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BTHG-Kompass 4.0

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Inhaltsverzeichnis

BTHG-Kompass 4.0

Abgrenzung Stellungnahme nach § 35 a Abs. 1a SGB VIII und Gutachten nach § 17 SGB IX

Wenn die Stellungnahme grundsätzlich ausreicht, wann ist dann ein Gutachten im Sinne des SGB IX erforderlich?



Antwort:

Abgrenzung Stellungnahme nach § 35 a Abs. 1a SGB VIII und Gutachten nach § 17 SGB IX

Ein Leistungsanspruch auf Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII wird dadurch begründet, dass der sog. zweigliedrige Behinderungsbegriff des § 35a Abs. 1 SGB VIII erfüllt ist. Eines dieser Elemente ist nach § 35a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VIII, dass die seelische Gesundheit eines Kindes oder Jugendlichen mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht. Dazu hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe von einer Fachperson nach § 35a Abs. 1a S. 1 SGB VIII eine Stellungnahme einzuholen. Nach dem Gesetzeswortlaut hat sich diese Stellungnahme lediglich auf die Frage der Abweichung der seelischen Gesundheit (§ 35a Abs. 1a S. 1 SGB VIII) und zusätzlich auf die Frage, ob die Abweichung Krankheitswert hat oder auf einer Krankheit beruht (§ 35a Abs. 1a S. 3 SGB VIII), zu beschränken. Ein Gutachten nach § 17 SGB IX hingegen bezieht sich auf den gesamten Rehabilitationsbedarf und bezieht damit auch Teilhabebeeintächtigungen ein (vgl. dazu: Grünenwald/Rössel JAmt 2019, 598, 600). Insofern handelt es sich bei der Stellungnahme nach § 35a SGB VIII nicht um ein Gutachten im Sinne des § 17 SGB IX.

Nach den vorstehenden Ausführungen bleiben für den Bereich der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit seelischer Behinderung nach § 35a SGB VIII zweierlei Möglichkeiten ein Gutachten nach § 17 SGB IX anzufordern. Zum einen kann es naheliegen bei besonders komplexen Bedarfen zusätzlich zur sozialpädagogischen Diagnostik zur Feststellung des Rehabilitationsbedarfs ein Gutachten einzuholen. Zum anderen kann es sich anbieten, sofern ausnahmsweise eine Leistungsgewährung nach einem anderen Leistungsgesetz als leistender Rehabilitationsträger erforderlich ist, dass zu diesen Bedarfen ein Gutachten eingeholt wird.

Orientierung bei Leistungen zur Betreuung in einer Pflegefamilie

Ich habe einige Fragen zu der Höhe der Leistungen für Minderjährige Leistungsberechtigte nach § 80 SGB IX. Im Rahmen des § 54 Abs. 3 SGB XII der ja bis 31.12.2019 galt, bestand die Empfehlung sich bei der Höhe der Leistungen an den Pauschalsätzen der Jugendämter zu orientieren (vgl.: DIJUFTG-1016, Rn 11). Die Praxis ergab auf dieser Grundlage häufig, dass Kooperationsvereinbarungen zwischen Jugendämtern und Sozialämtern getroffen wurden, in denen geregelt wurde, dass etwa auch höhere Bedarfssätze für entwicklungsbeeinträchtige Kinder und Jugendliche gezahlt wurden. Wie ist die Regelung in Bezug auf die neuerdings geltenden Rechtsgrundlagen § 80 SGB IX i.V.m. § 134 Abs. 3 SGB IX? Gibt es hier auch entsprechende Empfehlungen sich an den Bedarfssätzen der Jugendhilfe zu orientieren? Soll andernfalls mit jeder Pflegefamilie selbst eine Vereinbarung getroffen werden? Soll dann jede einzelne Pflegefamilie als Leistungserbringer eine Konzeption erstellen um zu bestätigen, dass sie auf Minderjährige ausgerichtet ist? Ist irgendwo angemerkt oder vorgesehen, dass zur fachlichen Begleitung der Pflegestelle die Kooperation mit dem Jugendamt als Leistungsträger der Beratung und Unterstützung nach § 37 ff. SGB VIII gesucht werden soll?



