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BTHG-Kompass 4.3

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Inhaltsverzeichnis

BTHG-Kompass 4.3

Orientierung bei Leistungen zur Betreuung in einer Pflegefamilie

Ich habe einige Fragen zu der Höhe der Leistungen für Minderjährige Leistungsberechtigte nach § 80 SGB IX. Im Rahmen des § 54 Abs. 3 SGB XII der ja bis 31.12.2019 galt, bestand die Empfehlung sich bei der Höhe der Leistungen an den Pauschalsätzen der Jugendämter zu orientieren (vgl.: DIJUFTG-1016, Rn 11). Die Praxis ergab auf dieser Grundlage häufig, dass Kooperationsvereinbarungen zwischen Jugendämtern und Sozialämtern getroffen wurden, in denen geregelt wurde, dass etwa auch höhere Bedarfssätze für entwicklungsbeeinträchtige Kinder und Jugendliche gezahlt wurden. Wie ist die Regelung in Bezug auf die neuerdings geltenden Rechtsgrundlagen § 80 SGB IX i.V.m. § 134 Abs. 3 SGB IX? Gibt es hier auch entsprechende Empfehlungen sich an den Bedarfssätzen der Jugendhilfe zu orientieren? Soll andernfalls mit jeder Pflegefamilie selbst eine Vereinbarung getroffen werden? Soll dann jede einzelne Pflegefamilie als Leistungserbringer eine Konzeption erstellen um zu bestätigen, dass sie auf Minderjährige ausgerichtet ist? Ist irgendwo angemerkt oder vorgesehen, dass zur fachlichen Begleitung der Pflegestelle die Kooperation mit dem Jugendamt als Leistungsträger der Beratung und Unterstützung nach § 37 ff. SGB VIII gesucht werden soll?



Antwort:

Orientierung bei Leistungen zur Betreuung in einer Pflegefamilie

Nach § 80 S. 4 SGB IX bleiben die Regelungen über Verträge mit Leistungserbringern unberührt. Diese Bestimmung bestand in § 54 Abs. 3 SGB XII a.F. nicht. Die Gesetzesbegründung enthält keine Aussage zu § 80 S. 4 SGB IX (vgl. BT-Drs. 18/9522, 264). Die allgemeinen Grundsätze des Vertragsrechts nach § 123 SGB IX und die Sonderregel für Minderjährige nach § 134 SGB IX sind nach § 80 S. 4 SGB IX insofern auch bei den Leistungen der Eingliederungshilfe nach §§ 113, 80 SGB IX anwendbar. Der Träger der Eingliederungshilfe darf Leistungen der Eingliederungshilfe durch Dritte (Leistungserbringer) nur bewilligen, soweit eine schriftliche Vereinbarung zwischen dem Träger des Leistungserbringers und dem für den Ort der Leistungserbringung zuständigen Träger der Eingliederungshilfe besteht (§ 123 Abs. 1 S. 1 SGB IX). Leistungserbringer in diesem Sinne dürften auch Pflegepersonen sein. Insofern sind mit diesen Personen Leistungsvereinbarungen nach § 134 SGB IX zu schließen. Zielführend dürfte auch hier sein, wenn sich der Träger der Eingliederungshilfe bei den Leistungsvereinbarungen an den Sätzen der Jugendhilfe orientiert, um einen entsprechenden Gleichklang sicherzustellen. Pflegepersonen für Minderjährige haben einen Anspruch auf Beratung und Unterstützung nach § 37a SGB VIII. Diese Punkte dürften sich zielführend in einer Kooperationsvereinbarung zwischen dem Träger der Eingliederungshilfe und dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe abbilden lassen.
 

