Hintergrund
Die Möglichkeiten einer individuellen und den persönlichen Wünschen entsprechenden Lebensplanung und -gestaltung unter Berücksichtigung des Sozialraumes bei den Leistungen zur sozialen Teilhabe zu stärken, ist eines der Gesetzesziele des BTHG. Demnach sollen die Träger der Eingliederungshilfe gemäß § 95 S. 1 SGB IX im Rahmen ihrer Leistungsverpflichtung eine personenzentrierte Leistung für Leistungsberechtigte unabhängig vom Ort der Leistungserbringung sicherstellen.
Was genau bedeutet Sozialraumorientierung?
Der Begriff der Sozialraumorientierung (grundlegend Nellissen, Sozialraumorientierung im aktivierenden Sozialstaat, 2006) bedeutet die Ausrichtung der Leistungsangebote auf einen sozialgeografisch begrenzten Raum. Das kann ein Stadtteil, ein Quartier oder eine Region sein. Der Begriff umfasst aber auch die Ausrichtung auf einen sozial konstruierten Raum, also auf einen bestimmten Lebensraum oder einen sozialen Mikrokosmos, der die Bewohner in Relation zu ihrer Umwelt setzt. In der Sozialraumorientierung geht es somit nicht darum, mit spezialisierten Methoden und pädagogischer Absicht Menschen zu verändern. Sondern Ziel ist es, Lebenswelten zu gestalten und Arrangements zu kreieren, die Leistungsberechtigten helfen, auch in prekären Lebenssituationen zurecht zu kommen.
Teilhabemöglichkeiten ergeben sich aus der Interaktion mit der Umwelt
Basierend auf den Formulierungen der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) und der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) ist mit der BTHG-Reform nun auch im SGB IX festgehalten: Behinderung resultiert aus der Wechselwirkung von körperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnesbeeinträchtigungen mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren. Im SGB IX wird damit anerkannt, dass sich die Teilhabemöglichkeiten eines Menschen aus der Interaktion mit der Umwelt ergeben. Das bedeutet für die Eingliederungshilfe zwangsläufig die Ausrichtung von Leistungsangeboten nach sozialraumorientierten Aspekten, um somit Teilhabe zu fördern.
Rechtliche Verankerung im SGB IX
Der Begriff des Sozialraums lässt sich im SGB IX an mehreren Stellen ausfindig machen.
- Die Träger der Eingliederungshilfe haben gem. § 95 S. 1 SGB IX im Rahmen ihrer Leistungsverpflichtung eine personenzentrierte Leistung für Leistungsberechtigte unabhängig vom Ort der Leistungserbringung sicherzustellen.
- Zu Leistungen der sozialen Teilhabe gehört es, Leistungsberechtigte zu einer möglichst selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Lebensführung im eigenen Wohnraum sowie in ihrem Sozialraum zu befähigen oder sie hierbei zu unterstützen (§ 76 Abs. 1 S. 2 SGB IX, § 113 Abs. 1 S.2 SGB IX).
- Es bestimmen sich gem. § 104 Abs. 1 S. 1 SGB IX die Leistungen der Eingliederungshilfe nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Bedarfes, den persönlichen Verhältnissen, dem Sozialraum und den eigenen Kräften und Mitteln.
- Die Träger der Eingliederungshilfe müssen gem. § 106 Abs. 2 Nr. 5 und 6 SGB IX u.a. zu anderen Hilfemöglichkeiten und Beratungsmöglichkeiten im Sozialraum beraten können.
- Das Gesamtplanverfahren soll gem. § 117 SGB IX u.a. sozialraumorientiert sein.
- Fachkräfte bei der Eingliederungshilfe sollen gem. § 97 S. 1 Nr. 2 SGB IX umfassende Kenntnisse über den regionalen Sozialraum und seine Möglichkeiten zur Durchführung von Leistungen der Eingliederungshilfe haben.
Die Leistung auf den Sozialraum zu beziehen, ist somit vom Gesetzgeber explizit gewünscht und von den Bundesländern in den Landesrahmenverträgen umzusetzen.
Rechtliche Verankerungen in den Landesrahmenverträgen
Zu den Aufgaben der Länder gehört es, auf flächendeckende, bedarfsdeckende, am Sozialraum orientierte und inklusiv ausgerichtete Angebote von Leistungsanbietern hinzuwirken. Die Umsetzung des Konzepts der Sozialraumorientierung wird in den Landesrahmenverträgen unterschiedlich stark implementiert.
Im Thüringer Landesrahmenvertrag ist ein Leistungssystem geregelt, dass sich um den Sozialraum herum gruppiert als zentrale Größe bei Leistungsplanung und -erbringung.
In den Landesrahmenverträgen Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt wird in den Präambeln betont, dass regionale Netzwerke im Zuge der sozialräumlichen Ausrichtung des Hilfesystems ausgebaut bzw. gänzlich neu geschaffen werden müssen.
In Mecklenburg-Vorpommern sowie Nordrhein-Westfalen werden die Begriffe Sozialraum und Sozialraumorientierung in den Anlagen ausführlich definiert.
In Bremen hingegen ist das Konzept der Sozialraumorientierung in Form von Programmsätzen (§ 11 Abs. 2; Einbindung in Versorgungs- und Kooperationsstrukturen und in den Sozialraum als Strukturqualitätsmerkmal) zu finden.
Schwerpunkte der Diskussion
- Wie erfolgt die Ermittlung des Sozialraums des Leistungsberechtigten. Welche Instrumente werden hierfür ggf. genutzt?
- Wie erfolgt die Beteiligung von allen Akteuren im Sozialraum?
- Kennen Sie gute Beispiele, bei denen eine sozialräumliche Ausrichtung der Eingliederungshilfe bereits erfolgreich praktiziert wird?
- In welchem Verhältnis sehen Sie die Stellung der Personenzentrierung zur Sozialraumorientierung?
- Wird der unmittelbare Sozialraum ins Verhältnis gesetzt, um im Gesamtplan-/Teilhabeplanverfahren optimale unmittelbare Wirkungen bei den Leistungsberechtigten zu erzielen? Inwiefern kann eine solche Vorgehensweise zu einer wirtschaftlichen Optimierung der Aufwendungen bei den Trägern der Eingliederungshilfe führen?
- Welche Verbesserungen im Sozialraum könnten auch zur Entlastung der Träger der Eingliederungshilfe beitragen?
- Dienen Sozialraum- bzw. Trägerbudgets nach § 132 SGB IX für eine bessere Umsetzung der sozialraumorientierten Leistungserbringung?
Beteiligungsseite
Beiträge zur Fachdiskussion
Hier gelangen Sie ab dem 28. April zur Beteiligungsseite der Fachdiskussion „Sozialraumorientierte Eingliederungshilfe“. Im Reiter „Beiträge“ finden Sie alle Fragen, die wir mit Zustimmung des Absenders veröffentlichen durften. Die Antworten werden nach und nach thematisch geordnet im BTHG-Kompass eingestellt.