Antwort:

Orientierung bei Leistungen zur Betreuung in einer Pflegefamilie

Nach § 80 S. 4 SGB IX bleiben die Regelungen über Verträge mit Leistungserbringern unberührt. Diese Bestimmung bestand in § 54 Abs. 3 SGB XII a.F. nicht. Die Gesetzesbegründung enthält keine Aussage zu § 80 S. 4 SGB IX (vgl. BT-Drs. 18/9522, 264). Die allgemeinen Grundsätze des Vertragsrechts nach § 123 SGB IX und die Sonderregel für Minderjährige nach § 134 SGB IX sind nach § 80 S. 4 SGB IX insofern auch bei den Leistungen der Eingliederungshilfe nach §§ 113, 80 SGB IX anwendbar. Der Träger der Eingliederungshilfe darf Leistungen der Eingliederungshilfe durch Dritte (Leistungserbringer) nur bewilligen, soweit eine schriftliche Vereinbarung zwischen dem Träger des Leistungserbringers und dem für den Ort der Leistungserbringung zuständigen Träger der Eingliederungshilfe besteht (§ 123 Abs. 1 S. 1 SGB IX). Leistungserbringer in diesem Sinne dürften auch Pflegepersonen sein. Insofern sind mit diesen Personen Leistungsvereinbarungen nach § 134 SGB IX zu schließen. Zielführend dürfte auch hier sein, wenn sich der Träger der Eingliederungshilfe bei den Leistungsvereinbarungen an den Sätzen der Jugendhilfe orientiert, um einen entsprechenden Gleichklang sicherzustellen. Pflegepersonen für Minderjährige haben einen Anspruch auf Beratung und Unterstützung nach § 37a SGB VIII. Diese Punkte dürften sich zielführend in einer Kooperationsvereinbarung zwischen dem Träger der Eingliederungshilfe und dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe abbilden lassen.
 

Leistungskollision und Leistungskongruenz

In der Praxis kommt häufig vor, dass Pflegekinder zunächst im Rahmen der Jugendhilfe nach § 42 (Inobhutnahme)oder 33 (Vollzeitpflege) SGB VIII untergebracht werden. Im Verlauf der Entwicklung des Kleinkindes zeigen sich dann erst später Bedarfe im Sinne des SGB IX (körperliche/geistige Behinderung). Dann kommt es aufgrund der Vorrang-/Nachrangregelung des § 10 SGB VIII zu einem Zuständigkeitswechsel von der Jugendhilfe zur Eingliederungshilfe. Kann in solchen Fällen von Leistungskongruenz ausgegangen werden (Fallbeispiele: Pflegekind hat Gaumenspalte und Entwicklungsverzögerung; Pflegekind hat Tremor an einer Hand aber sonst keine Entwicklungsauffälligkeiten)? Was passiert mit den Leistungsansprüchen der Jugendhilfe nach § 37 SGB VIII und mit den Aufgaben nach § 37 b SGB VIII? In der Gesetzesbegründung des § 54 SGBXII wurde geschildert, dass ein Kind aus einer vollstationären Einrichtung der Eingliederungshilfe in eine Pflegefamilie wechseln können sollte. Der Fall, dass ein Kind aus einer Pflegefamilie der Jugendhilfe in eine Maßnahme der Eingliederungshilfe überführt wird, spielte jedoch keine Rolle (vgl.: BT-Drucks.16/13417, 6). Dort wurde ausgeführt, dass sich die Regelung des § 54 SGB XII von der Regelung des § 33 SGB VIII unterscheiden würde, weil nicht von einemerzieherischen Defizit ausgegangen werden könne, dass mit Hilfe von Elternarbeit nach § 37 SGB VIII ausgeglichen werden könne. In Bezug auf den Regelvorgang in der Kooperation der Pflegekinderhilfe zwischen Jugendamt und Sozialamt, nämlich den hier geschilderten Übergang einer Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII in eine Maßnahme nach § 80 SGB IX, verfehlt diese Einschätzung allerdings die Realität. Hier liegt sehr wohl ein erzieherisches Defizit vor, denn es kam ja zu einer Jugendhilfe. Lediglich die Feststellung einer körperlichen oder geistigen Behinderung führte zum Übergang in die Eingliederungshilfe. Wie wird also die gesamte Fachlichkeit des Pflegekinderwesens in diesen Fallkonstellationen sichergestellt? Ist die Regelung damit noch Rechtskonform, wenn insbesondere der Art. 6 GG in den Raum gestellt wird. Das SGB VIII berücksichtigt an jeder Stelle dieses Grundrecht, insbesondere auch in Bezug auf die ganze Breite der Annexregelungen des SGB VIII wie eben die Regelungen der § 37 ff. SGB VIII. Das SGB IX jedoch verfängt ohne jeden Bezug auf diese Regelungen des SGB VIII(außer § 44) und gleichzeitig wird Leistungskongruenz unterstellt? Ichbezweifle, dass die Fachkommissionen diese Aspekte ausreichend berücksichtigt haben.



