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Kostenübernahme für Pflege- und Betreuungsleistungen in eigener Mietwohnung

19. Juli 2023

Kostenübernahme für Pflege- und Betreuungsleistungen in eigener Mietwohnung

Das Sozialgericht München entschied im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens am 15. Mai 2023 über einen Antrag auf Kostenübernahme für Pflege- und Betreuungsleistungen nach Umzug in einer Mietwohnung (Aktenzeichen S 48 SO 131/23 ER).

Worum geht es?

Die 1997 geborene Antragstellerin bezog auf Grund ihrer Beeinträchtigungen seit Januar 2017 Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach dem Pflegegrad 4. Seit früher Kindheit wohnte sie in stationären Einrichtungen. Der Wunsch der Antragstellerin, eine eigene Wohnung zu beziehen, führte nach einer Bezugszusage für eine öffentlich geförderte Wohnung zur Kündigung des bis dahin bestehenden Wohngruppenvertrages seitens der Antragstellerin.
Zur Versorgungsgewährleistung innerhalb des eigenen Wohnraumes begehrte die Antragstellerin, vertreten durch ihre rechtliche Betreuerin, die Kostenübernahme für eine 24-Stunden-Assistenz und einen ambulanten Pflegedienst.
Der Leistungsträger wies den Anspruch auf Kostenübernahme wegen unverhältnismäßigen Mehrkosten zurück. Zur Abwendung drohender wesentlicher Nachteile rief die Antragstellerin, vertreten durch die rechtliche Betreuerin, das Sozialgericht an.

Entscheidung des Sozialgerichts: Leistungsträger vorläufig zur Kostenübernahme verpflichtet

Das Sozialgericht München hielt den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands für zulässig und begründet. Es verpflichtete den Leistungsträger zur Übernahme der Kosten vorläufig bis zum 31.12.2023.

Das Gericht stützte seine Entscheidung insbesondere auf das in § 104 SGB IX normierte Wunsch- und Wahlrecht und Artikel 19 UN-BRK. So lautet der 2. Leitsatz der Entscheidung: „Nach den Vorgaben in § 104 Abs. 3 Satz 3 SGB IX, die sich an Artikel 19 UN-BRK orientieren, ist der Wunsch des behinderten Menschen, außerhalb von besonderen Wohnformen zu leben, grundsätzlich angemessen im Sinne von § 104 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. In solchen Fällen kann der behinderte Mensch nicht auf die Inanspruchnahme stationärer Leistungen verwiesen werden, da es sich nicht um eine vergleichbare Leistung im Sinne von § 104 Abs. 2 Satz 2 SGB IX handelt.“ (Quelle: SG München, Beschluss vom 15.05.2023 – S 48 SO 131/23 ER -, juris)
Der Anordnungsanspruch ergibt sich aus §§ 90 ff, § 113 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 SGB IX in Verbindung mit §§ 78 SGB IX.

Fazit: Kern von Wunsch- und Wahlrecht verdeutlicht

Die Entscheidung des Sozialgerichts verdeutlicht noch einmal den Kern des Wunsch- und Wahlrechts. Vor allem rückt das Gericht mit seiner Entscheidung § 104 Abs. 3 Satz 4 SGB IX deutlich in den Fokus. Der Gesetzestext gibt dem Wohnen außerhalb von besonderen Wohnformen den Vorzug, sofern dies von der leistungsberechtigten Person gewünscht wird.
Wünscht die leistungsberechtigte Person außerhalb einer besonderen Wohnform zu wohnen, verbietet sich nach den Ausführungen des Gerichts eine Angemessenheitsprüfung, weil es an der Vergleichbarkeit der zu erbringenden Leistungen mangelt. Wünscht die leistungsberechtigte Person, in einer eigenen Wohnung zu leben, kann dieser Wunsch nicht mit der Begründung abgelehnt werden, die daraus resultierenden Folgekosten wären unangemessen, vgl. SG München, Beschluss 15.05.2023, S 48 SO 131/23 ER -, juris, Rn. 33.

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