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BTHG-Kompass 4.1

Sie können an dieser Stelle Einsicht in die Dokumente des Themas nehmen.

Inhaltsverzeichnis

BTHG-Kompass 4.1

Zuständigkeitswechsel und Inobhutnahme

Bisher wurde bis zur Klärung einer Zuständigkeit (Träger bei wechselnder Zuständigkeit (stat. Hilfe §42 SGB VIII)) der §43 SGB I herangezogen. Gilt das noch?



Antwort:

Zuständigkeitswechsel und Inobhutnahme

§ 42 SGB VIII regelt die Inobhutnahme. Die Inobhutnahme ist eine andere Aufgabe des SGB VIII (§ 2 Abs. 3 Nr. 1 SGB VIII) und keine Leistung. Sie ist Ausprägung des staatlichen Wächteramts der Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach Art. 6 GG. Die anderen Aufgaben sind gemeinhin keine Sozialleistungen im Sinne des § 11 SGB I, auch wenn die anderen Aufgaben vielfach Dienstleistungsfunktionen enthalten (Wiesner in Wiesner, SGB VIII, § 2 Rn. 13). § 43 SGB I (vorläufige Leistungsgewährung bei unklarer sachlicher Zuständigkeit) findet nur Anwendung bei Sozialleistungen.

Eine Inobhutnahme wird beendet durch die Entscheidung über die Gewährung von Hilfe nach dem Sozialgesetzbuch (§ 42 Abs. 4 Nr. 2 SGB VIII). Diese Hilfeformen können alle Sozialleistungen des gesamten Sozialgesetzbuchs sein, die vor dem Hintergrund der der Inobhutnahme zugrunde liegenden Gefährdung gewährt werden (Schmidt in BeckOGK, SGB VIII, § 42 Rn. 168). Eine Anwendung des § 43 SGB I bedarf es in dieser Situation nicht, da die Inobhutnahme erst nach der Entscheidung über eine entsprechende Hilfe beendet wird. Daher dürfte keine Hilfelücke vorhanden sein und die Notwendigkeit einer vorläufigen Leistungsgewährung nicht bestehen.

Anders gestaltet sich die Lage, bei Übergang vom Leistungssystem des SGB VIII gemäß § 2 Abs. 2 SGB VIII (außerhalb von § 35a und § 41, 35a SGB VIII) in das Leistungssystem der Eingliederungshilfe nach Teil 2 SGB IX. Bei einem Antrag auf Leistungen zur Teilhabe ist § 43 SGB I nicht anzuwenden (§ 24 S. 3 SGB IX). Der Gesetzgeber stellt damit sicher, dass im Falle streitiger Zuständigkeit insoweit die Regelungen zur Zuständigkeitsklärung (§§ 14, 15 SGB IX) und Kostenerstattung (§ 16 SGB IX) zwischen Rehabilitationsträgern vorgehen (BT-Drs. 18/9522, 243).

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Leistungsvoraussetzungen des § 35 a SGB VIII

Muss eine Leistung nach § 35a SGB VIII vorliegen, damit eine Gewährung einer Leistung nach SGB IX infrage kommt?



Antwort:

Leistungsvoraussetzungen des § 35 a SGB VIII

Die Voraussetzungen der Leistungen zur Teilhabe enthält das jeweilige Leistungsgesetz (§ 7 Abs. 1 S. 2 SGB IX). Das Leistungsgesetz des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe ist das SGB VIII. Der Leistungskatalog der Leistungen zur Teilhabe ist zentral in Teil 1 SGB IX für alle Rehabilitationsbereiche geregelt, soweit die Rehabilitationsträger abweichende Leistungen erbringen, werden diese in den jeweiligen Leistungsgesetzen geregelt (BT-Drs. 18/9522, 192). Dies ergibt sich auch aus § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IX, wonach die Vorschriften in Teil 1 SGB IX für die Leistungen zur Teilhabe gelten, soweit sich aus den Leistungsgesetzen nichts Abweichendes ergibt. In § 35a Abs. 3 SGB VIII ist ein abweichender Verweis auf den Leistungskatalog der Eingliederungshilfe in Teil 2 SGB IX enthalten. Dieser Verweis gilt auch im Rahmen der Eingliederungshilfe für junge Volljährige nach § 41 Abs. 2 VIII. Die anderen Leistungsvorschriften des SGB VIII verweisen nicht auf das SGB IX (vgl. z.B. § 27 Abs. 2 S. 1 SGB VIII: „Hilfe zur Erziehung wird insbesondere nach Maßgabe der §§ 28 bis 35 gewährt“). Im Rahmen des SGB VIII können Leistungen zur Teilhabe im Sinne des SGB IX lediglich als Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit seelischer Behinderung nach § 35a SGB VIII oder als Eingliederungshilfe für junge Volljährige mit seelischer Behinderung nach §§ 41, 35a SGB VIII erbracht werden.

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Abgrenzung Elternassistenz und Sozialpädagogische Familienhilfe, Hilfen zur Erziehung

Uns (Eingliederungshilfe) erreichen viele Anträge seitens des ansässigen Jugendamtes auf Elternassistenz für Eltern mit geistiger und/oder seelischer Behinderung. Das Jugendamt leistet in diesen Fällen bereits SPFH oder andere HzE. Im Rahmen dieser Anträge soll die HzE (Jugendhilfe) eingestellt werden und Elternassistenz durch die Eingliederungshilfe gewährt werden. Können Sie zu dieser Schnittstelle etwas sagen?



Antwort:

Abgrenzung Elternassistenz und Sozialpädagogische Familienhilfe, Hilfen zur Erziehung

1. Prüfung Leistungskongruenz:

Eine mögliche Leistungskollision ist nach § 10 SGB VIII aufzulösen. Anwendungsvoraussetzungen des § 10 SGB VIII sind, dass bei beiden infrage stehenden Leistungen die jeweiligen Leistungsvoraussetzungen erfüllt sind und beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind (vgl. beispielhaft: BVerwG 19.10.2011 − 5 C 6/11). In der vorliegenden Situation ist demnach im Einzelfall zu fragen, ob die Leistungsvoraussetzungen der Hilfe zur Erziehung überhaupt noch erfüllt sind. Soweit dies nicht der Fall ist, kann sich die sachliche Zuständigkeit der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX ergeben, ohne dass es zur Anwendung von § 10 SGB VIII kommt, da in diesem Fall nicht bei beiden Leistungen ein Leistungsanspruch besteht. Sind die Leistungsvoraussetzungen der Hilfe zur Erziehung und der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX erfüllt, ist im nächsten Schritt zu fragen, welche Leistungsformen kongruent sind.

2. Reformstufe 3 des BTHG:

Mit der Reformstufe 3 des BTHG wurden Assistenzleistungen erstmals im Leistungskatalog der Eingliederungshilfe explizit geregelt. Zuvor wurden Assistenzleistungen im Rahmen des offenen Leistungskatalogs nach § 55 SGB IX a.F. gewährt. Assistenzleistungen umfassen auch Leistungen an Mütter und Väter mit Behinderungen bei der Versorgung und Betreuung ihrer Kinder (§§ 113 Abs. 3, 78 Abs. 3 SGB IX). Der Gesetzgeber benennt hierbei zwei Kategorien: Elternassistenz und begleitete Elternschaft (BT-Drs. 18/9522, 263). Bei der Elternassistenz handelt es sich um einfache Assistenzleistungen für Eltern mit körperlichen oder Sinnesbehinderungen (BT-Drs. 18/9522, 263). Einfache Assistenzleistungen umfassen die vollständige oder teilweise Übernahme von Handlungen zur Alltagsbewältigung sowie Begleitung der Leistungsberechtigten (§ 78 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 SGB IX). Begleitete Elternschaft hingegen ist ein Fall der qualifizierten Assistenz und umfasst die pädagogische Anleitung, Beratung und Begleitung zur Wahrnehmung der Elternrolle (BT-Drs. 18/9522, 263). Insofern sind die Befähigung der Leistungsberechtigten zu einer eigenständigen Alltagsbewältigung umfasst (§ 78 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 SGB IX). Leistungsempfänger sind in diesem Bereich auf Grund der Personenzentrierung der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX vornehmlich die Eltern und mittelbar das Kind.