Leistungskollision und Leistungskongruenz

In der Praxis kommt häufig vor, dass Pflegekinder zunächst im Rahmen der Jugendhilfe nach § 42 (Inobhutnahme)oder 33 (Vollzeitpflege) SGB VIII untergebracht werden. Im Verlauf der Entwicklung des Kleinkindes zeigen sich dann erst später Bedarfe im Sinne des SGB IX (körperliche/geistige Behinderung). Dann kommt es aufgrund der Vorrang-/Nachrangregelung des § 10 SGB VIII zu einem Zuständigkeitswechsel von der Jugendhilfe zur Eingliederungshilfe. Kann in solchen Fällen von Leistungskongruenz ausgegangen werden (Fallbeispiele: Pflegekind hat Gaumenspalte und Entwicklungsverzögerung; Pflegekind hat Tremor an einer Hand aber sonst keine Entwicklungsauffälligkeiten)? Was passiert mit den Leistungsansprüchen der Jugendhilfe nach § 37 SGB VIII und mit den Aufgaben nach § 37 b SGB VIII? In der Gesetzesbegründung des § 54 SGBXII wurde geschildert, dass ein Kind aus einer vollstationären Einrichtung der Eingliederungshilfe in eine Pflegefamilie wechseln können sollte. Der Fall, dass ein Kind aus einer Pflegefamilie der Jugendhilfe in eine Maßnahme der Eingliederungshilfe überführt wird, spielte jedoch keine Rolle (vgl.: BT-Drucks.16/13417, 6). Dort wurde ausgeführt, dass sich die Regelung des § 54 SGB XII von der Regelung des § 33 SGB VIII unterscheiden würde, weil nicht von einemerzieherischen Defizit ausgegangen werden könne, dass mit Hilfe von Elternarbeit nach § 37 SGB VIII ausgeglichen werden könne. In Bezug auf den Regelvorgang in der Kooperation der Pflegekinderhilfe zwischen Jugendamt und Sozialamt, nämlich den hier geschilderten Übergang einer Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII in eine Maßnahme nach § 80 SGB IX, verfehlt diese Einschätzung allerdings die Realität. Hier liegt sehr wohl ein erzieherisches Defizit vor, denn es kam ja zu einer Jugendhilfe. Lediglich die Feststellung einer körperlichen oder geistigen Behinderung führte zum Übergang in die Eingliederungshilfe. Wie wird also die gesamte Fachlichkeit des Pflegekinderwesens in diesen Fallkonstellationen sichergestellt? Ist die Regelung damit noch Rechtskonform, wenn insbesondere der Art. 6 GG in den Raum gestellt wird. Das SGB VIII berücksichtigt an jeder Stelle dieses Grundrecht, insbesondere auch in Bezug auf die ganze Breite der Annexregelungen des SGB VIII wie eben die Regelungen der § 37 ff. SGB VIII. Das SGB IX jedoch verfängt ohne jeden Bezug auf diese Regelungen des SGB VIII(außer § 44) und gleichzeitig wird Leistungskongruenz unterstellt? Ichbezweifle, dass die Fachkommissionen diese Aspekte ausreichend berücksichtigt haben.



Antwort:

Leistungskollision und Leistungskongruenz

Für die Abgrenzung der Leistungen des SGB VIII zu Leistungen anderer Teile des Sozialgesetzbuchs enthält § 10 SGB VIII die Kollisionsregeln. Zum Eingreifen des § 10 SGB VIII muss bei beiden infrage stehenden Leistungen ein Leistungsanspruch bestehen (d.h. die Leistungsvoraussetzungen aus unterschiedlichen Teilen des SGB müssen erfüllt sein) und es muss zwischen den Leistungsformen Kongruenz bestehen (vgl grundlegend: BVerwG 23.09.1999 – 5 C 26/98). D.h. es kann durchaus sein, dass ein erzieherischer Bedarf im Sinne des § 27 SGB VIII gegeben ist, es sich jedoch gleichzeitig um eine leistungsberechtigte Person nach § 99 SGB IX handelt.
Leistungskongruenz ist nach einer vielzitierten Formel des BVerwG (welche auch die sozialgerichtliche Rechtsprechung übernommen hat) anzunehmen, wenn beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind (vgl beispielhaft: BVerwG 19.10.2011 − 5 C 6/11). Dafür stellt das Gesetz nicht auf einen Schwerpunkt in Bezug auf eine der beiden Hilfeleistungen ab, sondern allein auf die Art der miteinander konkurrierenden Leistungen (BVerwG 23.09.1999 - 5 C 26/98). Die Leistungsberechtigung spielt für diese Prüfung keine Rolle, es kommt allein darauf an, dass der Leistungsempfänger dieselbe Person ist (BVerwG 19.10.2011 – 5 C 6/11). Prinzipiell ist von Kongruenz bei Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII und Leistungen zur Betreuung in einer Pflegefamilie nach § 80 SGB IX auszugehen.
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, löst § 10 SGB VIII die Konkurrenz auf. Die Leistungen nach dem SGB VIII gehen im Grundsatz den Leistungen nach dem SGB IX und XII vor (§ 10 Abs. 4 S. 1 SGB VIII). Abweichend davon gehen Leistungen der Eingliederungshilfe (Teil 2 SGB IX) für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, den Leistungen nach SGB VIII vor (§ 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII). Junge Menschen in diesem Sinne sind Personen die noch nicht 27 Jahre alt sind (§ 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII). Insofern wäre die stationäre Unterbringung über Teil 2 SGB IX vorrangig.
Unabhängig davon besteht ein Anspruch nach §§ 37 und 37a SGB VIII.
 

