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BTHG-Kompass 1.4

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Inhaltsverzeichnis

BTHG-Kompass 1.4

ICF-Orientierung bei komplex beeinträchtigten Personen

Den abstrakten Ausführungen der DVfR in der Stellungnahme zur ICF-Nutzung (Stand August 2017) kann einerseits sicherlich zugestimmt werden. Dies gilt aber nur für den Personenkreis der Menschen mit Behinderungen, der sich aktiv in das private und gesellschaftliche Geschehen einbringen kann. Ich habe bisher noch keine Hinweise zur ICF-Orientierung gelesen für einen Personenkreis, der als komplex beeinträchtigt beschrieben werden kann und wo der Unterstützungsbedarf für eine auch von diesen Menschen gewünschte, aber nicht finanzierte Aktivierung hoch ist. Gibt es konkrete Hinweise, wie die ICF-Grundsätze auch diesen Menschen zugutekommen und wie der für die Aktivierung ihrer Wünsche erforderliche Bedarf festgestellt wird? Oder haben alle schon die Position eingenommen, dass dieser Personenkreis sowieso in der Hilfe zur Pflege (SGB XII) landet, wo die ICF-Kriterien keine Rolle spielen?



Antwort:

ICF-Anwendung für Menschen mit schweren Behinderungen

Mir sind keine Überlegungen, Konzepte, theoretische Abhandlungen oder Anwendungen zur ICF bekannt, die Menschen mit schweren und sehr schweren Behinderungen nicht einbeziehen oder bei denen erkennbar wäre, dass diese Personengruppe von der Verwendung des biopsychosozialen Modells bzw. der ICF ausgeschlossen oder dadurch benachteiligt wäre. Im Gegenteil: Durch die ICF kann sowohl die Behinderung in jedem Schweregrad beschrieben als auch diese zur Grundlage von Bedarfsermittlungen und damit von Hilfe-, Förder-, Unterstützungs-, Teilhabe- und Gesamtplänen gemacht werden.

In der ICF wird die Wechselwirkung zwischen Schädigungen der Körperstrukturen und Funktionen, der Beeinträchtigung von Aktivitäten und Teilhabe und den Kontextfaktoren, die als Barrieren oder als Förderfaktoren wirken können, beschrieben. Dieses Konzept wird auch in § 2 des SGB IX in der neuen Fassung des BTHG dem gesetzlichen Behinderungsbegriff zugrunde gelegt. Bei komplex und schwer mehrfachbehinderten Menschen kann man mittels des biopsychosozialen Modells klar herausarbeiten, dass bei dieser Personengruppe oft schwere Schädigungen vorliegen, dass aber dennoch Teilhabe möglich ist. Wie dies der Fall sein kann, hängt nach diesem Modell dann lediglich davon ab, ob diesen Menschen entsprechende Unterstützung im Sinne von Förderfaktoren zur Verfügung gestellt wird. So kann auch ein Mensch mit schwerer Cerebralparese, der über keine willkürliche Motorik verfügt, nicht sprechen und nicht selbst essen und schlucken kann, die Teilhabe an einer Tagesstruktur, an Veranstaltungen, am Leben in einer Gruppe oder auch mit zusätzlicher Assistenz in der Familie ermöglicht werden, wenn Einrichtungen und Dienste bzw. persönliche Assistenz (Kontextfaktoren als Förderfaktoren) vorhanden sind und die Umgebung, in der er sich aufhalten möchte, barrierefrei ist. Auch gehört dazu z. B. ein Rollstuhl, eine Sitzschale, ggf. auch ein Kommunikationshilfsmittel usw. Dies gilt analog auch für Menschen mit schweren geistigen Behinderungen und mit herausforderndem Verhalten, wie z. B. Menschen mit schwerem Autismus, oder auch nach schwerem Schädel-Hirn-Trauma, ggf. im Wachkoma.

Die ICF und der neue Behinderungsbegriff des BTHGProbleme in der Anwendung der ICFDownloads und Links

Leistungserbringer und Bedarfsermittlung

Bisher haben die Leistungserbringer die Hilfepläne (Metzlerbogen bzw. Behandlungs- und Rehabiltationsplan) für ihre jeweiligen KlientInnen erstellt. Soll diese Aufgabe mit dem seit dem 01.01.2018 geltenden Gesamtplanverfahren nun auf die Kostenträger übergehen? Und wenn ja, wie sieht diese Umsetzung für die Praxis in den jeweiligen Bundesländern aus?



