Hintergrund, Inhalte und Umsetzungsstand des BTHG
Zu Beginn der Veranstaltung wurden der Hintergrund des BTHG, die wesentlichen Änderungen im Rahmen des BTHG, die Reformstufen, landesrechtliche Regelungen sowie derzeitige Aktivitäten des Projekts Umsetzungsbegleitung BTHG durch Matthias Dehmel, wissenschaftlicher Referent im Projekt Umsetzungsbegleitung BTHG, ausgeführt. Darüber hinaus wurde ein kurzer Überblick über den Umsetzungsstand der Ausführungsgesetze, die Neubestimmung der Träger der Eingliederungshilfe sowie die Neueinführung der Bedarfsermittlungsinstrumente gegeben.
Personenzentrierung und sozialräumliche Gestaltung von Teilhabeleistungen
Die wissenschaftliche Grundlage zum Thema Sozialraumorientierung lieferte Prof. Dr. Erik Weber (Professor für „Inclusive Education/Integrative Heilpädagogik“ an der Ev. Hochschule Darmstadt).
Mit einem Blick in die Vergangenheit machte Professor Weber auf die Veränderungsprozesse in der Behindertenpolitik und -hilfe und deren Weiterentwicklung aufmerksam. Diese Veränderungen vollziehen sich nach Professor Weber auf der Ebene institutioneller Hilfen, des Menschenbildes und auf der Ebene von Leitprinzipien. Die heutigen Leitprinzipien seien Inklusion und Teilhabe.
Mit der UN-Behindertenrechtskonvention sei inzwischen ein menschenrechtlicher Anspruch auf ein Mehr an Teilhabe und zur Verhinderung von Exklusion, Diskriminierung und Gewaltverhältnissen formuliert worden.
Der Vortrag von Prof. Dr. Weber beschäftigte sich ausführlich mit dem Konzept der Sozialraumorientierung. Der soziale Raum müsse nicht wieder- oder gar neuentdeckt werden. Vielmehr gehe es darum, den Sozialraum inhaltlich auszugestalten und im Kontext der Lebenswirklichkeit von Menschen mit Behinderungen zu verstehen. Das Bundesteilhabegesetz greife dies bei der Beschreibung der Leistungen zur Sozialen Teilhabe auf. So gehört es zu den Leistungen zur Sozialen Teilhabe, „Leistungsberechtigte zu einer möglichst selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Lebensführung im eigenen Wohnraum sowie in ihrem Sozialraum zu befähigen oder zu unterstützen“ (§ 76 SGB IX).
Mit Verweis auf aktuelle Forschungsergebnisse hob Professor Weber Schwierigkeiten der sozialräumlichen Gestaltung der Unterstützungsleistungen für Menschen mit Behinderungen. Dabei betonte er u.a. die große Bedeutung einer individuellen Bedarfsermittlung.
Die Schaffung inklusiver Sozialräume aus der Sicht des Bundes
Aus der Sicht des Bundes konturierte anschließend Lars Wilhelms, Oberamtsrat im Referat V a 5 (Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, Focal Point, Nationaler Aktionsplan) des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales., das Ziel der Leistungen zur Sozialen Teilhabe, die mit dem BTHG konkretisiert und strukturiert werden. Am Beispiel der „InitiativeSozialraumInklusiv - ISI“ zeigte Herr Wilhelms auf, wie der Bund die Kommunen unterstützt, mehr Barrierefreiheit herzustellen.
Leistungen zur Sozialen Teilhabe nach Kapitel 6 SGB IX n.F.
Thomas Schmitt-Schäfer ging in seiner Präsentation zunächst kurz auf die Genese des BTHG ein. Trotz der Herauslösung der Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe und der Überführung in das SGB IX habe der Gesetzgeber am Nachrangprinzip der Eingliederungshilfe festgehalten (§ 91 SGB IX n.F.). Demnach erhalte Eingliederungshilfe, „wer die erforderliche Leistung nicht von anderen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.“ Auch das Verhältnis der Eingliederungshilfe zur Pflege („Die Leistungen der Eingliederungshilfe sind im Verhältnis zur Pflegeversicherung nicht nachrangig“, § 13 Abs. 3 SGB XI) bleibe bestehen, was große Schwierigkeiten in der Praxis bereithalte und eines der Knackpunkte in den Verhandlungen zu den Landesrahmenverträgen darstelle. Neu sei dagegen, dass Leistungen der Eingliederungshilfe nur erhält, wer einen Antrag stellt (§198 SGB IX n.F.). Anforderungen an die Form des Antrags gebe es allerdings nicht. Diese werde in den Rahmenvertragsverhandlungen geregelt.
