Als Leiter einer Besonderen Wohnform (32 Wohnplätze) und Tagesförderung (16 Vollzeitplätze) für Menschen mit erworbener Hirnschädigung in Hamburg kann ich folgende Erfahrungen beisteuern:
- die Behörden der Eingliederungshilfe in Hamburg (wie auch von anderen Kostenträgern) zeigen sich durch einzelne Sachbearbeiter*innen sehr bemüht, Gesamtplan- und Teilhabeplanverfahren im Sinne des Gesetzes durchzuführen und umzusetzen. Eine behördliche Sachbearbeiterin in Schleswig-Holstein hat sich für einen Betroffenen mehrere Stunden Zeit genommen und mit dessen Zustimmung auch den (zukünftigen) Leistungserbringer teilweise mit einbezogen. Das wirkte vorbildlich, blieb aller leider in den letzten Jahren eine Ausnahme.
- grundsätzlich funktionieren die Abläufe für die Teilnehmer*innen der Tagesförderung besser und schneller
- formell wird zwar nach ICF gearbeitet (wobei Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein eigene Gesamtplan-Formate haben), wenn es um die Ermittlung von Leistungsstufen hinsichtlich der Besonderen Wohnform geht , geben Sachbearbeiter*innen nicht nur in Hamburg mehr oder weniger offen zu, daß sie nach wie vor "metzeln", also nach dem so genannten "Metzler-Verfahren" arbeiten. Wie Bedarfe und Ziele dabei in ICF ermittelt und in das andere System übersetzt werden, bleibt weitgehend unklar.
- die (Hamburger) Behörden haben sich offensichtlich nicht damit auseinander gesetzt, wie sie das Verfahren in/trotz der Pandemie praktisch durchführen können. Persönliche Gespräche sind anscheinend auch mangels technischer Angebote de Fakto nicht möglich. Es wird also überwiegend aufgrund von Aktenlage entschieden.
- Völlig undurchsichtig bleibt, wie und aufgrund welcher Faktenlage die jeweiligen Personengruppen ("geistig behindert", "seelisch behindert", "körperlich behindert", "sinnesbehindert") ermittelt werden. Auch dies geschieht durch unterschiedliche Ärzte aufgrund von Aktenlage. Eine auf den Rollstuhl angewiesene Frau, die an den Folgen eines Schlaganfalls leidet und zusätzlich ein organisches Psychosyndrom aufweist, kann - wie es scheint - in jede Kategorie eingestuft werden, je nachdem, wer entscheidet.
- die Behörden (vor Allem Hamburg) wirken komplett unterbesetzt, sind de Fakto nicht erreichbar und benötigen deutlich mehr Zeit (2-3 Monate minimum, Ausnahmen vorhanden). Das ist sicherlich auch der Pandemie zuzurechnen, aber nicht allein. Umgekehrt besteht hinsichtlich der Berichtspflichten des Leistungserbringers weitaus weniger Kulanz (das gilt auch für alle anderen Behörden und Gerichte, die sich alle Zeit der Welt nehmen und auch auf Amtshaftungsklagen und dergleichen kaum noch reagieren und auch reagieren können. Umgekehrt bleiben immer 4 Wochen Widerspruchsfrist, gerne auch ohne Rechtsmittelbelehrung und inzwischen fast grundsätzlich ohne schriftlichen Bescheid für die Betroffenen).
- die Verschriftlichung der Gesamtpläne hingegen funktioniert meist halbwegs, wenngleich deren Inhalt aufgrund von Entscheidungen auf Aktenlage meist etwas mau anmutet. Aber wie soll man auf diese Weise auch einen Menschen, seine Bedarfe und Ziele erfassen?
Zusammenfassend: In der Tagesförderung ist die Umsetzung der Gesamt- und Teilhabepläne bereits fortgeschritten und besser auf Schiene. Für die Besondere Wohnform hat insbesondere in Zeiten der Pandemie eine technokratische Notlösung mit den alten Instrumenten zulasten einer personenzentrierten Vorgehensweise vorerst die Überhand gewonnen.