Gesamtplan- und Teilhabeplanverfahren nach dem BTHG - Chance für Leistungen wie aus einer Hand

Veranstaltungsrückblick

Gesamtplan- und Teilhabeplanverfahren nach dem Bundesteilhabegesetz als Chance für Leistungen wie aus einer Hand

Wie sollen Gesamtplan- und Teilhabeplanverfahren nach dem BTHG funktionieren? Mit dieser Frage beschäftigten sich die 49 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Vertiefungsveranstaltung „Gesamtplan- und Teilhabeplanverfahren nach dem BTHG als Chance für Leistungen wie aus einer Hand“ vom 26. bis 27. April 2018 in Bochum.

Die Vertiefungsveranstaltung des Projekts Umsetzungsbegleitung BTHG brachte etwa zu gleichen Teilen Vertreterinnen und Vertreter der Träger der Eingliederungshilfe und von Leistungserbringern zusammen. In je einem Fachvortrag wurde das Gesamtplanverfahren der Eingliederungshilfe bzw. das für alle Rehabilitationsträger geltende Teilhabeplanverfahren vorgestellt. Ein dritter Fachvortrag war der durch das BTHG gestärkten Rolle der Leistungsberechtigten im Verwaltungsverfahren gewidmet. Der fachliche Austausch der der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, als den, wenn auch aus verschiedenen Perspektiven, am Verfahren Beteiligten, ließ auf allen Seiten noch Verwirrung und Unklarheiten erkennen. Ziel der Veranstaltung war es, auf dem unterschiedlichen Vorwissen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer und ihren verschiedenen beruflichen Hintergründen aufzubauen und sich gemeinsam die seit dem 1. Januar 2018 geltenden Veränderungen durch das BTHG, deren Hintergründe und voraussichtliche Folgen zu erarbeiten.

Einblick ins Gesamtplanverfahren

Am Nachmittag des ersten Tages führte Dr. Jörg Tänzer, Fachanwalt für Sozialrecht, zunächst in die Schritte des Gesamtplanverfahrens ein. Ausgehend von der Intention, die der Gesetzgeber mit der Neuregelung des Gesamtplanverfahrens verfolgt hat, ging Herr Dr. Tänzer im Einzelnen auf das Verwaltungsverfahren ein. Er nahm Bezug auf die im Februar 2018 veröffentlichte Orientierungshilfe der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe (BAGüS) und erläuterte ihren rechtlichen Charakter, sowie den Umstand, dass die Orientierungshilfe anhand jetzt zu sammelnder erster Erfahrungen in der Rechtsanwendung künftig durch die BAGüS weiterentwickelt werden wird.

Zunächst mussten Begrifflichkeiten geklärt und damit Missverständnisse zu Ziel und Wesen des Verfahrens ausgeräumt werden. Anschließend stellte Tänzer die Ziele und Voraussetzungen des Verwaltungsverfahrens insbesondere das ab 1. Januar 2020 für die Eingliederungshilfe neue Antragserfordernis in den Mittelpunkt.  Großes Interesse bestand bei den Teilnehmenden an seinen Erläuterungen zu den Bedarfsermittlungsinstrumenten BEI_NRW (PDF-Dokument, 722.9 KB) und BENi und den ungeklärten Fragen zur Leistungsfestellung. Dabei kam auch zur Sprache, dass die Frage, auf welche Weise man von der Bedarfsermittlung zu Anzahl und Art der notwendigen Fachleistungen kommt, auch durch die Vorgaben des BTHG nicht geklärt wird.

Danach führte Herr Dr. Tänzer die Teilnehmenden eng an den relevanten Paragrafen entlang zur Frage, wer am Gesamtplanverfahren in welcher Form zu beteiligen ist bis hin zu den Voraussetzungen und zur praktischen Durchführung einer Gesamtplankonferenz. Viel diskutierte wurde der für das Verfahren offenkundig erforderliche Zeit-und Personalbedarf sowie die Frage, wer etwa erforderliche Fachgutachten in Auftrag gibt und finanziert, als auch durch wen auf welche Weise die Wünsche des Betroffenen und der konkrete Hilfebedarf festgestellt werden.

Konfliktfelder des Gesamtplanverfahrens

Im zweiten Teil des Vortrags von Herrn Tänzer machte er die Teilnehmenden auf die Konfliktfelder aufmerksam, die sich aus der Berücksichtigung des Wunsch- und Wahlrechts der Menschen mit Behinderungen und der gesetzlichen Vorgabe ergeben, keine neue Kostendynamik in der Eingliederungshilfe entstehen zu lassen. Er zeigte unterschiedliche Positionen und Fragen dazu auf, wie der Weg von der Bedarfsermittlung zur Feststellung des Bedarfs und der Leistungen vor dem Hintergrund der Ziele des BTHG zu verstehen sein könnte.

