch Krankenkassen

5. November 2021

Urteil stärkt Wunsch- und Wahlrecht bei der Hilfsmittelversorgung durch Krankenkassen

Bereits am 5. August 2021 hat das Hessische Landessozialgericht mit einem Urteil das Wunsch- und Wahlrecht von Menschen mit Behinderungen nach  § 9 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IX i.V.m. § 33 SGB I bei der Hilfsmittelversorgung durch Krankenkassen gestärkt (L 1 KR 65/20). Die Richter haben entschieden, dass ein Hilfsmittel, das die selbstständige Mobilität ermöglicht, durch die gesetzliche Krankenversicherung finanziert werden muss.

Zusammenfassung

Konkret geht es um die Art und Weise, wie sich Versicherte den Nahbereich der Wohnung in zumutbarer und angemessener Weise erschließen. Dem Urteil nach darf die Prüfung, ob ein Anspruch auf ein Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich besteht, um sich im Nahbereich zu bewegen, nicht zu eng gefasst werden. Das folgt unter Beachtung der Teilhabeziele des SGB IX, insbesondere ein selbstbestimmtes und selbstständiges Leben zu führen (vgl. § 1 SGB IX), aus dem verfassungsrechtlichen Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz (GG) als Grundrecht und objektive Wertentscheidung in Verbindung mit dem Recht auf persönliche Mobilität nach Art. 20 UN-Behindertenrechtskonvention1.

Wenn eine gesetzlich krankenversicherte Person daher bei der Nutzung eines Elektrorollstuhls auf fremde Hilfe angewiesen ist, ein Handbike aber selbständig nutzen kann und ohne das Handbike keine ausreichende selbstbestimmte Bewegungsfreiheit im Nahbereich gegeben ist, besteht ein Anspruch auf Hilfsmittelversorgung durch die gesetzliche Krankenversicherung. Bei der Anwendung des Wirtschaftlichkeitsgebotes nach § 12 Abs. 1 S. 1 SGB V darf dann ein Vergleich mit anderen Hilfsmitteln, die von der versicherten Person nicht ohne fremde Hilfe bedient werden können, nicht vorgenommen werden.

Hintergrund

Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zur medizinischen Rehabilitation nach § 11 Abs. 2 Satz 1, Alt. 1 SGB V müssen gem. § 11 Abs. 2 Satz 3 SGB V stets unter Beachtung des SGB IX erbracht werden, soweit im SGB V nichts anderes bestimmt ist. Die Regelungen des SGB IX gelten danach (vgl. § 7 Satz 1 SGB IX) im Grundsatz unmittelbar auch für die Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Dies gilt auch für das Wunsch- und Wahlrecht des § 9 SGB IX, sofern nicht Sonderregelungen des SGB V vorgehen3.

Hilfsmittel sind gem. § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V Leistungen der medizinischen Rehabilitation, wenn sie im Einzelfall erforderlich sind, um eine drohende Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind.

Fußnoten

1KassKomm/Roters, 115. EL Juli 2021, SGB V § 11 Rn. 20

2Hessisches LSG, 05.08.2021 - L 1 KR 65/20

Hier können Sie das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts nachlesen:

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