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BTHG-Kompass 4.3

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Inhaltsverzeichnis

BTHG-Kompass 4.3

Hilfen für junge Volljährige, Persönliches Budget

Gibt es eine Möglichkeit der Kostenübernahme durch die Eingliederungshilfe für  die Betreuung in einer vollstationären Jugendhilfeeinrichtung, wenn man erwachsen ist und eine Behinderung hat?

Die junge Frau lebt in einer Wohngruppe der Eingliederungshilfe. Sie ist 23 Jahre alt und sowohl leicht körperlich behindert, als auch psychisch erkrankt aufgrund von Traumatisierungen. Weil sie einen hohen Unterstützungsbedarf hat, kann die Einrichtung, in der sie derzeit lebt, ihren Bedürfnissen nicht gerecht werden. Gleichzeitig gibt es nur sehr wenige andere Einrichtungen für Erwachene, die frauenspezifisch sind und eine hohe Betreuungsdichte haben. In der Jugendhilfe aber gibt es viele Wohngruppen, die speziell für traumatisierte Mädchen sind und die einen hohen Personalschlüssel haben. Gibt es die Möglichkeit, dass die Eingliederungshilfe dann Maßnahmen nach SGB VIII übernimmt? Oder gibt es da absolut keine Möglichkeit?



Antwort:

Hilfen für junge Volljährige, Persönliches Budget

Die Leistungsgewährung als Hilfe für junge Volljährige scheidet nach § 41 Abs. 1 S. 2 SGB VIII aus, da ein Neubeginn nach Vollendung des 21. Lebensjahres ausgeschlossen ist. Vorliegend hat die junge Person das 21. Lebensjahr vollendet.

Nach der Sachverhaltsschilderung ist von einer Leistungsberechtigung nach § 99 SGB IX auszugehen. Grundsätzlich darf der Träger der Eingliederungshilfe seine Leistungen nur bewilligen, soweit eine schriftliche Vereinbarung zwischen dem Träger des Leistungserbringers und dem für den Ort der Leistungserbringung zuständigen Träger der Eingliederungshilfe besteht (§ 123 Abs. 1 S. 1 SGB IX). Von diesem Grundsatz lässt § 123 Abs. 5 SGB IX Ausnahmen zu. Danach darf der Träger der Eingliederungshilfe die Leistungen durch Leistungserbringer, mit denen keine schriftliche Vereinbarung besteht, nur erbringen, soweit dies nach der Besonderheit des Einzelfalles geboten ist, der Leistungserbringer ein schriftliches Leistungsangebot vorlegt, das für den Inhalt einer Vereinbarung nach § 125 SGB IX gilt, der Leistungserbringer sich schriftlich verpflichtet, die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungserbringung zu beachten, der Leistungserbringer sich schriftlich verpflichtet, bei der Erbringung von Leistungen die Inhalte des Gesamtplanes nach § 121 SGB IX zu beachten und die Vergütung für die Erbringung der Leistungen nicht höher ist als die Vergütung, die der Träger der Eingliederungshilfe mit anderen Leistungserbringern für vergleichbare Leistungen vereinbart hat. Sofern diese Voraussetzungen erfüllt werden, könnte eine Unterbringung in einer Einrichtung der Jugendhilfe möglich sein. Die Sonderregel des § 134 Abs. 4 SGB IX ist vorliegend nicht einschlägig.

Grundsätzlich besteht auch die Möglichkeit der Gewährung einer solchen Leistung als Persönliches Budget nach § 29 SGB IX, wobei dafür eine Zielvereinbarung nach den Maßgaben des § 29 Abs. 4 SGB IX abgeschlossen werden muss.