Zum Abschluss seines Vortrags erläuterte Tänzer das Verhältnis von Gesamtplan- und Teilhabeplanverfahren. Die Nachfragen der Teilnehmenden richteten sich unter anderem darauf, dass für die sinnvolle Durchführung eines Teilhabeplanverfahrens die Kenntnis über die Leistungen der anderen Rehaträger Voraussetzung ist. Dieses Wissen sei zwar deren Leistungsgesetzen zu entnehmen, aber weder die Fallmanager der Eingliederungshilfe noch die Erbringer von Eingliederungshilfeleistungen, noch die Betroffenen selbst verfügten nach Ansicht der Teilnehmenden bisher über das notwendige Wissen. Außerdem wurde der Umstand diskutiert, dass Leistungserbringer, die die Leistungsberechtigten gut genug kennen würden, um im Verfahren für sie sprechen zu können, im Gesamtplanverfahren nicht zwingend zu beteiligen sind.

 

Die Rolle des Menschen mit Behinderungen in den Verfahren

Zum Abschluss des ersten Tages lenkte Svenja Pleuß, Mitarbeiterin im Projekt zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel, den Blick auf die Rolle des Menschen mit Behinderungen in den Verwaltungsverfahren.

Dem Grundsatz „nichts über uns ohne uns“ folgend, wurden die Rechte der Leistungsberechtigten dort gestärkt. Es sei allerdings im Augenblick noch fraglich, ob sie diese Rechte sinnvoll wahrnehmen können bzw. welche Hilfestellungen sie dazu brauchen. Insbesondere die Fragen, wer als Vertrauensperson am Verfahren teilnehmen sollte und ob die gemeinsame Inanspruchnahme von Leistungen das Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen einschränkt, interessierten die Teilnehmenden. Obwohl Einigkeit darüber bestand, dass die Stärkung des Wunsch-und Wahlrechts der Leistungsberechtigten ein großer Fortschritt ist, wurde bezweifelt, ob bzw. welche Gruppen von Menschen mit Behinderungen ihre Rechte durchsetzen könnten. Die Diskussion machte Bedenken deutlich, ob insbesondere Schwerst-Mehrfachbehinderte im Verfahren nicht auf der Strecke blieben. 

Einblick ins Teilhabeplanverfahren

Den Vormittag des zweiten Veranstaltungstages gestaltete Bernd Giraud von der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e.V. (BAR) zum Teilhabeplanverfahren. Der von der BAR im Januar 2018 veröffentlichte Arbeitsentwurf „Gemeinsame Empfehlung Reha-Prozess“ (www.bar-frankfurt.de) (PDF-Dokument) bildete dafür die Grundlage. Herr Giraud machte deutlich, dass es sich zunächst um einen Entwurf und nicht um eine verabschiedete Empfehlung handelt. Zudem sei auch eine verabschiedete Empfehlung im Augenblick nicht bindend für die Träger der Eingliederungshilfe, da sie daran nicht mitgearbeitet hätten. Sie seien eingeladen, der Empfehlung später beizutreten.

Kern des Teilhabeplanverfahrens ist, dass künftig ein einziger Antrag ausreichen soll, um auch bei komplexen Bedarfen, die gleichzeitig Leistungen mehrerer Leistungsgruppen (§ 5 SGB IX) oder mehrerer Rehabilitationsträger (§ 6 SGB IX) erfordern, zu einer Leistungsgewährung „wie aus einer Hand“ zu kommen. Die Teilnehmenden stimmten darin überein, dass sie sich zu Fragen von wann ein Antrag im Sinne des SGB IX vorliegt über die Klärung der Zuständigkeit unter den Rehabilitationsträgern bis hin zu den gesetzlich festgelegten Fristen innerhalb des Verwaltungsverfahrens klarere Regelungen wünschten.

Herr Giraud führte aus, unter welchen Voraussetzungen ein Teilhabeplanverfahren durchzuführen ist und wer dafür verantwortlich ist, es einzuleiten. Die Fragen der Teilnehmer betrafen unter anderem, wie eine Leistung, für die ein anderer Rehabilitationsträger zuständig wäre, nach dessen Leistungsgesetz beschieden werden soll, wie mit Antragssplitting und Teilweiterleitung umzugehen ist und wer die Kosten für sozialmedizinische Gutachten trägt und festlegt, was medizinische und sozialpädagogische Teile des Gutachtens sind. Herr Giraud stellte außerdem vor, wann und wie eine Anpassung des Teilhabeplans erfolgen muss bzw. unter welchen Voraussetzungen dieser endet.

 

Austausch und offene Fragen

Zum Abschluss der Vertiefungsveranstaltung hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, in Gruppen ihre drängendsten Fragen zu formulieren und sich in der großen Runde dazu auszutauschen. Hierbei wurde deutlich, dass ein immenser Qualifizierungsbedarf auf Seiten aller Beteiligten gesehen wird und dass eine Umsetzungs des BTHG nur für möglich gehalten wird, wenn beständige Kooperationsstrukturen bzw. -verfahren etabliert werden. Ungeklärt sei derzeit zudem der durchschnittliche zeitliche und personelle Aufwand für Gesamtplan-und Teilhabeplanverfahren, da sich dieser je nach Art der Behinderung, Lebenssituation und Wünschen des Leistungsberechtigten stark unterscheiden werde.

Materialien

Präsentationen der Referenten

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