In der Praxis kommt häufig vor, dass Pflegekinder zunächst im Rahmen der Jugendhilfe nach § 42 (Inobhutnahme)oder 33 (Vollzeitpflege) SGB VIII untergebracht werden. Im Verlauf der Entwicklung des Kleinkindes zeigen sich dann erst später Bedarfe im Sinne des SGB IX (körperliche/geistige Behinderung). Dann kommt es aufgrund der Vorrang-/Nachrangregelung des § 10 SGB VIII zu einem Zuständigkeitswechsel von der Jugendhilfe zur Eingliederungshilfe. Kann in solchen Fällen von Leistungskongruenz ausgegangen werden (Fallbeispiele: Pflegekind hat Gaumenspalte und Entwicklungsverzögerung; Pflegekind hat Tremor an einer Hand aber sonst keine Entwicklungsauffälligkeiten)? Was passiert mit den Leistungsansprüchen der Jugendhilfe nach § 37 SGB VIII und mit den Aufgaben nach § 37 b SGB VIII? In der Gesetzesbegründung des § 54 SGBXII wurde geschildert, dass ein Kind aus einer vollstationären Einrichtung der Eingliederungshilfe in eine Pflegefamilie wechseln können sollte. Der Fall, dass ein Kind aus einer Pflegefamilie der Jugendhilfe in eine Maßnahme der Eingliederungshilfe überführt wird, spielte jedoch keine Rolle (vgl.: BT-Drucks.16/13417, 6). Dort wurde ausgeführt, dass sich die Regelung des § 54 SGB XII von der Regelung des § 33 SGB VIII unterscheiden würde, weil nicht von einemerzieherischen Defizit ausgegangen werden könne, dass mit Hilfe von Elternarbeit nach § 37 SGB VIII ausgeglichen werden könne. In Bezug auf den Regelvorgang in der Kooperation der Pflegekinderhilfe zwischen Jugendamt und Sozialamt, nämlich den hier geschilderten Übergang einer Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII in eine Maßnahme nach § 80 SGB IX, verfehlt diese Einschätzung allerdings die Realität. Hier liegt sehr wohl ein erzieherisches Defizit vor, denn es kam ja zu einer Jugendhilfe. Lediglich die Feststellung einer körperlichen oder geistigen Behinderung führte zum Übergang in die Eingliederungshilfe. Wie wird also die gesamte Fachlichkeit des Pflegekinderwesens in diesen Fallkonstellationen sichergestellt? Ist die Regelung damit noch Rechtskonform, wenn insbesondere der Art. 6 GG in den Raum gestellt wird. Das SGB VIII berücksichtigt an jeder Stelle dieses Grundrecht, insbesondere auch in Bezug auf die ganze Breite der Annexregelungen des SGB VIII wie eben die Regelungen der § 37 ff. SGB VIII. Das SGB IX jedoch verfängt ohne jeden Bezug auf diese Regelungen des SGB VIII(außer § 44) und gleichzeitig wird Leistungskongruenz unterstellt? Ichbezweifle, dass die Fachkommissionen diese Aspekte ausreichend berücksichtigt haben.
Antwort:Leistungskollision und Leistungskongruenz
Für die Abgrenzung der Leistungen des SGB VIII zu Leistungen anderer Teile des Sozialgesetzbuchs enthält § 10 SGB VIII die Kollisionsregeln. Zum Eingreifen des § 10 SGB VIII muss bei beiden infrage stehenden Leistungen ein Leistungsanspruch bestehen (d.h. die Leistungsvoraussetzungen aus unterschiedlichen Teilen des SGB müssen erfüllt sein) und es muss zwischen den Leistungsformen Kongruenz bestehen (vgl grundlegend: BVerwG 23.09.1999 – 5 C 26/98). D.h. es kann durchaus sein, dass ein erzieherischer Bedarf im Sinne des § 27 SGB VIII gegeben ist, es sich jedoch gleichzeitig um eine leistungsberechtigte Person nach § 99 SGB IX handelt.
Leistungskongruenz ist nach einer vielzitierten Formel des BVerwG (welche auch die sozialgerichtliche Rechtsprechung übernommen hat) anzunehmen, wenn beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind (vgl beispielhaft: BVerwG 19.10.2011 − 5 C 6/11). Dafür stellt das Gesetz nicht auf einen Schwerpunkt in Bezug auf eine der beiden Hilfeleistungen ab, sondern allein auf die Art der miteinander konkurrierenden Leistungen (BVerwG 23.09.1999 - 5 C 26/98). Die Leistungsberechtigung spielt für diese Prüfung keine Rolle, es kommt allein darauf an, dass der Leistungsempfänger dieselbe Person ist (BVerwG 19.10.2011 – 5 C 6/11). Prinzipiell ist von Kongruenz bei Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII und Leistungen zur Betreuung in einer Pflegefamilie nach § 80 SGB IX auszugehen.
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, löst § 10 SGB VIII die Konkurrenz auf. Die Leistungen nach dem SGB VIII gehen im Grundsatz den Leistungen nach dem SGB IX und XII vor (§ 10 Abs. 4 S. 1 SGB VIII). Abweichend davon gehen Leistungen der Eingliederungshilfe (Teil 2 SGB IX) für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, den Leistungen nach SGB VIII vor (§ 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII). Junge Menschen in diesem Sinne sind Personen die noch nicht 27 Jahre alt sind (§ 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII). Insofern wäre die stationäre Unterbringung über Teil 2 SGB IX vorrangig.
Unabhängig davon besteht ein Anspruch nach §§ 37 und 37a SGB VIII.