Leistungen zur Sozialen Teilhabe sollen Menschen mit Behinderungen die gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen oder erleichtern. Analog zu den Leistungen der medizinischen Rehabilitation stellte Herr Schmitt-Schäfer Zielsetzungen, Maßnahmen und den Bezug auf die ICF (International Classification of Functioning, Disability and Health) der Leistungen zur Sozialen Teilhabe nach § 113 SGB IX, Teil 2 n.F. vor. Zudem ging er auf den räumlichen Bezug dieser Leistungen ein. Dieser erstrecke sich auf den eigenen Wohnraum sowie auf den Sozialraum. Eine große Bedeutung habe in diesem Kontext das Gesamtplanverfahren, in welchem die Leistungen der Eingliederungshilfe ermittelt werden.
Nach dem BTHG dienen diese Leistungen der Befähigung zur eigenständigen Bewältigung/Erledigung des Alltages einschließlich der Tagesstrukturierung durch Anleitung und Übung. Leistungen zur Beseitigung oder Minderung von Einschränkungen der Funktionsfähigkeit gehören nicht dazu. Leistungen zur sozialen Teilhabe seien mit dem BTHG deutlich abgegrenzt von der medizinischen und beruflichen Rehabilitation, so Herr Schmitt-Schäfer.
Im Gegensatz zu Pflegeleistungen zielen die Leistungen zur Sozialen Teilhabe nicht auf Selbstständigkeit ab, sondern dienen gemäß § 78 SGB IX, Teil 1 der selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltags einschließlich der Tagesstrukturierung. Was genau die Leistungen bedeuten, müsse in den Rahmenvertragsverhandlungen festgelegt werden. § 78 Abs. 2 SGB IX, Teil 1 lege jedoch fest, dass die Leistungsberechtigten selbst auf der Grundlage des Teilhabeplans über die konkrete Gestaltung der Leistungen hinsichtlich Ablauf, Ort und Zeitpunkt der Inanspruchnahme entscheiden.
Um dem Prinzip der Personenzentrierung gerecht zu werden, bestimmten sich die Leistungen der Eingliederungshilfe dabei nach der Besonderheit des Einzelfalls. Soweit sie angemessen sind, ist dabei den Wünschen der Leistungsberechtigte zu entsprechen (§ 104 Abs. 2 SGB IX, Teil 1 n.F.). Die Hürden, die Angemessenheit der gewünschten Leistung abzuerkennen, habe der Gesetzgeber hoch angesetzt. So ist der Kostenträger verpflichtet, die familiären und lebenswirklichen Umstände auf die Zumutbarkeit der Leistungserbringung zu überprüfen. Die verhandelnden Parteien seien gefragt, dies in den Rahmenvertragsverhandlungen zu berücksichtigen.
Im Anschluss ging Herr Schmitt-Schäfer u.a. auf Pauschale Geldleistungen, die Gemeinsame Inanspruchnahme von Leistungen und im Ansatz auf die Schnittstellen zu Leistungen zur Pflege ein.
Präsentationen der Arbeitsgruppen
„einfache“ vs. „qualifizierte“ Assistenz
Unterstützte Elternschaft für Eltern mit Behinderung
Das Projekt "QPlus - Neue Unterstützungsformen im Quartier"
Wie die Eingliederungshilfe an die Lebenswelt der Menschen mit Behinderungen anknüpft und wie Finanzierungsmodelle aussehen können, stellten im abschließenden Vortrag Karen Haubenreisser (Leiterin der Initiative QPlus Sozialraumentwicklung der Evangelischen Stiftung Alsterdorf) und Ingo Tscheulin vor.
Das Projekt QPlus rückt den Wunsch und den Willen der Betroffenen in den Mittelpunkt. Die Leistungsberechtigten bestimmen selbst, wo sie Hilfe von Assistent/innen benötigen, welche Aufgaben sie selbst erledigen können und was ihr Netzwerk und ihr Quartier für sie tun können.
Hierzu stellte Frau Haubenreisser Beispiele aus dem Alltag von Betroffenen vor, deren Lebens- und Teilhabesituation sich durch das Projekt deutlich verbessert hat. Möglich macht dies auch die Arbeit der sogenannten Quartierlots/innen, welche die Anliegen, Interessen und Sozialräume der Betroffenen erkunden, Lösungen entwickeln und in Konfliktsituationen vermitteln. Dies wirkt sich auch auf das Unterstützungssetting von Profileistungen hin zu persönlichen und sozialräumlichen Unterstützungen aus.
Sozialräumliche Leistungserbringung mit Budgets
Aufbauend auf der Präsentation von Frau Haubenreisser stellte Herr Tscheulin vor, wie „Sozialräumliche Leistungserbringung mit Budgets“ gelingt. Budgets können, so Herr Tscheulin, die Flexibilität, die sozialräumliches Arbeiten erfordern, bieten. Voraussetzung hierfür war ein Umdenken, welches eine Kooperation zwischen der ESA und der BASFI möglich machte. Das Ziel der Einführung von Trägerbudgets ist die Planungssicherheit für Kostenträger und Leistungserbringer, Schaffung von Flexibilität für sozialräumliche Leistungserbringung und die Personenzentrierung. Herr Tscheulin betonte, dass gegenseitiges Vertrauen Voraussetzung für Budgets ist.