Das Zusammenspiel zwischen den rechtlichen Regelungen der SGBs IX und XI, der Bedarfsermittlung und den tatsächlich verfügbaren bzw. noch zu entwickelnden Angeboten wirft zahlreiche Fragen auf, denen sich die Teilnehmenden in ihrer gemischten Zusammensetzung stellen konnten.
In ihrer Einführung gab Annett Löwe, wissenschaftliche Referentin im Projekt Umsetzungsbegleitung BTHG, nochmals einen Überblick zu den Regelungsinhalten des BTHG und zum Stand der Umsetzung des Gesetzes in den Bundesländern. Sie informierte die Teilnehmenden außerdem, dass die Richtlinie nach § 71 Abs. 5 SGB XI noch im Abstimmungsprozess sei und daher nicht, wie ursprünglich geplant, Gegenstand der Veranstaltung sei.
Hamburger Modellprojekt Schnittstelle Pflege und Eingliederungshilfe - § 13 Abs. 4 SGB XI
Anne Sippel, stellte anhand des Modellprojekts der Behörde für Arbeit Soziales Familie und Integration der Freien und Hansestadt Hamburg die praktische Bedeutung des § 13 Abs. 4 SGB XI und Vorschläge zum Verfahren vor.
Bei einem Zusammentreffen fortlaufender Leistungen der Pflegeversicherung bei häuslicher Pflege mit fortlaufenden Leistungen der Eingliederungshilfe und ggf. der Hilfe zur Pflege soll die Vorschrift eine Bündelung der Leistungen und eine Leistungserbringung aus einer Hand ermöglichen. Die Empfehlungen des Spitzenverbandes Bund der Pflegekassen und die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Sozialhilfeträger haben die Modalitäten der Übernahme durch die Erbringer von Eingliederungshilfeleistungen konkretisiert.
Bedeutsam für die Praxis, so fasste Frau Sippel die bisherigen Erkenntnisse des Modellprojekts zusammen, sei insbesondere, dass
- der Leistungserbringer weiterhin mit dem jeweiligen Leistungsträger (Pflegekasse/Träger der Eingliederungshilfe) abrechnet, die Leistungen also nicht wirklich „aus einer Hand“ kommen. Eine Ausnahme gilt lediglich für Geldansprüche aus dem Entlastungsbetrag (§ 45b SGB XI) und dem Umwandlungsanspruch (§ 45a Abs. 4 SGB XI);
- das Verfahren sich insbesondere für Leistungserbringer eigne, die sowohl anerkannter Pflegedienst sind als auch eine Leistungsvereinbarung für Eingliederungshilfe haben;
- nur wenige Leistungsberechtigte einen praktischen Nutzen für ihre Versorgung sehen.
Zunächst stellte Frau Sippel dar, auf welche Weise das Modellprojekt versucht, die gemeinsame Erbringung der Leistungen beispielhaft in die Praxis zu überführen. Anschließend formulierte sie aus Sicht des Modellprojekts eine Anregung zu einer institutionellen Förderung von Settings, in denen Leistungen „wie aus einer Hand“ erbracht werden, z.B. durch Überarbeitung der Gemeinsamen Empfehlungen z.B. durch veränderte Abrechnungsmodalitäten.
Arbeitsgruppen zur Kombination der Leistungen im ambulanten und „stationären“ Setting
Im zweiten Teil des Tages fanden sich die Teilnehmenden in zwei Arbeitsgruppen zusammen. Eine Gruppe setzte sich mit der Kombination von Leistungen der Eingliederungshilfe mit Pflegeleistungen im ambulanten Setting und dem Lebenslagenmodell des § 103 Abs. 2 SGB IX auseinander. Als besondere Schwierigkeit wurde hier gesehen, dass die Formulierung von Teilhabezielen unter Berücksichtigung des Wunsch- und Wahlrechts anhand vieler unterschiedlicher Bedarfsermittlungsinstrumente erfolgt. Die Beratung der Leistungsberechtigten sei angesichts der Unübersichtlichkeit der Normen und Verfahren besonders wichtig. Die Teilnehmenden diskutierten Anforderungen an die Dokumentation im ambulanten Wohnen und mögliche Abgrenzungskriterien zwischen einfacher und qualifizierter Assistenz.