Beitragsfreiheit bei Hilfsmitteln

Wird der Einbau eines Homelifts für ein noch nicht eingeschultes Kind zur Befähigung einer möglichst selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Lebensführung im eigenen Wohnraum an das Einkommen der Eltern gekoppelt oder ist die Leistung beitragsfrei? 

Ein zweieinhalbjähriges Kind mit Behinderung (100%) hat eine fortschreitende Muskelerkrankung und kann nicht laufen oder frei stehen und wird eine zunehmende Schwäche in Armen und Beinen entwickeln. Dies kann so weit gehen, dass es womöglich irgendwann Arme und Beine nicht mehr bewegen kann.  Beim Bau eines Einfamilienhauses ist beabsichtigt, zur Überwindung der Barriere vom EG in den 1. Stock und aufgrund der Schwäche in den Gliedmaßen ein Homelift anzuschaffen, der nur mit einmaligem Drücken zu betätigen ist (die meisten Plattformlifte haben eine Totmannsteuerung, die man dauerhaft betätigen muss, damit sich die Plattform bewegt. Dies wäre aufgrund des Alters und der zunehmenden Schwäche in den Händen ungünstig).  Gemäß § 138 Absatz 1 Satz 7 SGB IV heißt es, „Ein Beitrag ist nicht aufzubringen bei Leistungen nach § 113 Absatz 1, die noch nicht eingeschulten leistungsberechtigten Personen die für sie erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen sollen“. Gemäß § 113 Absatz 1 wiederum gehört hierzu auch, Leistungsberechtigte zu einer möglichst selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Lebensführung im eigenen Wohnraum zu befähigen. Somit erscheint denkbar, dass aufgrund des Alters Gehalt und Vermögen der Eltern gar nicht zur Förderung des Homelifts herangezogen würde und die Übernahme der Kosten evtl. auch erstattet werden, obwohl ggf. Einkommensgrenzen überschritten werden.



Antwort:

Beitragsfreiheit bei Hilfsmitteln

§ 138 Abs. 1 SGB IX schließt einen Beitrag nur für die dort abschließend aufgezählten Leistungen aus. Der Verweis in § 138 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX auf § 113 Abs. 1 SGB IX ist mit dem Zusatz in § 138 Abs. 1 Ziffer 7 SGB IX versehen, dass die Leistungen der Sozialen Teilhabe den noch nicht eingeschulten leistungsberechtigten Personen die für sie erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen sollen. Der Schluss, dass dann auch die in § 113 Abs. 1 Satz 2 SGB IX aufgeführte Befähigung und Unterstützung Leistungsberechtigter zu einer möglichst selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Lebensführung im eigenen Wohnraum umfasst sein kann, erscheint dem reinen Wortlaut nach nicht fernliegend.

Die Rechtsprechung geht davon aus, dass primär schulpflichtige Kinder und Jugendliche, die nicht beschult werden können gemeint sind. Der Schwerpunkt der Hilfen muss hierbei bei spezifischen Bildungszielen liegen (BSG 20.9.2012 – B 8 SO 15/11 R, SRa 2013, 131; 12.12.2013 – B 8 SO 18/12 R, BeckRS 2014, 68241 Rn. 21).

Bei dem Einbau eines Personenaufzuges, der einem behinderten, noch nicht beschulten Kind zur Verfügung steht, handelt es sich um eine Hilfe bei der Beschaffung, dem Umbau, der Ausstattung und der Erhaltung einer Wohnung, die den besonderen Bedürfnissen des behinderten Menschen entspricht. Die gewünschte Maßnahme ist somit sach- und nicht personenbezogen und betrifft nicht das Bildungsrecht (ebenso BSG 20.9.2012 – B 8 SO 15/11 R, SRa 2013, 131). (Grube/Wahrendorf/Flint/Giere, 7. Aufl. 2020, SGB IX § 138 Rn. 11)

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