In Berlin lässt sich zunehmend feststellen, dass die Eingliederungshilfe als Kostenträger die Leistungsberechtigten auffordern, sich von der Pflegekasse begutachten zu lassen, damit sie einen Pflegegrad erhalten und damit mit bestimmten Leistungen z.B. Tagesstruktur aus dem Leistungsbereich der Eingliederungshilfe herausfallen.
Dies hat für Leistungsberechtigte, die vorher z.B. eine Tagesstätte für psychisch Kranke besucht haben zur Folge, dass diese aufgefordert werden, eine Tagesstätte im Seniorenbereich zu besuchen.
Wie ist die Abgrenzung von Eingliederungshilfe und Pflege auf bestimmte Leistungen zu sehen? Können Leistungsberechtigte ihr Wunsch- und Wahlrecht auf bestimmte Leistungen ausüben?
Antwort:Leistungen der Eingliederungshilfe unterliegen grundsätzlich dem sogenannten „Nachrangprinzip“. Dies ist bis zum 31. Dezember 2019 in § 2 SGB XII und ab dem 1. Januar 2020 in § 91 SGB IX geregelt. Das bedeutet, dass Leistungsberechtigte zunächst vorrangige Leistungen aus anderen Versicherungssystemen in Anspruch nehmen müssen, soweit der Leistungszweck damit erreicht werden kann.
Die Aufforderung, auch Leistungen der Pflegeversicherung zu beantragen ist also nicht rechtswidrig. Sie können auch neben Leistungen der Eingliederungshilfe erbracht werden.
Seit dem 1. Januar 2018 gelten allerdings für die Träger der Eingliederungshilfe neue Vorschriften zum Gesamtplanverfahren, § 141ff. SGB XII. Dieses Verfahren wird ausgelöst, sobald ein Antrag auf Leistungen der Eingliederungshilfe gestellt wird. Die Gesetzliche Pflegeversicherung ist mit Zustimmung des Leistungsberechtigten in dieses Verfahren einzubeziehen, sobald „Anhaltspunkte für eine Pflegebedürftigkeit nach dem Elften Buch“ bestehen. Ebenso soll der Träger der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII an diesem Verfahren beteiligt werden.
Die Abgrenzung der Leistungen nach dem einen oder anderen System erfolgt anhand des Zwecks der Leistung. Während Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung und Leistungen der Hilfe zur Pflege auf Hilfen im häuslichen Bereich abzielen, kommen Leistungen der Eingliederungshilfe bei darüber hinaus gehenden Aktivitäten in Betracht.
Dies ergibt sich aus der Formulierung des Gesetzes. So heißt es in § 36 Abs. 2 Satz 3 SGB XI beispielsweise „Pflegerische Betreuungsmaßnahmen umfassen Unterstützungsleistungen zur Bewältigung und Gestaltung des alltäglichen Lebens im häuslichen Bereich, insbesondere...“
Für die Leistungen der Hilfe zur Pflege heißt es in § 64b Abs. 2 SGB XII: „Pflegerische Betreuungsmaßnahmen umfassen Unterstützungsleistungen zur Bewältigung und Gestaltung des alltäglichen Lebens im häuslichen Umfeld, insbesondere…“
Ab dem 1. Januar 2020 wird mit § 103 SGB IX eine neue Vorschrift eingeführt, die beim Aufeinandertreffen von Eingliederungshilfe und Pflegebedarf die Abgrenzung regeln soll.
Danach kämen in der hier beschriebenen Fallkonstellation (Berechtigter lebt in eigener Wohnung) neben den Leistungen der Pflegeversicherung oder der Hilfe zur Pflege nur dann keine Leistungen der Eingliederungshilfe in Betracht, wenn Teilhabeziele im Sinne der Gesamtplanung nicht (mehr) erreicht werden können oder der Leistungsberechtigte bereits bei erstmaliger Beantragung von Eingliederungshilfeleistungen das individuelle Renteneintrittsalter erreicht.
Es geht also im Kern darum, ob Teilhabeziele erreicht werden können.
Literatur:
Fix, Elisabeth (2017): Die Schnittstelle Eingliederungshilfe – Pflege im Lichte der gesetzlichen Regelungen des Bundesteilhabegesetzes und des Pflegestärkungsgesetzes III. Fachbeitrag D11-2017.
Nachrang der Eingliederungshilfe – Gleichrangigkeit bei gleichzeitigem Bedarf