Leistungsberechtigung bei Menschen mit einem Fetalen Alkoholsyndrom (FAS)
Mit der Anlehnung an die ICF wird m.M. nach ein wesentlicher hilfebedürftiger Personenkreis ausgeschlossen. Menschen mit einem Fetalen Alkoholsyndrom, FAS/ FASD. Hier reden wir von zur Zeit ungefähr 10 000 Geburten per Anno mit anerkanntem FASD, davon ca. 4000 Menschen mit einem Vollbild. Die Schätzung der Dunkelziffer beträgt konservativ noch einmal ca. 10/15 tsd Geburten in D pro Jahr. Hier einmal eine Listung der neurologischen, mentalen und psychopathogenen Störungen und ihrer Gewichtung bei Menschen mit einem FASD Syndrom.
Geistige Entwicklungsverzögerung
89% (Lö), 83% (Maj), 93% (Sp)
Sprachstörungen
80% (Shaywitz et al. 1984)
Hörstörungen
ca.20% (Lö)
Eß- und Schluckstörungen
ca.30% (Lö)
Schlafstörungen, Pavor nocturnus
ca.40% (Lö)
Muskul. Hypotonie, Muskeldysplasie
57% (Maj), 65% (Sp)
Verminderte Schmerzempfindlichkeit
ca.20% (Lö)
Feinmotorische Dysfunktion
ca.80% (Lö)
Krampfanfälle
6% (Lö)
Verhaltensstörungen
Hyperaktivität, Hyperexzitabilität
72% (Lö), 72% (Sp), 74% (Maj)
Distanzlosigkeit, Vertrauensseligkeit
ca.50% (Lö)
Erhöhte Risikobereitschaft, Waghalsigkeit
ca. 40%
Autismus
3% (Lö)
Aggressivität, dissoziales Verhalten
ca.3% (Lö)
Emotionale Instabilität
ca. 30%
Quelle: Uni due.2001
Dazu kommen noch teilweise organische Fehlbildungen/Probleme wie z.B. Enuresis, Enkopresis, Missbildungen an inneren Organen etc.
Das Problem für die Anerkennung als Behinderung sind zum einen die individuell unterschiedlich ausgeprägten Einschränkungen im Individuum, andererseits dass betroffene Menschen sehr wohl über einen normalen IQ verfügen, auch sonst über keine definierten Behinderungsmerkmale verfügen, aber aufgrund ihrer mentalen Schädigung nicht alleine am Leben teilhaben können. Hierzu verweise ich auf die aktuellen Unfall- bzw. Delinquent- Untersuchungen. Eine weitere (Kurz)-Informationsquelle wäre:
Fasq.eu
sowie u.a. die Veröffentlichung von : Dr Feldmann , Fetales Alkoholsyndrom, Berlin 2012.
Nach derzeitiger Definition von ICF würde damit eine der zahlenmäßig größten Gruppen von Menschen mit Behinderungen aus der Definition – und den damit verbundenen notwendigen Hilfestellungen ausgeschlossen.
Selbst wenn dies z.B. aus finanziellen Gründen gewünscht ist, wäre das m.M. nach eine recht kurzfristige Sichtweise. Ich behaupte mal kühn, dass die Folgekosten in Justiz, Krankenkassen und für komorbide Störungen volkswirtschaftlich deutlich höher liegen als bei einer direkten Hilfestellung für die Menschen mit FAS.
Ein weiteres Faktum bei Kindern/Jugendlichen mit FASD ist, dass über 80% der Betroffenen (ohne Dunkelziffer) nicht bei den leiblichen Eltern leben, sondern in Pflege, Adoptivfamilien sowie Einrichtungen der Jugendhilfe leben. Diesem Umstand müsste hier auch dringend Rechnung getragen werden, da diese Familien einen erheblichen Anteil z.Z. weitestgehend unhonoriert, an gesamtgesellschaftlichen Aufgaben „übernommen“ haben.
Antwort:
FAS im Rahmen der ICF und des Abschlussberichts
Mit Hilfe des bio-psycho-sozialen Modells der ICF können die Wechselwirkungen unterschiedlicher Komponenten bei einer diagnostizierten Gesundheitsstörung beschrieben werden. Komponenten sind die Körperfunktionen und -strukturen, die Aktivitäten und Teilhabe sowie die Kontextfaktoren. Die von ihnen im Zusammenhang mit einem fetalen Alkoholsyndrom im Zusammenhang stehenden Schädigungen der körperlichen Funktionen und Beeinträchtigungen der Aktivitäten können unseres Erachtens voll umfänglich mit Hilfe der ICF beschrieben werden. Hinzu kommen noch die Folgen der Wechselwirkungen der Umweltfaktoren sowie personbezogener Faktoren mit den beschriebenen Schädigungen bzw. Beeinträchtigungen, die in der Gesamtbetrachtung ein realistisches Bild einer im individuellen Fall bestehenden Teilhabebeeinträchtigung geben. Aus sozialmedizinischer Sicht ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass sich die funktionellen Beeinträchtigungen beim FAS nicht immer leicht erkennen und zuordnen lassen. Nicht selten wird von den Betroffenen auch die Diagnose FAS ungern angegeben. Es kommt deshalb darauf an, die Beeinträchtigungen möglichst genau zu beschreiben und der zugrundeliegenden Gesundheitsstörung zuzuordnen. Dann kann man die Auswirkungen auf die Teilhabe im Zusammenwirken mit den Kontextfaktoren gut erfassen und in der ICF vollständig abbilden.
Dies hat sich auch in der Untersuchung zum Personenkreis nach Art 25a BTHG (BT-Drucksache 19/4500) gezeigt, wo sich bei der Aktenanalyse eine ganze Reihe von Menschen mit FAS fanden, bei denen die Teilhabebeeinträchtigungen ausreichend gut erfasst wurden.