Bericht zur zweiten Fragerunde

Zusammenfassung

Bericht zur zweiten Fragerunde

Im Anschluss an die Vorträge von Antje Welke, Dr. Elisabeth Fix und Dr. Martin Danner hatten die Teilnehmer noch einmal die Möglichkeit, ihre Fragen zu stellen.

Frau Dr. Arnade, Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V.

Frage: Welche Bedeutung haben die UN-BRK und der General Comment für die Freie Wohlfahrtspflege?

Frau Dr. Arnade wies mit Verweis auf die Ausführungen von Frau Dr. Fix und Herrn Dr. Danner darauf hin, dass es nicht als Errungenschaft zu loben sei, mit dem BTHG lediglich den Status quo, nämlich den Rechtszustand, wie er seit 2001 bereits bestand, aufrecht erhalten zu haben. Mit 68 Änderungsanträgen zum Gesetz seien die schlimmsten Grausamkeiten verhindert und das alte Recht gesichert worden. Der gesetzlich geregelte Gleichrang zwischen Eingliederungshilfe und Pflege sei keine Errungenschaft, sondern die Perpetuierung des bestehenden Zustandes.

Gem. 103 Abs 1 Satz 2 SGB IX könnten Pflegekassen und Eingliederungshilfeträger jetzt entscheiden, dass Betroffene in eine Pflegeeinrichtung umziehen müssen, das widerspricht Art 19 UN-BRK und dem General Comment.

Die Freie Wohlfahrt mache sich zwar Sorgen um die Zumutbarkeitsregeln beim „Poolen von Leistungen“, stelle die Leistungsform an sich aber nicht infrage. Vielmehr sei Frau Dr. Fix wohl so zu verstehen, dass man lieber mehr poolen wolle, als derzeit erlaubt ist.

Frau Dr. Fix erwiderte, an der Schnittstelle zwischen Eingliederungshilfe und Pflege habe man tatsächlich das Schlimmste verhindern können. Der Gleichrang schütze jedoch auch nicht vor dieser Abgrenzungsproblematik. Die Probleme blieben, wie etwa der § 43 a SGB XI und drohende Verschärfungen in Bezug auf das ambulante Setting. Es dürfe hingegen nicht sein, dass Menschen aus der Wohneinrichtung der Eingliederungshilfe in Pflegeeinrichtungen verschoben würden. Die Freie Wohlfahrt werde daher fordern, den Satz 2 aus dem § 103 SGB IX zu streichen, falls das Gesetz nochmal nachgebessert wird.

Gemeinschaftliche Leistungserbringung dürfe es nur geben, wenn dies gewünscht werde. Die Zumutbarkeitsregeln des § 104 seien im Gesetzgebungsverfahren zuletzt noch verschärft worden. Die Freie Wohlfahrt setze sich auch hier für eine Rechtsänderung ein und unterstütze den General Comment.

Frage aus dem Plenum

Frage: Gleichbehandlung bei den Kosten für angemessenen Wohnraum und bei der Teilhabe am Arbeitsleben

Eine Frage aus dem Plenum betraf den Widerspruch im Gesetzeswortlaut (des § 42 a Abs. 6 SGB XII – Anm. d. Red.), dass die Kosten für angemessenen Wohnraum ab einer bestimmten Höhe den Fachleistungen der Eingliederungshilfe zugeordnet werden. Es gehe vielmehr um Kostenerstattung, d.h. um wirtschaftliche Hilfen im Sinne der Menschen mit Behinderung, um Gleichbehandlung im Bereich der existenzsichernden Leistungen unabhängig von der Wohnform.

Frau Dr. Fix erwiderte, das zunächst überhaupt noch zu klären sei, wie mit dieser 25-Prozent-Regelung umzugehen sei, welche Kostenposition überhaupt zu den existenzsichernden und welche zu den Fachleistungen zu rechnen seien. Im Kern müsse es aber darum gehen, die Fachleistungen künftig entsprechend den individuellen persönlichen Nachteilsausgleichen zu definieren, sie also tatsächlich personenzentriert auszugestalten.

