Eine minderjährige Person erkrankt an Diabetes und verweigert die Insulin-Spritzen und die Schulbesuche aus Scham. Die Eltern sehen als letzten Ausweg ein Internat für Personen mit Diabetes. Zählt diese Hilfe als Teilnahme an Bildung? Und wenn nicht, wie ist die Hilfe sonst zu kategorisieren? Ist bei dieser Hilfe ein Kostenbeitrag aufgrund von häuslicher Ersparnis von den Eltern einzufordern? Wie gestaltet es sich mit dem Kostenbeitrag, wenn die Leistungsberechtigte volljährig ist? Wird dann der Pauschalbetrag von 24,68 € gem. §142 Abs. 2 SGB IX fällig?
Antwort:Eingliederungshilfe und Hilfen zur Erziehung
I. Leistungen der Eingliederungshilfe nach Teil 2 SGB IX
Nach Auffassung des LSG Baden-Württemberg (07.11.2019 – L 7 SO 1832/18) kann eine alleinige Erkrankung an Diabetes mellitus keine Leistungsberechtigung nach § 99 SGB IX zur Folge haben, sofern die erkrankte Person medikamentös eingestellt und auch um im Umgang mit der Krankheit geschult ist. Vorliegend erscheint dies jedoch nicht der Fall zu sein, da die Insulin-Therapie und der Schulbesuch verweigert wird (vgl. zu einem ähnlich gelagerten Fall: DIJuF-Rechtsgutachten JAmt 2020, 154). Ohne genaue Kenntnis des Sachverhalts (unter Einbezug sämtlicher Gutachten) kann von hieraus keine abschließende Wertung vorgenommen werden. Eine Internatsunterbringung dürfte als Leistung zur Teilhabe an Bildung in Form der Hilfe zu einer Schulbildung als sonstige Maßnahme nach § 112 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 3 SGB IX gelten. Die sonstigen Maßnahmen erforderlich und geeignet sein, der leistungsberechtigten Person den Schulbesuch zu ermöglichen oder zu erleichtern (§ 112 Abs. 1 S. 3 SGB IX). Nach der Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg (28.10.2019 – 12 S 1821/18) muss eine Gesamtschau im Einzelfall unter Abwägung aller Aspekte erfolgen, Maßnahme muss im Einzelfall geeignet sein, die Behinderungsfolgen zu mildern oder zu beseitigen und Teilhabeziel zu erreichen. Das könnte vorliegend der Fall sein.
II. Hilfe zur Erziehung
Soweit eine dem Wohl des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist, könnte auch ein Anspruch auf Hilfe zur Erziehung nach § 27 SGB VIII bestehen. Hier könnte eine Leistungsgewährung in Form der Unterbringung in Heimerziehung oder einer sonstigen betreuten Wohnform nach § 34 SGB VIII mit einem entsprechenden Internat in Frage kommen.
III. Auflösung einer etwaigen Konkurrenz
Bejaht man die beiden Leistungsansprüche nach Teil 2 SGB IX und der Hilfe zur Erziehung ist die Konkurrenz anhand von § 10 SGB VIII aufzulösen. Zum Eingreifen der Regelungen des § 10 SGB VIII müssen die infrage stehenden Leistungsformen auch kongruent sein. Leistungskongruenz ist nach einer vielzitierten Formel des BVerwG (welche auch die sozialgerichtliche Rechtsprechung übernommen hat) anzunehmen wenn, beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind (vgl. beispielhaft: BVerwG 19.10.2011 − 5 C 6/11). Dies ist eine Frage des Einzelfalls, wobei hier von Leistungskongruenz ausgegangen wird (vgl. BVerwG 23.09.1999 - 5 C 26/98; 09.02.2012 - 5 C 3.11).
Die Leistungen nach dem SGB VIII gehen im Grundsatz den Leistungen nach dem SGB IX und XII vor (§ 10 Abs. 4 S. 1 SGB VIII). Abweichend davon gehen Leistungen der Eingliederungshilfe (Teil 2 SGB IX) für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, den Leistungen nach SGB VIII vor (§ 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII). Junge Menschen in diesem Sinne sind Personen die noch nicht 27 Jahre alt sind (§ 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII). Insofern wäre die stationäre Unterbringung über Teil 2 SGB IX vorrangig.
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