Bemessung der konkreten Eingliederungshilfe-Leistungen
Wie bemessen sich die konkreten Leistungen der Eingliederungshilfe, nachdem ein Bedarfsfeststellungsverfahren durchgeführt wurde? Die einzigen Anhaltspunkte, die das SGB IX dazu gibt, welchen Umfang Rehabilitations- und Teilhabeleistungen haben sollen, findet man in den § 1 SGB IX (Zweck des Gesetzes), § 3 SGB IX (Prävention), § 4 SGB IX (Rehabilitationsziele) und § 8 SGB IX (Wunsch-und Wahlrecht). Heißt das zusammengefasst, dass künftig jeder Mensch mit Behinderungen genau die Leistung bekommen soll, die er/sie sich wünscht?
Antwort
Nach § 141 Abs. 1 Nrn. 2 und 4 SGB XII sind die Wünsche der Leistungsberechtigten zu Ziel und Art der Leistungen sowie der individuelle Bedarf zu ermitteln. In der Gesetzesbegründung zu den von den Trägern der Eingliederungshilfe künftig anzuwendenden parallelen Bestimmungen §§ 118, 120 SGB IX heißt es: „[…] Die Ermittlung des individuellen Bedarfs im Gesamtplanverfahren erfolgt in transparenter und objektiver Art und Weise mit Hilfe eines wissenschaftsbasierten, konkreten Werkzeugs (z. B. Fragebogen, Checkliste, Leitfaden) […] dann werden die Leistungen zur Bedarfsdeckung festgestellt […]“ (BT-Drs. 18/9522: 287f.).
Die Länder haben diese Bedarfsermittlungsinstrumente auszuwählen und den Trägern der Eingliederungshilfe zur Anwendung vorzugeben. Die in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen als Bedarfsermittlungsinstrumente vorgestellten Konzepte BEI_NRW und B.E.Ni sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt tatsächlich nur Leitfäden zur Ermittlung der Wünsche zu Ziel und Art der von ihnen begehrten Leistungen. Maßstäbe zur konkreten Feststellung von Bedarfen und Leistungen fehlen bisher.
Bedarfsermittlungsinstrument und Budgetierungsinstrument
Der im Freistaat Thüringen als Bedarfsermittlungsinstrument anzuwendende „Integrierte Teilhabeplan“ (ITP), der durch das an der Hochschule Fulda ansässige Institut für Personenzentrierte Hilfen gGmbH entwickelt wurde, enthält hingegen zumindest Ansatzpunkte für eine Bedarfsermittlung. Nach einer sehr ausführlichen Ermittlung der Ziele, der Fähigkeiten und Teilhabebeeinträchtigungen des leistungsberechtigten Menschen mit Behinderungen sowie der aktivierbaren Umfeldhilfen sollen die Fallmanagerinnen und Fallmanager bei den thüringischen Trägern der Eingliederungshilfe zunächst die Art der (wegen der jeweiligen Teilhabebeeinträchtigungen) erforderlichen professionellen Hilfen benennen. Abschließend sollen sie dann in den verschiedenen Lebensbereichen den geplanten zeitlichen Umfang der professionellen Hilfen und ihre regelmäßige Häufigkeit einschätzen. In dem zum Thüringer ITP erschienenen „Manual“ (Handbuch) wird in den Erläuterungen zu diesem Schritt (S. 29) besonderer Wert auf die „Bündelung“ der einzelnen zu erbringenden Hilfeleistungen gelegt, d.h. welche und wie viele der ermittelten einzelnen Hilfen insbesondere der Sozialen Teilhabe gem. § 113 SGB IX können in den direkten Kontakten tatsächlich erbracht werden.
Damit besteht für den Träger der Eingliederungshilfe (auch weiterhin) ein weiter Beurteilungsspielraum, wie die Wünsche und Ziele der Betroffenen in konkret bemessene Fachleistungsstunden umgesetzt werden. Bund und Länder haben immer wieder betont, dass die personenzentrierte Bedarfsermittlung nicht zu einer Kostendynamik führen soll. Es wird also erwartet, dass das Gesamtvolumen der zu erbringenden Teilhabeleistungen nicht deutlich ansteigt.
Die Träger der Eingliederungshilfe werden die in ihren Ländern anzuwendenden Bedarfsermittlungsinstrumente (in Verbindung mit den künftigen Landesrahmenvereinbarungen gem. § SGB 131 IX) intern verknüpfen mit Budgetierungsinstrumenten. Ob die dann „budgetgerecht“ festgestellten Leistungen auch von den betroffenen Menschen mit Behinderungen als bedarfsgerecht akzeptiert werden, wird sich zeigen.
Wenn eingliederungshilferechtliche Leistungsbescheide Gegenstand sozialgerichtlicher Verfahren werden sollten, muss die Sozialgerichtsbarkeit entscheiden, ob den Trägern der Eingliederungshilfe im Hinblick auf die Maßstäbe der Leistungsfeststellung ein ähnlich weiter Beurteilungsspielraum eingeräumt wird, wie die Verwaltungsgerichte den Jugendhilfeträgern bezüglich der Feststellung der Teilhabebeeinträchtigungen und der Leistungsauswahl gem. § 35a SGB VIII eingeräumt haben – oder ob in richterlicher Rechtsfortbildung diese Maßstäbe für Bedarfe und Leistungen konkretisiert werden.
Materialien
- ITP Thüringen: Bedarfsermittlungsinstrument „Integrierte Teilhabeplanung“. Version 3.1. Download des Dokuments im PDF-Format (PDF-Dokument) (24.10.2019).
- Manual ITP Thüringen. Version 3.1. Stand_ März 2015. Download des Dokuments im PDF-Format (PDF-Dokument) (24.10.2019).