Eine Anregung aus dem Auditorium war darauf gerichtet, auch die Dinge, die mit dem BTHG nicht errungen wurden, zu Themen des Projekts werden zu lassen. Beispielsweise würden Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf und dem angeblich „nicht vorhandenem Leistungsvermögen“ weiterhin von der Teilhabe am Arbeitsleben ausgeschlossen. Dieser Personengruppe gehören ca. 50.000 Menschen in Deutschland an, Schwerst-und Mehrfachbehinderte, psychisch Kranke und Menschen mit erworbenen Hirnschäden. Dazu gehörten also auch Gruppen, die in kurzen Zeiträumen viel schaffen könnten.

Frage aus dem Plenum

Frage: Wie kann man den „Geist des BTHG“ bewahren?

Ein Teilnehmer merkte an, dass bei der Umsetzung eines so komplexen Gesetzes naturgemäß eine Menge zu administrieren sei. Damit seien, seiner Wahrnehmung nach, im Augenblick alle Beteiligten sehr beschäftigt. Wie könne es aber gelingen, sich nicht im Klein-Klein der Einzelthemen zu verlieren, sondern den Raum für die „Seele“, den „Geist“ des BTHG zu öffnen und Partizipation bzw. die Selbstdefinition von Teilhabe in den Prozessen mitschwingen zu lassen und nicht aus den Augen zu verlieren? Wie könnten die Beteiligten zwischen den vielfältigen Interessen der öffentlichen Träger und der Leistungserbringer dafür Raum finden, die Grenzen bestimmen und die Prozesse entsprechend ausbalancieren?

Frau Welke erinnerte daran, dass sowohl Frau Lösekrug-Möller als auch Herr Dr. Schmachtenberg in ihren Beiträgen die Umsetzung der UN-BRK als das über allem stehende Ziel des Gesetzes sichtbar gemacht hätten. Folglich müsse sowohl in den Verhandlungen zu den Rahmenverträgen als auch später in der Gesamtplanung und in den Gesprächen zwischen Leistungsträgern und Leistungserbringern Raum sein für diese beständige Selbstvergewisserung auf allen Seiten. Gerade beim Thema Beratungskompetenzen müssten die Beteiligten Klarheit in ihren jeweiligen Rollen gemeinsam neu erlernen, um in diesem diskursiven Verfahren von der Ermittlung individueller Teilhabeziele bis zur tatsächlichen Leistungserbringung tatsächlich bedarfsgerechte und individuelle Leistungen zu ermöglichen.

Herr Dr. Danner ergänzte, Partizipation sei nicht nur ein leeres Wort oder „schick“. Wenn man betroffene Menschen, wie im Gesetzgebungsverfahren geschehen, beteilige und sich anhöre, wie es sei, jahrelang zwischen den Mühlen zermahlen zu werden, bekomme man auch hilfreiche Hinweise und lerne einander besser zu verstehen. Wenn Partizipation so gelebt werde, wäre die Umsetzung des Gesetzes kein so technokratischer Akt, sondern ein Diskurs mit allen Beteiligten.

Frau Dr. Fix schloss die Diskussion mit einem optimistischen Statement ab. Zwar operiere der Gesetzgeber selbst in einem Spannungsfeld zwischen „Personenzentrierung“ einerseits und „Höhe der Leistungspauschalen“, die in den Landesrahmenverträgen festzusetzen seien und „Leistungstypen“ andererseits. Es werde darauf ankommen, dass nicht nur die Leistungserbringer diesen Umsetzungsprozess mit kritisch-konstruktivem Auge begleiten. Auch die Betroffenen müssten sich mit ihren Selbsthilfeverbänden lautstark zu Wort melden.

Unter der kritischen Begleitung der Beteiligten könne es gelingen, mit dem BTHG nicht nur den Status quo zu bewahren, sondern die Einrichtungsperspektive zugunsten der Personenzentrierung tatsächlich hinter sich zu lassen und auf diese Weise wirklich etwas weiter zu entwickeln.

Zum Nachhören

Audioaufnahme der zweiten Fragerunde

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