Diese Vorschriften werden vom § 94 Abs. 3 SGB IX flankiert, der die Länder dazu verpflichtet, auf flächendeckende, am Sozialraum orientierte und bedarfsdeckende Leistungsangebote hinzuwirken.
50 Teilnehmende von Leistungsträgern, Leistungserbringern und Vertreterinnen und Vertreter von Menschen mit Behinderungen setzen sich mit diesen Aspekten des BTHG am 18. und 19. Juni in Augsburg auseinander.
Neuerungen durch das BTHG ab 2020
In einem einleitenden Vortrag stellte Frau Dr. Heike Engel die Ergebnisse eines von ihr durchgeführten Gutachtens zur Vorbereitung des Landesrahmenvertrages nach § 131 SGB IX in Berlin vor, mit dem die Leistungsstrukturen untersucht werden sollten, die zur Umsetzung des BTHG erforderlich wären.
Sie erläuterte, warum Pauschalierungen, wie z.B. die Bildung von „Hilfebedarfsgruppen“ zur Gewährung individueller Teilhabeleistungen, ab dem 1. Januar 2020 nicht mehr gesetzeskonform sind. Stattdessen sei es sinnvoll, bei der Bemessung des individuellen Hilfebedarfs konsequent die notwendigen Fachleistungsstunden zugrunde zu legen. Vor Abschluss von Landesrahmenverträgen und Leistungsvereinbarungen sei zu klären, welche Arten von Fachleistungen eigentlich bereitgehalten werden müssen. Frau Engel ging außerdem auf die neue Möglichkeit ein, Einzelleistungen der Eingliederungshilfe in Form „pauschaler Geldleistungen“ zur Verfügung zu stellen und erläuterte den Unterschied zwischen dieser Form der Leistungsgewährung und dem Persönlichen Budget. Sie setzte sich dafür ein, die neuen Landesrahmenverträge flexibel genug zu gestalten, um ggf. auch die Aufnahme neuer bzw. anderer Leistungen und damit eine beständige Weiterentwicklung der Leistungen zu erlauben.
In der anschließenden Diskussion ging es vor allem um sogenannte „Vorhalteleistungen“ wie zum Beispiel Nachtwachen oder Rufbereitschaften. Insbesondere Vertreterinnen und Vertreter von Leistungserbringern der bisherigen Komplexleistungen fragten, wie diese Leistungen demnächst finanziert oder auch im ambulanten Setting sichergestellt werden könnten.
Die neuen Leistungen aus Sicht der Leistungserbringer
Anschließend ging Ursula Schulz vom Landesverband Bayern des Lebenshilfe e.V. darauf ein, wie Leistungserbringer dort im Augenblick mit den Anforderungen des BTHG umgehen. Der Landesverband Lebenshilfe Bayern ist Mitglied in der LAG Selbsthilfe e.V. in Bayern und in diesem Rahmen an den Vorbereitungen zum Landesrahmenvertrag als „maßgebliche Interessenvertretung“ der Menschen mit Behinderungen beteiligt. Frau Schulz stellte die Herausforderungen heraus, vor die die Leistungserbringer derzeit mit der notwendigen Trennung von Fach- und existenzsichernden Leistungen gestellt seien. Dies sei die Voraussetzung, um den Landesrahmenvertrag und entsprechende Leistungsvereinbarungen zu verhandeln.
Zu Struktur und Finanzierung der neuen Leistungen würden verbandsintern verschiedene Modelle diskutiert, die von der weitgehenden Beibehaltung des bisherigen Systems über die Unterscheidung in einen „Sockelbetrag“ für Vorhalteleistungen und einen Anteil „individuelle Fachleistung“ bis hin zur vollständigen Umstellung auf Fachleistungsstunden reichten.
Der fachliche Austausch der Teilnehmenden im Anschluss machte deutlich, dass zwei der drei vorgeschlagenen Varianten wahrscheinlich nicht BTHG-konform sind. Angesichts des engen zeitlichen Rahmens zur Umsetzung, seien „Übergangslösungen“ jedoch wahrscheinlich. Zugleich war sich alle Teilnehmenden einig, dass die Entwicklung einer breiten ambulanten Angebotsstruktur die Herausforderung der kommenden Jahre sein werde. Einige befürchteten, dass mit den neuen Landesrahmenverträgen so hohe fachliche und personelle Anforderungen an Leistungsanbieter gestellt werden, dass kleine Anbieter mit einer eingeschränkten Zielgruppe diesen nicht genügen könnten.