Antwort:

Rolle der Kostenträger im Gesamtplanverfahren

Das Gesamtplanverfahren war auch nach bisherigem Recht Aufgabe des Kostenträgers (§ 58 SGB XII a.F.). Die bisherige Praxis, dass Leistungserbringer Hilfepläne für ihre Klientinnen und Klienten erstellen, mag der Verfahrensvereinfachung gedient haben, ist aber spätestens seit dem 1. Januar 2018 in allen Bundesländern unzulässig. Die nunmehr obligatorische Beteiligung des Leistungsberechtigten im Gesamtplanverfahren dient unter anderem seiner Beratung und der Einbeziehung seiner Wünsche in die Bedarfsfeststellung und Leistungsplanung.

In der Orientierungshilfe der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe (BAGüS) heißt es dazu: "Zuständig für die Gesamtplanung ist der Träger der Eingliederungshilfe, der für die Leistung zuständig ist [...] Da der Bedarfsermittlung ein zentraler Stellenwert im Gesamtplanverfahren zukommt, sind dafür entsprechende zeitliche und personelle Ressourcen einzuplanen [...] Eine Beteiligung der Leisungserbringer am Gesamtplanverfahren ist nicht vorgesehen, jedoch können Mitarbeiter des Leistungserbringers auf Wunsch des Leistungsberechtigten als Vertrauensperson beteiligt werden". (BAGüS 2018: 5f.)

Materialien

Gutachten der Gesundheitsämter

Bisher haben die Ärzte der Gesundheitsämter die Krankheiten anhand des ICD ermittelt. Auf dieser Grundlage prüfte der Sozialdienst die Teilhabeeinschränkung und somit die Zugehörigkeit zum anspruchsberechtigten Personenkreis. In den Gutachten der Gesundheitsämter nach ICF werden jedoch seit dem 01.01.2018 detailliert die Teilhabeeinschränkungen beschrieben, sodass die Prüfung des Sozialdienstes entfallen könnte. Ist der Träger der Eingliederungshilfe an das Gutachten gebunden? Entfällt dieser Prüfschritt durch den Sozialdienst in Zukunft?



Antwort:

Aufgabenverteilung zwischen Gesundheitsämtern und Sozialdienst

Nach dem BTHG ist der Träger der Eingliederungshilfe und nicht das Gesundheitsamt für die Beschreibung der Beeinträchtigung der Teilhabe zuständig (§ 142 SGB XII; ab 01.01.2020 § 118 SGB IX n.F.).

Zugleich ist das Gesamtplanverfahren gemäß § 141 SGB XII (ab 01.01.2020 § 117 SGB IX n.F.) unter Beachtung des Kriteriums „interdisziplinär“ durchzuführen. In diesem Zusammenhang formuliert die BAGüS in ihrer Orientierungshilfe zur Gesamtplanung den Hinweis, am Gesamtplanverfahren „die fachlichen Disziplinen zu beteiligen, die die für die Ermittlung und Feststellung des Bedarfs notwendige Fachkompetenz mitbringen“ (BAGüS 2018: 8).

Zur Sicherstellung der im BTHG geforderten Interdisziplinarität ist auch die Einbindung der ärztlichen Expertise der Gesundheitsämter von Bedeutung. Weitere Vorgaben hinsichtlich der konkreten Aufgabenverteilung zwischen Gesundheitsämtern und Träger der Eingliederungshilfe sind im BTHG jedoch nicht enthalten. Vielmehr unterscheiden sich die Bedarfsermittlungsinstrumente, die aktuell durch die Träger der Eingliederungshilfe und die Bundesländer (weiter-)entwickelt werden dahingehend, inwieweit die Träger der Eingliederungshilfe auf der ärztlichen Diagnose hinsichtlich des Gesundheitsproblems und der Körperfunktionen und -strukturen aufbauen oder diese eigenständig erheben.

 

 

 

 

Materialien

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