Antwort:

Leistungskollision und Leistungskongruenz

Für die Abgrenzung der Leistungen des SGB VIII zu Leistungen anderer Teile des Sozialgesetzbuchs enthält § 10 SGB VIII die Kollisionsregeln. Zum Eingreifen des § 10 SGB VIII muss bei beiden infrage stehenden Leistungen ein Leistungsanspruch bestehen (d.h. die Leistungsvoraussetzungen aus unterschiedlichen Teilen des SGB müssen erfüllt sein) und es muss zwischen den Leistungsformen Kongruenz bestehen (vgl grundlegend: BVerwG 23.09.1999 – 5 C 26/98). D.h. es kann durchaus sein, dass ein erzieherischer Bedarf im Sinne des § 27 SGB VIII gegeben ist, es sich jedoch gleichzeitig um eine leistungsberechtigte Person nach § 99 SGB IX handelt.
Leistungskongruenz ist nach einer vielzitierten Formel des BVerwG (welche auch die sozialgerichtliche Rechtsprechung übernommen hat) anzunehmen, wenn beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind (vgl beispielhaft: BVerwG 19.10.2011 − 5 C 6/11). Dafür stellt das Gesetz nicht auf einen Schwerpunkt in Bezug auf eine der beiden Hilfeleistungen ab, sondern allein auf die Art der miteinander konkurrierenden Leistungen (BVerwG 23.09.1999 - 5 C 26/98). Die Leistungsberechtigung spielt für diese Prüfung keine Rolle, es kommt allein darauf an, dass der Leistungsempfänger dieselbe Person ist (BVerwG 19.10.2011 – 5 C 6/11). Prinzipiell ist von Kongruenz bei Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII und Leistungen zur Betreuung in einer Pflegefamilie nach § 80 SGB IX auszugehen.
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, löst § 10 SGB VIII die Konkurrenz auf. Die Leistungen nach dem SGB VIII gehen im Grundsatz den Leistungen nach dem SGB IX und XII vor (§ 10 Abs. 4 S. 1 SGB VIII). Abweichend davon gehen Leistungen der Eingliederungshilfe (Teil 2 SGB IX) für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, den Leistungen nach SGB VIII vor (§ 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII). Junge Menschen in diesem Sinne sind Personen die noch nicht 27 Jahre alt sind (§ 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII). Insofern wäre die stationäre Unterbringung über Teil 2 SGB IX vorrangig.
Unabhängig davon besteht ein Anspruch nach §§ 37 und 37a SGB VIII.
 

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