Das Projekt „Kommune inklusiv“
Wie können also nach § 94 Abs. 3 SGB IX sozialraumorientierte Leistungen aussehen? Mit der Antwort auf diese Frage starteten die Teilnehmenden in den zweiten Veranstaltungstag. Stefan Sandner, Leiter Strategie und Inklusion der Aktion Mensch, stellte das Projekt „Kommune inklusiv“ vor. Damit werden Projekte gefördert, die zur Entwicklung inklusiver Sozialräume beitragen. Die Inklusion von Menschen mit Behinderungen ist in diesem Zusammenhang nur ein Aspekt. Vielmehr stehe der bessere Zugang zu sozialräumlichen Angeboten für alle Menschen im Vordergrund. Fördervoraussetzung ist, dass das beantragende Projekt von einem Netzwerk beteiligter Sozialraumakteure als förderwürdig befunden wird. Auf diese Weise könne besser als bisher sichergestellt werden, dass eine Verankerung im Sozialraum mit „mehreren Standbeinen“ stattfinde, so Stefan Sandner. Ob ein inklusiver Sozialraum die Aufwendungen der Eingliederungshilfe reduzieren könne, hielt Sandner jedoch für zu weitgehend.
Sozialraumorientierung der Stadt Ulm
Im Anschluss stellten zwei Kommunen mit unterschiedlichen verwaltungsorganisatorischen Voraussetzungen Beispiele für Sozialraumentwicklung vor.
Die kreisfreie Stadt Ulm arbeitet bereits seit Längerem an der Entwicklung eines inklusiven Sozialraums. Bürgermeisterin Iris Mann stellte das im November 2017 gestartete Projekt „Sozialraumorientierung in der Eingliederungshilfe“ vor. Ziel sei es, ein Fachkonzept zu entwickeln, auf dessen Basis individuelle, trägerübergreifende und nachhaltige Leistungen zur Verfügung gestellt und die Angebotsstruktur weiter verbessert werden könnte. Frau Mann erläuterte den Teilnehmenden die Entwicklung der Verwaltungsorganisation, die notwendige Verzahnung verschiedener Akteursgruppen und Aufbau bzw. Verstetigung einer vertrauensvollen Zusammenarbeit. Dafür stelle die Stadt Ulm ein besonderes „Sozialraumbudget“ bereit.
Der Landkreis Nordfriesland
Das Konzept für den Landkreis Nordfriesland stellte Christian Grelck, Leiter des Fachdienstes Recht und Soziales der Kreisverwaltung Husum, vor. Der Landkreis habe bereits Anfang 2013 mit der Sozialraumorientierung in der Eingliederungshilfe begonnen. Um eine möglichst individuelle Leistungsgewährung sicher zu stellen, würden Leistungserbringer mit sogenannten „Träger-oder Einrichtungsbudgets“ finanziert, die den Leistungserbringern die individuelle Ausgestaltung der Leistungen einerseits und die fallunabhängige Entwicklung sozialräumlicher Angebote andererseits erlaube. Fundament der Arbeit sei auch dort eine möglichst enge Zusammenarbeit zwischen Kostenträgern verschiedener „Säulen“ mit den Leistungserbringern. Es findee ein „kooperatives Hilfeplanverfahren“ statt, bei dem die Leistungserbringer nicht als „Vertrauensperson“, sondern als Fachkräfte beteiligt seien, die dem Träger der Eingliederungshilfe beratend zur Seite stehen, um die Ressourcen des Leistungsberechtigten und weitere Fördermöglichkeiten besser beurteilen zu können.
Die Teilnehmenden diskutierten im Anschluss die Rolle der Leistungserbringer im Kontext des BTHG. Ein wichtiges Thema war, ob Trägerbudgets eine Lösung sein könnte, was weder Vertreterinnen und Vertreter der Leistungsträger noch der Leistungserbringer bejahen konnten. Vertreter der Seite der Leistungsberechtigten äußerten Bedenken, insbesondere dazu, ob nicht gerade Schwerst-und Mehrfachbehinderte in dieser Logik weiterhin benachteiligt werden.
Das Programm (Stand 9. Mai 2018) können Sie hier herunterladen:
Materialien
Präsentationen der Referenten
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