Eingliederungshilfe und Pflege in besonderen Wohnformen
Auch in der Behindertenhilfe steigt die Zahl der älteren Nutzer_innen, u.a., da die Baby-Boomer Generationen in das Alter(n) kommen. Im Bereich der stationären Wohnangebote für älter werdende Menschen mit einer seelischen Behinderung stellt sich dabei die Herausforderung, dass einerseits Wohnangebote z.B. hinsichtlich der Barrierearmut wie der Personalausstattung nicht unbedingt auf älter werdende Klient_innen eingestellt sind, andererseits z.B. die überörtlichen Träger der Eingliederungshilfe in NRW im Zuge der Ambulantisierung und der Vorgaben des BTHG zu gemeinschaftlichen Wohnformen keine Neubauten stationärer Einrichtungen unterstützen. Um Klient_innen mit seelischer Behinderung vor einem frühzeitigen Einzug in ein SGB XI Pflegeheim zu bewahren, käme intensiv ambulant betreutes Wohnen in Frage, wobei der Träger der Eingliederungshilfe die Berücksichtigung von SGB XI Leistungen erwartet, die jedoch laut § 71 SGB XI an relativ hohe Nachweise gebunden sind, dass die Wohnform nicht einer vollstationären Versorgung durch Eingliederungshilfeleistungen entspricht. Inwiefern gibt es aus den bisherigen Erfahrungen der Umsetzungsbegleitung des BTHG schon Modellprojekte oder rechtliche Empfehlungen, wie Träger von Wohnhilfen der Eingliederungshilfe für ihre älter werdenden und älteren Klient_innen konzeptuell bei neuen Wohnprojekten beide Kostenträgerschaften sinnvoll kombinieren können, so dass die Klient_innen den vollen Leistungsumfang aus beiden Bereichen beziehen können? Über weiterführend fachliche Hinweise würde ich mich als Hochschullehrerin wie ehrenamtlich Engagierte eines Leistungsanbieters sozialpsychiatrischer Angebote freuen.
Antwort:
Eingliederungshilfe und Pflege in besonderen Wohnformen
Nach Inkrafttreten des Leistungsrechtes nach dem Bundesteilhabegesetz zum 1. Januar 2020 erscheint es zielführend, nicht länger von „Intensiv ambulant betreutem Wohnen" zu sprechen, denn eine solche Leistung gibt es nicht mehr. Das Recht der Eingliederungshilfe wurde zugunsten der Assistenzleistungen neu gefasst; entsprechende Literatur aus dem Kontext der Hilfen für Menschen mit seelischer Behinderung liegt vor (bspw. Konrad 2019; Rosemann/Konrad 2017).
Menschen mit seelischer Behinderung und Pflegebedürftigkeit darin zu unterstützen, sich zum Zwecke ihrer pflegerischen Versorgung in einer Wohngruppe zusammen zu tun dürfte – vorbehaltlich der Bedarfsermittlung des Leistungsträgers – als befähigende Assistenzleistung zu persönlichen Lebensgestaltung (§ 78 SGB IX) zu begreifen sein.
Entsprechende Beratung zur Gestaltung des Angebotes und zur Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB XI steht in Nordrhein-Westfalen beispielsweise über den Pflegewegweiser zur Verfügung, der sich explizit auch an Menschen mit Behinderungen richtet.
Ob die Anforderungen des § 71 Abs. 4 SGB XI hoch sind, liegt wohl auch im Auge des Betrachters. Denn nach dieser Vorschrift müssen kumulativ 3 Bedingungen erfüllt sein, damit die Leistungsverpflichtung der Pflegeversicherung auf 266 Euro pro Monat begrenzt werden kann:
1. der Zweck des Wohnens von Menschen mit Behinderungen und der Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe müssen bei dem Angebot im Vordergrund stehen,
2. das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz muss Anwendung finden und schließlich
3. muss der Umfang der Gesamtversorgung der dort wohnenden Menschen mit Behinderungen durch Leistungserbringer regelmäßig einen Umfang erreicht, der weitgehend der Versorgung in einer vollstationären Einrichtung entspricht.
So sich also Menschen mit einer seelischen Behinderung und Pflegebedürftigkeit zusammentun, um eine Pflege – Wohngruppe aufzubauen, ist bereits die 1. Bedingung des § 71 Abs. 4 SGB XI nicht erfüllt. Da die Bedingungen kumulativ gelten, findet die Prüfung der Voraussetzungen bereits hier ihr Ende.
Doch selbst unter der Bedingung, dass wir eine anbieterverantwortete besondere Wohnform nach § 42 a SGB XII vor uns haben, muss die Prüfung nicht viel weitergehen. Denn die 2. Bedingung: Geltung des Wohn – und Betreuungsvertrages setzt entweder den Abschluss eines Vertrages für alle Leistungen (Mietvertrag und Fachleistungen der Eingliederungshilfe) oder bei mehreren Verträgen eine Kopplung von Mietvertrag und Leistungsvertrag für Fachleistungen der Eingliederungshilfe voraus. Auch wenn sich dieses Geschäftsmodell in Teilen der Eingliederungshilfe großer Beliebtheit erfreut, so ist es doch nur in den Regionen sachlich begründet, in denen vor dem Hintergrund eines äußerst angespannten Wohnungsmarktes Nachteile für Menschen mit Behinderungen vermieden werden sollen. In den übrigen Regionen ist eine solche Kopplung nicht erforderlich.
Zur Geltung der 3. Voraussetzung schließlich sei auf die „Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes nach § 71 Abs. 5 Satz 1 SGB XI1 zur näheren Abgrenzung der in § 71 Abs. 4 Nr. 3 Buchstabe c SGB XI genannten Merkmale“ (GKV-Spitzenverband 2019) verwiesen. Im Grunde genommen stellen diese Richtlinien eine Art Handlungsanleitung dar, was konzeptionell und in der Vertragsgestaltung zu vermeiden ist, damit ein Angebot nicht als stationäre Einrichtung im Sinne des § 43a in Verbindung mit § 71 Abs. 4 SGB XI gilt, wenn denn die Bedingungen im Einzelnen so sind, dass die ersten beiden Voraussetzungen des § 71 Abs. 4 Nr. 3 vorliegen.
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