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BTHG-Kompass 3.8

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Inhaltsverzeichnis

BTHG-Kompass 3.8

Leistungen zur Sozialen Teilhabe und Sozialraum

Nach § 113 Abs. 1 SGB IX n.F. dienen Leistungen zur Sozialen Teilhabe dazu, „Leistungsberechtigte zu einer möglichst selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Lebensführung im [...] Sozialraum zu befähigen oder sie hierbei zu unterstützen.“ Wie lassen sich die Leistungen zur Sozialen Teilhabe nach den §§ 76 ff. SGB IX bzw. § 113 Abs. 2 SGB IX n.F. (etwa Leistungen für Wohnraum und Leistungen zur Mobilität) für die einzelne Person in der Praxis benennen bzw. im Sozialraum umsetzen? 



Antwort:

Leistungen zur Sozialen Teilhabe und Sozialraum

Leistungen zur Sozialen Teilhabe sollen Menschen mit Behinderungen die gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen oder erleichtern (§ 76 SGB IX; für die Eingliederungshilfe § 113 SGB IX n.F.). Räumlich erstrecken sich die Leistungen auf den eigenen Wohnraum sowie auf den Sozialraum.
Ein wesentlicher Schritt auf dem Weg vom Bedarf zur Leistung ist dabei die Ermittlung und Konkretisierung von Teilhabezielen, auf deren Grundlage der Unterstützungsbedarf bestimmt und konkrete Hilfen formuliert werden können.

Im Rahmen der Bedarfsermittlung und des Gesamtplanverfahrens wird individuell und unter Berücksichtigung des Wunsch- und Wahlrechts eingeschätzt, welche Unterstützungsleistungen der Eingliederungshilfe nötig sind.

Um dem Prinzip der Personenzentrierung gerecht zu werden, bestimmen sich die Leistungen der Eingliederungshilfe nach der Besonderheit des Einzelfalls. Soweit sie angemessen sind, ist dabei den Wünschen der Leistungsberechtigten zu entsprechen (§ 104 Abs. 2 SGB IX n.F.).

Damit die Leistungen bedient werden können, braucht es im jeweiligen Landesrahmenvertrag (§ 131 SGB IX) eine entsprechende Strukturierung, die sich anschließend auf die Leistungsvereinbarung auf der Einzelfallebene auswirkt.

Auf Berliner Landesebene wurde beispielsweise für den Brückenschlag zwischen Bedarfsfeststellung und Bedarfsdeckung ein Leistungsstrukturmodell (Engel 2018) entwickelt. Der Grundgedanke ist, dass die im Zuge der Bedarfsfeststellung ermittelten erforderlichen Leistungen mit den vorhandenen Eingliederungshilfeleistungen in Zusammenhang stehen sollten, damit die Bedarfe gedeckt werden können.

Durch das Leistungsstrukturmodell sollen der individuelle Bedarf, die Feststellung der erforderlichen Leistungen und die Leistungserbringung miteinander verknüpft werden. Es muss deshalb anschlussfähig an den Gesamtplan sein und gleichzeitig die angebotenen bzw. vorgehaltenen Leistungen systematisch und vollständig abbilden.

Der Sozialraum muss im Zuge dessen inhaltlich ausgestaltet und im Kontext der Lebenswirklichkeit von Menschen mit Behinderungen verstanden werden.

Finanzierungsmodelle gibt es beispielsweise in Hamburg und Ulm (Sozialraumbudgets) sowie im Landkreis Nordfriesland (Träger- oder Einrichtungsbudgets).

Ziel dieser Konzepte ist es, eine möglichst individuelle Leistungsgewährung sicherzustellen. Sie sind so aufgebaut, dass die Aktivierung der eigenen Kräfte des Menschen im Vordergrund stehen, nicht die klassische, durch professionelle Tätigkeit erbrachte Betreuung (Projekt Umsetzungsbegleitung BTHG 2019a, b).

Materialien

Konzepte der Sozialraumorientierung in der Eingliederungshilfe

Guten Tag, im BTHG ist mittlerweile die Sozialraumorientierung gesetzlich verankert. Mich interessiert, ob und welche Konzepte der Sozialraumorientierung es in der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen bereits gibt.



