Durch die Einführung des Beitragsverfahren sind neue Anforderungen für die Träger der Eingliederungshilfe sowie für die Leistungsberechtigten entstanden. Diese Anforderungen und Herausforderungen waren Gegenstand dieser Online-Fachdiskussion.
Systemwechsel bei der Anrechnung des Einkommens und Vermögens
Menschen mit Behinderungen, die Leistungen der Eingliederungshilfe beziehen, müssen einen eigenen Beitrag zu den steuerfinanzierten Leistungen zuzahlen. Abhängig ist dieser Beitrag von ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit. Jedoch hat der Bundesgesetzgeber die Freibetragsgrenzen des Einkommens und Vermögens deutlich angehoben und orientiert sich nun an der jährlichen Bezugsgröße der Sozialversicherung (§ 18 SGB IV). Da die Bezugsgröße jährlich angepasst wird, sind die Freibetragsgrenzen dynamisch (§ 136 Abs. 2 bis 4 SGB IX). Ziel der höheren Freibeträge ist es, Menschen mit Behinderung zu entlasten, die bisher trotz niedrigem Einkommen einen Eigenanteil an den Leistungen tragen mussten. Darüber hinaus bleibt nun das Einkommen und Vermögen des Partners unberücksichtigt.
Regelungen des Einkommens nach § 135 ff. SGB IX
Das Einkommen wird anhand der steuerrechtlichen Einkünfte des Vorvorjahres nach § 2 Abs. 2 Einkommenssteuergesetz (EStG) bemessen. Als Nachweis des Einkommens dient der Einkommenssteuerbescheid des Vorvorjahres. Für die Berechnung des Eigenbeitrags ist die Art des überwiegend erzielten Einkommens entscheidend. Je nachdem ob das überwiegende Einkommen aus sozialversicherungspflichtiger, nicht-sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung oder aus Renteneinkünften generiert wird, liegt der Freibetrag zwischen 60 und 85 Prozent der jährlichen Bezugsgröße (§ 136 Abs. 2 Nr. 1-3 SGB IX). Zusätzlich können je nach Familienstand noch Zuschläge für den Partner bzw. für Kinder berücksichtigt werden (§ 136 Abs. 3 SGB IX). Alles zusammengenommen ergibt die individuelle Einkommensgrenze.
Der Teil der Bruttoeinkünfte des Vorvorjahres, der über dieser Einkommensgrenze liegt, wird herangezogen, um den Eigenbeitrag zu berechnen. Von diesem übersteigenden Einkommen werden monatlich zwei Prozent, abgerundet auf volle zehn Euro, auf die Leistungen der Eingliederungshilfe angerechnet.
Bei bestimmten Leistungen nach neuem Eingliederungshilferecht müssen gem. § 138 Abs.1 SGB IX keine, oder nur geringe Eigenbeteiligungen vom Leistungsberechtigten geleistet werden. Diese Regelung wurde zum großen Teil aus dem § 92 Abs.2 SGB XII übernommen.
Regelungen des Vermögens nach § 139 ff. SGB IX
Mit dem BTHG hat sich die Anrechnung des Vermögens insofern geändert, dass leistungsberechtigte Personen ein Schonvermögen bis zu einem Betrag von 150 Prozent der jährlichen Bezugsgröße ansparen können (§ 139 Satz 2 SGB IX). Vermögen, das diesen Betrag übersteigt, muss die leistungsberechtigte Person zunächst für Leistungen nach dem SGB IX einsetzen.
Generell muss die leistungsberechtigte Person das gesamte verwertbare Vermögen über dem Freibetrag einsetzen. Allerdings gibt es gem. § 90 SGB XII geschütztes Vermögen, das nicht in die Berechnung einfließt. Diese Regelung wurde aus dem SGB XII übernommen und bringt Sicherheit für Leistungsempfänger, die bisher Leistungen nach dem SGB XII erhielten (Gerlach 2019: 169).
Erste Ergebnisse der Modellprojekte
16 Modellprojekte haben seit 2018 im Rahmen der modellhaften Erprobung nach Art. 25 Abs. 3 BTHG die Auswirkungen des neuen Beitragsverfahrens geprüft. Deren Ergebnisse belegen positive finanzielle Auswirkungen auf die Einkommens- und Vermögenssituation der Betroffenen durch das Beitragsverfahren. Die Simulationsberechnungen anhand von 1.645 Fällen haben ergeben, dass der durchschnittliche Eigenanteil an den Leistungen der Eingliederungshilfe von 400 Euro auf ca. 100 Euro sinkt (BT-Drs. 19/16470: 130). Außerdem lassen die Berechnungen darauf schließen, dass künftig nur noch ca. vier Prozent der Betroffenen über den Freibetragsgrenzen der Eingliederungshilfe liegen werden (ebd.: 129). Valide Aussagen dazu sind jedoch frühestens ab Frühjahr 2021 zu erwarten.