3. Sozialpädagogische Familienhilfe (SPFH)

Sozialpädagogische Familienhilfe (SPFH) ist geregelt in § 31 SGB VIII. Sie soll durch intensive Betreuung und Begleitung Familien in ihren Erziehungsaufgaben, bei der Bewältigung von Alltagsproblemen, der Lösung von Konflikten und Krisen sowie im Kontakt mit Ämtern und Institutionen unterstützen und Hilfe zur Selbsthilfe geben (§ 31 S. 1 SGB VIII). Demnach ist SPFH als Hilfe zur Selbsthilfe zu qualifizieren und zielt auf die Stärkung von Problemlösungskompetenzen bei Erziehungsschwierigkeiten (Berneiser in Gesamtkommentar SRB, SGB VIII § 31 Rn. 1). Sie nimmt die gesamte Familie in den Fokus, insofern ist die gesamte Familie auch Leistungsempfänger.

SPFH hat einen weitergehenden Ansatz als Elternassistenz. Elternassistenz gibt Hilfestellung bei der Verrichtung alltäglich anfallender Aufgaben bzw. übernimmt diese Aufgaben vollständig, während SPFH auf Hilfe zur Selbsthilfe abzielt und eher begleitenden Charakter hat. Insoweit besteht keine Leistungskongruenz und es kommt nicht zur Anwendung der Kollisionsregeln des § 10 SGB VIII. Allein der festgestellte Bedarf im Einzelfall ergibt dabei die notwendige Leistung. Soweit eine SPFH gewährt wurde und sich die erzieherische Situation stabilisiert, kann im Einzelfall ein Wechsel zur Elternassistenz angezeigt sein.

SPFH und begleitete Elternschaft haben einen großen Überschneidungsbereich, da beide vorrangig anleitenden und beratenden Charakter haben. Demnach könnte von Leistungskongruenz ausgegangen werden (a.A. DIJuF-Rechtsgutachten JAmt 2020, 452; vgl. zur alten Rechtslage auch differenzierend: Wiesner SGB VIII § 10 Rn. 38e ff.). Die Leistungen nach dem SGB VIII gehen im Grundsatz den Leistungen nach dem SGB IX und XII vor (§ 10 Abs. 4 S. 1 SGB VIII). Abweichend davon gehen Leistungen der Eingliederungshilfe (Teil 2 SGB IX) für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, den Leistungen nach SGB VIII vor (§ 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII). Junge Menschen in diesem Sinne sind Personen die noch nicht 27 Jahre alt sind (§ 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII). Der Vorrang des SGB IX nach § 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII greift nur bei Personen mit körperlicher oder geistiger Behinderung bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres. Ansonsten wäre SPFH nach §§ 27, 31 SGB VIII vorrangig nach § 10 Abs. 4 S. 1 SGB VIII. Nach diesen Vorgaben richtet sich die Zulässigkeit des Zuständigkeitsübergangs.

Letztlich sind auch noch Konstellationen denkbar, in denen es zu einer Doppelzuständigkeit kommt. Beispielhaft könnte das Kind eines Menschen mit Behinderung in einer Hilfe zur Erziehung in der stationären Form untergebracht sein (wenn das Kind selbst keine Behinderung hat) und zur Unterstützung des Menschen mit Behinderung wird während des Aufenthalts des Kindes im elterlichen Haushalt eine Elternassistenz erforderlich.

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