Antwort:

Konzepte der Sozialraumorientierung in der Eingliederungshilfe

Es gibt bereits eine ganze Reihe von Kommunen, die sich gemeinsam mit Bauplanungsbehörden, regionalen Vereinen und Verbänden, verschiedenen Leistungserbringern, Betroffenenverbänden und Behörden anderer Säulen das Sozialleistungssystems auf den Weg gemacht haben, den Sozialraum zu einem wirklich inklusiven Lebensraum zu machen. Anregungen zu möglichen Wegen und Ausgestaltungen kann man unter anderem in Hamburg, Nordfriesland oder Ulm finden. Das sind lediglich Beispiele, aber sie werden seit mehreren Jahren erfolgreich erprobt und ständig weiterentwickelt.

Die erste Herausforderung ist, den „inklusiven Sozialraum“ denken und verwirklichen zu wollen. Daran anknüpfend kann man dann damit beginnen, eingetretene Pfade zu verlassen, potenzielle Sozialraumpartner anzusprechen und funktionsfähige Kooperationsstrukturen zu schaffen.

Gemäß § 94 Abs. 3 SGB IX n.F. sind die Länder für die sozialräumliche Entwicklung der Eingliederungshilfe zuständig und unterstützen die Träger der Eingliederungshilfe bei der Umsetzung ihres Sicherstellungsauftrages.

 

Materialien

Typisierung von Leistungen vs. Wunsch- und Wahlrecht

Wie ist die Typisierung von Leistungen mit dem Wunsch- und Wahlrecht vereinbar?



Antwort:

Kooperativ-dialogisches Verfahren in der Leistungsfeststellung

Gemäß § 104 SGB IX n.F. bestimmen sich die Leistungen der Eingliederungshilfe nach der Besonderheit des Einzelfalls. Dementsprechend ist von Fall zu Fall zu prüfen, ob die gewünschte(n) Leistung(en) rechtlich gedeckt sind. In diesem Zusammenhang ist „auch die Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse sowie des Sozialraums einzubeziehen.“ (BT-Drs. 18/9522: 279).

Soweit sie angemessen sind, ist den Wünschen der Leistungsberechtigte zu entsprechen (§ 104 Abs. 2 SGB IX n.F.). Die Hürden, die Angemessenheit der gewünschten Leistung abzuerkennen, hat der Gesetzgeber hoch angesetzt.

Gleichzeitig benötigt eine Öffentliche Verwaltung Eingangstore, in denen leistungsberechtigte Menschen „ganzheitlich“ betrachtet werden und nicht nur unter dem Aspekt der jeweiligen „Parzelle“. Ein Mensch, der ausschließlich auf dem Hintergrund seiner „Behinderung“ betrachtet wird – ICF-basiert und Strichlisten-diagnostiziert – wird reduziert auf seine „Behinderung“ und erhält somit eine Leistung, die sich nur auf dieses Segment bezieht und damit ihre Wirkungen in einem hochkomplexen, integrierten Alltag nur rudimentär entfalten kann.

Insofern muss der Leistungsträger in der Phase der Leistungsfeststellung – idealerweise in enger Kooperation mit dem leistungsberechtigten Menschen und dessen Vertrauensperson (ggf. ein Leistungserbringer) – für ein kooperativ-dialogisches Verfahren stehen, das über leistungsgesetzliche Einengungen hinausreicht und den einzelnen Menschen mit seinen individuellen Eigenarten und sozialräumlichen Bezügen möglichst ganzheitlich in den Blick nimmt. Insofern ist die Typisierung von Leistungen nur in solchen Systemen notwendig (und ich fürchte, in den meisten Bundesländern werden solche Systeme geradezu gepflegt), in denen auf der Grundlage kleinteiliger Leistungs- und Entgeltvereinbarungen Hilfebedarfsgruppen zum Zwecke einer den Leistungsträger beruhigenden Abrechenbarkeit die Grundlage für die Leistungsgewährung sind.

Nimmt man den Geist des Wunsch- und Wahlrechts ernst, muss man sich auf ein kooperativ-dialogisches Verfahren einlassen, wie ich es oben beschrieben habe. Derzeit jedoch bestimmt das vorhandene Angebot die individuelle Leistung, versäulte Angebote dominieren die Landschaft, und es gibt noch wenig finanzielle Anreize für diejenigen Leistungserbringer, die eingefahrene Pfade verlassen wollen und bereit sind, auf der Grundlage eines konsequenten Verständnisses von Inklusion Leistungen zu flexibilisieren, kreative Kombinationen von ambulanten und stationären Leistungen zu erproben und vorgefertigte Spezialisierungen abzubauen zugunsten integriert erbrachter Leistungen.

 

Materialien

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