Begrüßung durch Manne Lucha (Minister für Soziales und Integration des Landes Baden-Württemberg)
Nach einer kurzen Begrüßung und organisatorischen Hinweisen durch den Moderator Lothar Guckeisen eröffnete der Minister für Soziales und Integration des Landes Baden-Württemberg die Regionalkonferenz Süd. Der Minister ging auf die Hintergründe und Ziele des BTHG ein („Mehr Selbstbestimmung, mehr Teilhabe, mehr Mitsprache von Menschen mit Behinderungen“) und würdigte die Rolle der Länder und Kommunen bei der Umsetzung. Einen Schwerpunkt legte Minister Lucha auf die personenzentrierte und an den Kriterien der ICF orientierten Bedarfsermittlung sowie auf die derzeit in vielen Bundesländern geplanten Übergangsregelungen für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2020.
Grußwort Johannes Fuchs (Präsident des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V.)
Im Anschluss richtete der Präsident des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V., Johannes Fuchs, ein Grußwort an die Teilnehmenden. Herr Fuchs hob die übergeordneten Ziele und die damit verbundenen Herausforderungen des BTHG für die Praxis hervor und ging auf die Rolle der verschiedenen Akteursgruppen ein. Außerdem betonte er die Rolle des Deutschen Vereins und des beim DV angesiedelten Projekts Umsetzungsbegleitung BTHG für den Weg vom Gesetz zur Praxis.
Vorstellung des Projekts Umsetzungsbegleitung BTHG durch Nora Schmidt (Geschäftsführerin des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V.)
Auf das Grußwort von Herrn Fuchs folgte die Vorstellung des Projekts Umsetzungsbegleitung BTHG durch Nora Schmidt (Geschäftsführerin Deutscher Verein). Sie ging dabei auf die Zielsetzung und -gruppen, die Konzeption sowie die Schwerpunktthemen der bisherigen Projektarbeit ein. Zudem wies sie auf die Fachveranstaltungen des Projekts und auf die Möglichkeit der Information und Beteiligung auf der Website www.umsetzungsbegleitung-bthg.de hin. Am Ende Ihres Vortrages erfolgte ein Ausblick auf die Bilanzveranstaltung am 16./17. September in Berlin und die weitere Arbeit des Projekts Umsetzungsbegleitung BTHG.
Überblick zum aktuellen Umsetzungsstand des BTHG auf Bundesebene durch Dr. Sandro Blanke (BMAS)
Den Umsetzungsstand des BTHG auf Bundesebene stellte für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales der neue Leiter des Referats Vb3 (Eingliederungshilfe, Umsetzungsbegleitung Bundesteilhabegesetz, Hilfe in besonderen Lebenslagen), Dr. Sandro Blanke, vor.
Eingangs fokussierte Dr. Blanke drei wichtige Aspekte der bisherigen Umsetzung: Die Teilhabe am Arbeitsleben, das Teilhabeplanverfahren und die ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) und lobte deren erfolgreiche Implementierung. Im Zuge dessen würdigte Dr. Blanke die große Umsetzungsbereitschaft der Bundesländer.
In den meisten Ländern liegen bereits Ausführungsgesetze vor. Der nächste Schritt ist nun die Verhandlung der Landesrahmenvereinbarungen. Diese stellen eine Voraussetzung für eine funktionierende personenzentrierte Eingliederungshilfe in der Praxis dar. Derzeit gebe es vielerorts noch reichlich Verhandlungsbedarf und viele strittige Punkte. Es werde auch vielfach mit Übergangsregelungen gearbeitet, was das BMAS mit großem Interesse beobachte. Herr Dr. Blanke gab zu bedenken, dass Provisorien auch Provisorien bleiben müssten.
Darüber hinaus nahm Dr. Blanke Stellung zur Arbeit der AG Personenzentrierung, welche 2018 Empfehlungen zur Umsetzung der Trennung der Leistungen in bisherigen stationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe erarbeitet, sowie zur Neuregelung des leistungsberechtigten Personenkreises, die bis 2022 vorgenommen worden sein wird.
Abschließend fasste Dr. Blanke die in naher Zukunft anstehenden Themen zusammen und nahm dabei insbesondere das laufende Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des Neunten und Zwölften Buches Sozialgesetz in den Blick, welches noch in diesem Jahr verabschiedet werden soll.
Fachforen
Am Nachmittag des ersten und am Morgen des zweiten Veranstaltungstages fanden vier thematische Fachforen statt.