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Eingliederungshilfe und Hilfen zur Erziehung

Eine minderjährige Person erkrankt an Diabetes und verweigert die Insulin-Spritzen und die Schulbesuche aus Scham. Die Eltern sehen als letzten Ausweg ein Internat für Personen mit Diabetes. Zählt diese Hilfe als Teilnahme an Bildung? Und wenn nicht, wie ist die Hilfe sonst zu kategorisieren? Ist bei dieser Hilfe ein Kostenbeitrag aufgrund von häuslicher Ersparnis von den Eltern einzufordern? Wie gestaltet es sich mit dem Kostenbeitrag, wenn die Leistungsberechtigte volljährig ist? Wird dann der Pauschalbetrag von 24,68 € gem. §142 Abs. 2 SGB IX fällig?



Antwort:

Eingliederungshilfe und Hilfen zur Erziehung

I. Leistungen der Eingliederungshilfe nach Teil 2 SGB IX

Nach Auffassung des LSG Baden-Württemberg (07.11.2019 – L 7 SO 1832/18) kann eine alleinige Erkrankung an Diabetes mellitus keine Leistungsberechtigung nach § 99 SGB IX zur Folge haben, sofern die erkrankte Person medikamentös eingestellt und auch um im Umgang mit der Krankheit geschult ist. Vorliegend erscheint dies jedoch nicht der Fall zu sein, da die Insulin-Therapie und der Schulbesuch verweigert wird (vgl. zu einem ähnlich gelagerten Fall: DIJuF-Rechtsgutachten JAmt 2020, 154). Ohne genaue Kenntnis des Sachverhalts (unter Einbezug sämtlicher Gutachten) kann von hieraus keine abschließende Wertung vorgenommen werden. Eine Internatsunterbringung dürfte als Leistung zur Teilhabe an Bildung in Form der Hilfe zu einer Schulbildung als sonstige Maßnahme nach § 112 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 3 SGB IX gelten. Die sonstigen Maßnahmen erforderlich und geeignet sein, der leistungsberechtigten Person den Schulbesuch zu ermöglichen oder zu erleichtern (§ 112 Abs. 1 S. 3 SGB IX). Nach der Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg (28.10.2019 – 12 S 1821/18) muss eine Gesamtschau im Einzelfall unter Abwägung aller Aspekte erfolgen, Maßnahme muss im Einzelfall geeignet sein, die Behinderungsfolgen zu mildern oder zu beseitigen und Teilhabeziel zu erreichen. Das könnte vorliegend der Fall sein.

 II. Hilfe zur Erziehung

Soweit eine dem Wohl des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist, könnte auch ein Anspruch auf Hilfe zur Erziehung nach § 27 SGB VIII bestehen. Hier könnte eine Leistungsgewährung in Form der Unterbringung in Heimerziehung oder einer sonstigen betreuten Wohnform nach § 34 SGB VIII mit einem entsprechenden Internat in Frage kommen.

 III. Auflösung einer etwaigen Konkurrenz

Bejaht man die beiden Leistungsansprüche nach Teil 2 SGB IX und der Hilfe zur Erziehung ist die Konkurrenz anhand von § 10 SGB VIII aufzulösen. Zum Eingreifen der Regelungen des § 10 SGB VIII müssen die infrage stehenden Leistungsformen auch kongruent sein. Leistungskongruenz ist nach einer vielzitierten Formel des BVerwG (welche auch die sozialgerichtliche Rechtsprechung übernommen hat) anzunehmen wenn, beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind (vgl. beispielhaft: BVerwG 19.10.2011 − 5 C 6/11). Dies ist eine Frage des Einzelfalls, wobei hier von Leistungskongruenz ausgegangen wird (vgl. BVerwG 23.09.1999 - 5 C 26/98; 09.02.2012 - 5 C 3.11).

Die Leistungen nach dem SGB VIII gehen im Grundsatz den Leistungen nach dem SGB IX und XII vor (§ 10 Abs. 4 S. 1 SGB VIII). Abweichend davon gehen Leistungen der Eingliederungshilfe (Teil 2 SGB IX) für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, den Leistungen nach SGB VIII vor (§ 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII). Junge Menschen in diesem Sinne sind Personen die noch nicht 27 Jahre alt sind (§ 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII). Insofern wäre die stationäre Unterbringung über Teil 2 SGB IX vorrangig.

