Budget für Arbeit und Erwerbsminderung
Muss für den Erhalt von Leistungen im Rahmen des Budgets für Arbeit bereits eine bestehende Erwerbsminderung i.S.v. § 43 SGB VI vorliegen und ist mit Erwerbsfähigkeit gem. § 49 Abs.1 SGB IX die rentenrechtliche Fähigkeit zu verstehen, mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein zu können?
Antwort:
Budget für Arbeit und Erwerbsminderung
Auf beide Fragen kann schlicht mit „nein“ geantwortet werden. Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Leistungen des Budget für Arbeit ergeben sich aus §§ 61, 58 SGB IX. In diesen ist von „Erwerbsminderung im Sinne des § 43 SGB VI“ nirgends die Rede. § 58 Abs. 1 SGB IX spricht von Menschen, die „wegen Art oder Schwere der Behinderung […] nicht, noch nicht oder noch nicht wieder…“ am allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt oder dafür qualifiziert werden können. Und auch § 61 Abs. 2 SGB IX spricht von einer „Leistungsminderung“. Erwerbsminderung ist schon begrifflich weder erforderlich noch schädlich. Umgekehrt zielen die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gerade darauf, „…die Erwerbsfähigkeit von Menschen mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern“ (§ 49 Abs. 1 SGB IX). Und da Teilhabeleistungen vorrangig vor Rentenleistungen zu gewähren sind, muss deutlich zwischen der Leistungsminderung/verringerten Erwerbsfähigkeit/Teilhabebeeinträchtigung als Voraussetzung für LTA und der Erwerbsminderung für den Bezug einer Erwerbsminderungsrente unterschieden werden. Die rentenrechtlichen Stundengrenzen zur Anerkennung einer teilweisen oder vollen Erwerbsminderung i.S.d. § 43 SGB VI spielen für die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und damit für § 49 Abs. 1 SGB IX keine Rolle.
Vielmehr gilt umgekehrt: Auch Menschen, die eine Rente wegen voller Erwerbsminderung beziehen, haben Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Alles andere wäre ein klarer Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG sowie unvereinbar mit der UN-BRK und dem Recht der EU. Da der Arbeitsmarkt allen Menschen unabhängig von der Schwere ihrer Beeinträchtigung offen stehen muss (vgl. Art. 27 Abs. 1 UN-BRK), müssen auch alle denkbaren Leistungen im Einzelfall in Betracht gezogen und dürfen nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG beinhaltet außer einem Benachteiligungsverbot auch einen Förderauftrag und vermittelt einen Anspruch auf die Ermöglichung gleichberechtigter Teilhabe nach Maßgabe der verfügbaren finanziellen, personellen, sachlichen und organisatorischen Möglichkeiten (vgl. jüngst erneut BVerfG, 30.1.2020, 2 BvR 1005/18, NJW 2020, 1282, Rn. 35).
Literatur