Forum 1: Trennung der Fachleistungen von den existenzsichernden Leistungen
Zur Dokumentation des Forums 1
Forum 2: Landesrahmenverträge - aktuelle Berichterstattung aus den Ländern
Zur Dokumentation des Forums 2
Forum 3: Bedarfsermittlung und -feststellung / Bedarfsermittlungsinstrumente
Zur Dokumentation des Forums 3
Forum 4: Teilhabe am Arbeitsleben
Abschlussdiskussion
Was nehmen wir mit und wie geht es weiter? - Moderierter Talk
An der abschließenden Podiumsdiskussion nahmen Stephanie Aeffner (Behindertenbeauftragte des Landes Baden-Württemberg), Rita Henning (Leiterin der Abteilung Behindertenhilfe, Sozialpsychiatrie und Suchtfragen (BeSoS), Diakonie Hessen - Diakonisches Werk in Hessen und Nassau und Kurhessen-Waldeck e. V.), Harald Diehl (Referatsleiter Eingliederungshilfe, Ministerium für Gesundheit, Soziales, Arbeit und Demografie Rheinland-Pfalz) und Bernd Seiwert (Leiter der Abteilung Soziales, Inklusion, soziales Ehrenamt im Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie Saarland).
Einbeziehung der Menschen mit Behinderungen
Frau Aeffner bemängelte die Einbeziehung der Menschen mit Behinderungen nicht immer und nicht überall ausreichend praktiziert werde. Dies zeige ihrer Meinung nach ein strukturelles Problem auf. Wichtig sei deshalb, dass im Zuge der Umsetzung des Gesetzes Strukturen dafür geschaffen werden, dass die Interessenvertretungen auf Augenhöhe mitsprechen können. Dafür seien auch Strategien zu deren Professionalisierung zu schaffen.
Herr Seiwert ergänzte, dass diese Strategien im Saarland bereits umgesetzt werden. Auch das BTHG habe Verbesserungen in diesem Bereich gebracht, zum Beispiel bei der Stärkung der Werkstatträte. Herr Seiwert bestätigte aber, dass es noch Verbesserungspotenzial bei der Beteiligung von Menschen mit Behinderungen gebe.
Herr Diehl verwies darauf, dass in Rheinland-Pfalz insbesondere bei der Entwicklung des Bedarfsermittlungsinstruments auf die Wünsche und Anforderungen der Menschen mit Behinderungen eingegangen worden sei. Außerdem habe das Ministerium die an den Landesrahmenvertragsverhandlungen beteiligten maßgeblichen Interessenvertretungen geschult.
Frau Henning führte aus, dass es in Zukunft ausgeschlossen sei, eine Vertragskommission ohne die Beteiligung der Menschen mit Behinderungen zu gestalten. Stärker als bisher sollte dabei auch auf die Expertise der Menschen mit sogenannten geistigen Behinderungen zurückgegriffen werden.
Sozialraumorientierung
Herr Diehl versteht in diesem Zusammenhang die Stärkung des persönlichen Budgets, das die Wünsche der Menschen mit Behinderungen in den Fokus rückt, als großen Zugewinn für die Leistungsberechtigten. Dieses Thema hätte seiner Meinung nach stärker forciert werden können. Großes Entwicklungspotenzial sieht er zudem beim Konzept der Sozialraumorientierung. Als dessen logische Konsequenz betrachtet er das Sozialraum-Budget, welches das Ziel habe Selbstbestimmung noch stärker zu fördern. Frau Aeffner lehnt ein Sozialraumbudget dagegen ab. Gegen das Konzept der Sozialraumorientierung sei nichts einzuwenden, da es dazu führen könne, versäultes Denken in den Haushalten der Länder, Kommunen etc. aufzugeben. Ein Budget als feste Größe könne aber keine individuelle Bedarfsdeckung gewährleisten. Dass Sozialraumorientierung im Zusammenhang mit Personenzentrierung und Individualität gedacht werden müsse, ergänzte Frau Henning. Die Erschließeng des Sozialraums müsse stets im Kontext der Befähigung von Menschen mit Behinderungen, selbstständiger zu leben, gedacht werden.