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Eingliederungshilfe nach 35a SGB VIII bei Vorliegen eines Pflegegrades

Ist das Vorliegen eines Pflegegrades 3 zwingend ein Ausschlusskriterium, um Eingliederungshilfe nach 35a SGB VIII zu erhalten?

Eine Grundschülerin mit der Diagnose ADHS, die aufgrund dieser seelischen Störung einen Pflegegrad hat, begehrt Eingliederungshilfe nach 35a SGB VIII in Form eines Integrationshelfers. Eine Teilhabebeeinträchtigung ist in keinem Bereich zu erkennen, so dass der Antrag abgelehnt wurde.

Ein Widerspruch verweist auf den Pflegegrad und die Notwendigkeit, die seelische Behinderung durch einen Integrationshelfer entgegen zu wirken.

Ist der Antrag aufgrund des Pflegegrades an den Träger der Eingliederungshilfe weiterzuleiten?



Antwort:

Eingliederungshilfe nach 35a SGB VIII bei Vorliegen eines Pflegegrades

Nach § 13 Abs. 3 Satz 3 SGB XI bleiben die Rehabilitationsleistungen des SGB VIII, mithin die Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII, unberührt; sie sind im Verhältnis zur Pflegeversicherung ausdrücklich nicht nachrangig, vgl. auch § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII.

Nach § 10 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII, der gegenüber § 13 SGB XI eine tatbestandliche Erweiterung enthält, dürfen Leistungen des SGB XI nicht deshalb versagt werden, weil nach dem SGB VIII entsprechende Leistungen vorgesehen sind. Handelt es sich daher um einen Pflegebedarf, so sind die Leistungen des SGB XI gegenüber der Jugendhilfe vorrangig zu erbringen.

Als Ausnahme bestimmt § 13 Abs. 3 Satz 3 SGB XI i.V.m. § 71 SGB XI, dass die notwendigen Hilfen in stationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe auch die Pflegeleistungen umfassen. Erbrachte Pflegeleistungen  werden die in diesen Einrichtungen nach § 43a SGB XI pauschal abgegolten.         

Für die Frage eine Vor- oder Nachrangs  ist allerdings Voraussetzung, dass Leistungskongruenz besteht.

Die Eingliederung bezieht sich neben den rein medizinischen und beruflichen Anteilen der Hilfe auch auf eine soziale Teilhabe, d.h. auf das gesamte Lebensumfeld des behinderten Menschen, seine Frühförderung und Elementarerziehung, auf die Vorbereitung und Ermöglichung des Schul- und Hochschulbesuchs, auf Freizeit- und Sportangebote, auf die Förderung von Ausbildung, Beruf und die Teilnahme am öffentlichen Leben, auch durch persönliche Assistenzangebote, auf die Beratung und psychosoziale Unterstützung des behinderten Menschen und seiner Familie bis hin zu den Hilfen für das Wohnen im Rahmen offener Hilfen außerhalb stationärer Einrichtungen (§ 35a Abs. 3 SGB VIII, §§ 77, 78, 113 SGB IX).

Dagegen ist die Pflege trotz des mittlerweile offeneren Pflegebedürftigkeitsbegriffs tendenziell weiterhin am Maßstab von Verrichtungsdefiziten (§ 14 SGB XI) orientiert und will grundsätzlich auch nur hier einen Ausgleich schaffen. Insofern sind die Eingliederungshilfen umfassender als die Pflegehilfen, konzentrieren sich nicht nur auf funktionale Einschränkungen im Sinne einer spezifischen Gebrechlichkeitspflege, sondern auch und vor allem auf die behinderungsbedingten Beeinträchtigungen im Bereich der gesellschaftlichen Teilhabe.

Daher sind selbst  bei einem hohen Grad der Pflegebedürftigkeit Eingliederungshilfeleistungen nicht ausgeschlossen.

(vgl. Luthe in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 2. Aufl., § 10 SGB VIII, Stand: 05.07.2021, Rn. 42)

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