Gleichzeitiger Bezug von Leistungen des SGB IX und SGB II oder SGB XII
Viele leistungsberechtigte Personen beziehen u. a. auch Leistungen zur Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII und/oder Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII. In diesen Fällen kommt es zu einer Überschneidung der unterschiedlichen Anrechnungsverfahren.
Bei gleichzeitigem Bezug von Leistungen der Eingliederungshilfe sowie Hilfe zur Pflege im ambulanten Bereich greift das sog. Lebenslagenmodell. Abhängig von der Lebenslage der Betroffenen unterscheidet sich ihr Leistungsanspruch (Knoche 2019: 220ff.):
- Erhalten Betroffene bereits vor der Regelaltersgrenze Leistungen der Eingliederungshilfe, so profitieren sie automatisch von den höheren Freibeträgen in der Eingliederungshilfe. Dies gilt, so lange die Teilhabeziele erreicht werden können.
- Falls Leistungsberechtigte erstmals Leistungen der Eingliederungshilfe nach Erreichen der Regelaltersgrenze beziehen, gelten die Freibetragsgrenzen des SGB XII.
- Falls Menschen mit Behinderungen gleichzeitig Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII beziehen, gelten die Vorschriften der Grundsicherung (Einkommen: 2-mal Regelbedarfsstufe 1 zzgl. Aufwendungen für die Unterkunft; Vermögen: 5.000 Euro).
Der Gesetzgeber hat die Einkommenssituation von Menschen mit Behinderungen, die aufgrund ihrer Erwerbsminderung auf Grundsicherung angewiesen sind, daher nicht verbessert. Eine Ausnahme stellen Werkstattbeschäftigte dar, die Grundsicherung erhalten. Statt bislang 25 Prozent werden künftig 50 Prozent des übersteigenden Werkstattlohns geschont. Zusätzlich wurde für diesen Personenkreis das Arbeitsförderungsgeld auf 52 Euro im Monat verdoppelt (Krause 2020: 14).
Schwerpunkte der Diskussion
- Welche konkreten Verbesserungen oder Erschwernisse treten durch die Umstellung auf das Beitragsverfahren in Ihrer täglichen Praxis auf?
- Wo entstehen Überschneidungen zu anderen Anrechnungsverfahren und welche Schwierigkeiten sind dabei aufgetreten?
- Wie beurteilen Sie die neuen Regelungen des SGB IX für minderjährige Leistungsberechtigte sowie für deren Eltern?
- Treten bei Ihnen Änderungen des Beitragsverfahren aufgrund der Corona-Pandemie auf? Wenn ja, wie sahen die Änderungen aus?
- Gab es Schwierigkeiten bei der Abgrenzung von Einkommens- und Vermögenswerten?
Literatur und Materialien
- Dr. von Boetticher, Arne (2020): Das neue Teilhaberecht, 2. Auflage, Nomos.
- Deutscher Bundestag (2020): Bericht zum Stand und zu den Ergebnissen der Maßnahmen nach Artikel 25 Absatz 2 bis 4 des Bundesteilhabegesetzes. In: dip21.bundestag.de (PDF-Dokument).
- Gerlach, Stefan (2019): Die Festsetzung von Beiträgen als neue Form des Einsatzes von Einkommen und Vermögen im Eingliederungshilferecht nach Teil 2 SGB IX ab dem 1.1.2020 – Ein „Beitrag zu den Beiträgen“ nach dem Bundesteilhabegesetz – Teil 3 -. In: Zeitschrift für Fürsorgewesen, 71. Jahrgang, August 2019, S. 169 – 180.
- Knoche, Thomas (2019): Bundesteilhabegesetz Reformstufe 3: Neue Eingliederungshilfe, 1. Auflage, Walhalla.
- Kruse, Katja/Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen (2020): Grundsicherung nach dem SGB XII - Merkblatt für Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen. In: www.bvkm.de (PDF-Dokument).
- Prof. Dr. Kuhn-Zuber, Gabriele (2018): Eigenbeitrag in der Eingliederungshilfe ab 01.01.2020. In: www.reha-recht.de (PDF-Dokument).
- NITSA e.V. (2020): Fragen und Antworten zum Bundesteilhabegesetz. In: www.nitsa-ev.de.
BTHG-Kompass
Antworten auf Ihre Beiträge
Ihre Beiträge zu den Fachdiskussionen haben wir unter anderem mit der Hilfe von Expertinnen und Experten beantwortet. Sie finden die von uns beantworteten Beiträge in unserem BTHG-Kompass unter folgendem Link.
Experte
Dr. Robert P. Maier
Dr. Robert P. Maier ist als Steuerberater und als Wirtschaftsprüfer tätig. Er verfügt u. a. über langjährige Erfahrungen auf dem Gebiet der Einkommensermittlung im Sozialrecht, auch im SGB IX und im SGB XII.