Bedarfsermittlung nach vergleichbaren Kriterien
Auf die Frage, wie eine Bedarfsermittlung nach vergleichbaren Kriterien gewährleistet werden kann, befand Frau Aeffner, dass es für die Länder nicht einfach gewesen sei, in der Kürze der Zeit Orientierung zu finden. Wichtig sei nichtsdestotrotz, dass einheitliche Standards entwickelt werden, um länderübergreifen für Leistungstransparenz zu sorgen. Herr Diehl begründete die Pluralität der Bedarfsermittlungsinstrumente verfassungsrechtlich. Ungeachtet dessen seien sich die existierenden Instrumente auch aufgrund des intensiven Austauschs weitgehend kohärent.
Personalqualifizierung in den Behörden und Ausgestaltung der Leistungen
Die Diskutanten zeigten sich einig darüber, dass der Systemwechsel auch Herausforderungen für die Mitarbeiter/innen auf Seiten der Leistungsträger und –erbringer mit sich bringt. Frau Henning hält das vorhandene Personal für gut qualifiziert und vorbereitet. Sie erkenne aber auf allen Seiten einen Fachkräftemangel. Vielmehr als die Frage nach der Qualifizierung des Personals gehe es jedoch um eine „Haltungsänderung“, so Frau Henning. Im Zentrum aller Verfahren müssten Bedarf, Wunsch und Ziele des Menschen stehen. In der Konsequenz heiße das auch, dass für eine leistungsberechtigte Person oft mehrere Leistungserbringer Leistungen erbringen. Frau Aeffner unterstrich, dass sowohl auf Seiten der Leistungserbringer als auch bei Angehörigen der Fürsorgegedanke noch dominiere. Das behindere die Menschen jedoch in ihrer Entwicklung. Dass die Leistungen den Menschen zugeordnet werden (und nicht umgekehrt), sei der Maßstab des Paradigmenwechsels in der Eingliederungshilfe. Herr Diehl brachte in diesem Zusammenhang eine modulare Ausgestaltung der Leistungen ins Spiel. So sollten Leistungsberechtigte Module und entsprechend die Erbringer von Leistungen auswählen können. Das verlange von den Erbringern ein höheres Maß an Flexibilität.
Fragen aus dem Publikum:
Werkstatträte-Finanzierung
Frau Aeffner versicherte, dass die nach der Finanzierung der Werkstatträte Gegenstand der Landesrahmenvertragsverhandlungen sei. Beim Themenkomplex „Arbeit“ sei bei den Verhandlungen jedoch noch vieles offen, dazu zähle auch die Finanzierung der Werkstatträte und der Frauenbeauftragten.
Mangelnde Bedarfsdeckung?
Ein Teilnehmer äußerte mit Verweis auf die Einführung der Pflegeversicherung Bedenken, dass die Bedarfsdeckung bzw. die Wünsche des Berechtigten bei der Bedarfsermittlung in den Hintergrund treten könnten. Frau Aeffner sieht dafür kein Anlass. Anders als die steuerfinanzierte Eingliederungshilfe EGH sei die Pflegeversicherung eine Art „Teilkaskoversicherung“, die gar nicht den Anspruch hatte, Bedarfe zu decken. Auch Frau Henning teilt diese Befürchtungen auch nicht. Vielmehr sehe sie bei der Diskussion um vorrangige Kostenträger mit Besorgnis, dass originäre Eingliederungshilfeleistungen aus Kostengründen womöglich in die Pflege verschoben werden könnten.
Forderung nach Abschaffung des § 43a SGB XI
Ein Vertreter der Lebenshilfe forderte die Abschaffung des § 43a SGB XI, welcher Menschen mit Behinderung in der Pflegeversicherung benachteilige, und bekam dafür u.a. Zuspruch von Herrn Diehl und Frau Aeffner. Herr Diehl schätzt die Chancen dafür jedoch gering ein. Die Abschaffung hätte für die Pflegeversicherungen einen erheblichen finanziellen Mehraufwand zur Folge, der sich nur über höhere Beiträge oder Bundeszuschüsse abschwächen ließe. Beides hält Herr Diehl für politisch nicht realistisch.
Was nehmen Sie mit?
Auf die Frage, was die Podiumsteilnehmer/innen aus der Veranstaltung mitnehmen konnten, zeigten sich alle einig, dass noch viel Arbeit bevorstehe. Erstaunt waren die Diskutant/innen von der großen Bandbreite der Lösungsansätze in den Bundesländern. Dass in allen Ländern lösungsorientiert gearbeitet werde, bestätigten die Teilnehmer/innen unisono.