Die Arbeitsgruppen zur Kombination von Leistungen in besonderen Wohnformen und den möglichen Folgen einer Richtlinie nach § 71 Abs. 5 SGB XI wurden zusammengelegt. Hier ging es insbesondere darum, wie schwierig es in der Praxis ist, Eingliederungshilfeleistungen in einer Wohnform mit Pflegeschwerpunkt zu erbringen. Es gibt offenkundig nur sehr wenige stationäre Pflegeeinrichtungen mit Doppelzulassung nach dem SGB XI und dem SGB IX. Es wurde ferner diskutiert, dass Bedarfe individuell bestehen, die Leistungserbringung aber immer komplexer wird und der Fachkräftemangel in allen Bereichen die Möglichkeiten für kreative Lösungen einschränkt. Die Teilnehmenden diskutierten die Notwendigkeit von Netzwerken, um den gemeinsamen Herausforderungen zu begegnen.
Zur Abgrenzung zwischen niedrigschwelligen Betreuungsleistungen nach §45 a SGB XI, pflegerischen Betreuungsmaßnahmen nach §36 SGB XI und Assistenzleistungen des BTHG
Frau Dr. Edna Rasch, Dozentin an der Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung Altenholz, Schleswig-Holstein führte die Teilnehmenden am zweiten Veranstaltungstag in die maßgeblichen Rechtänderungen im Zuge der Pflegestärkungsgesetze I-III und des BTHG ein und erläuterte die einzelnen Leistungstatbestände nach dem SGB XI und dem SGB IX sowie ihre Abgrenzung nach dem jeweiligen Ziel der Leistung.
Frau Rasch plädierte angesichts der unübersichtlichen Regelungen und möglicher Abgrenzungsprobleme im Einzelfall für eine „Sozialleistungsgestaltung als kreative Koproduktion“. Voraussetzung dafür sei allerdings gegenseitiges Vertrauen, Transparenz und (wertschätzende) Kommunikation und das gemeinsame Prinzip, dem Menschen in den Mittelpunkt aller Bemühungen zu stellen.
NePTun - Modellprojekt nach Artikel 25 Abs. 3 BTHG beim Landschaftsverband Rheinland, Köln
Abschließend stellten Melanie Foik und Kai Maltzen vom Landschaftsverband Rheinland (LVR) erste Ergebnisse aus ihrem Modellprojekt NePTun (Neue Grundlagen von Pflege und Teilhabe) vor. Das Projekt beschäftigt sich im Rahmen der Modellhaften Erprobung gem. Art. 25 Abs. 3 BTHG u.a. damit, ein Instrument zur Abgrenzung zwischen EGH- und Pflegeleistungen zu entwickeln. Das interdisziplinäre Projektteam besteht unter anderem aus einer Pflegewissenschaftlerin und einem Heilpädagogen und es geht darum, die Abgrenzung anhand fachlich-inhaltlicher Kriterien zu bewerkstelligen. Danach würden Eingliederungshilfeleistungen eher als solche gesehen, die mit Begleitung und Befähigung zu tun haben. Betreuung käme in diesem Konzept nicht mehr vor. Im Gegensatz dazu würden pflegerische Leistungen eher ausgehend vom „Care-Ansatz“ als fürsorgliche Leistungen, die auf die Angewiesenheit des Pflegebedürftigen reagieren, definiert.
In der Diskussion wurde dieser Ansatz teilweise dankbar aufgenommen, teilweise auch kritisiert. Insbesondere der Aspekt der „Angewiesenheit“ und die Residuen von betreuenden, „kümmernden“ Aktivitäten, die in dem Konzept verwendet werden, wurden kritisch hinterfragt.