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Online-Fachdiskussion zur sozialraumorientierten Eingliederungshilfe

28. April bis 30. Juli 2023

Sozialraumorientierte Eingliederungshilfe

Der Sozialraum spielt eine besondere Rolle, Menschen mit Behinderungen eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen und zu erleichtern. Mit Inkrafttreten der dritten Reformstufe des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) steht die im SGB IX neu geregelte Eingliederungshilfe vor der Herausforderung, ihre Leistungen stärker als bisher sozialraumorientiert auszurichten. Wie kann hier die Umsetzung in der Praxis gelingen?

Hintergrund

Die Möglichkeiten einer individuellen und den persönlichen Wünschen entsprechenden Lebensplanung und -gestaltung unter Berücksichtigung des Sozialraumes bei den Leistungen zur sozialen Teilhabe zu stärken, ist eines der Gesetzesziele des BTHG. Demnach sollen die Träger der Eingliederungshilfe gemäß § 95 S. 1 SGB IX im Rahmen ihrer Leistungsverpflichtung eine personenzentrierte Leistung für Leistungsberechtigte unabhängig vom Ort der Leistungserbringung sicherstellen.

 

Was genau bedeutet Sozialraumorientierung?
Der Begriff der Sozialraumorientierung (grundlegend Nellissen, Sozialraumorientierung im aktivierenden Sozialstaat, 2006) bedeutet die Ausrichtung der Leistungsangebote auf einen sozialgeografisch begrenzten Raum. Das kann ein Stadtteil, ein Quartier oder eine Region sein. Der Begriff umfasst aber auch die Ausrichtung auf einen sozial konstruierten Raum, also auf einen bestimmten Lebensraum oder einen sozialen Mikrokosmos, der die Bewohner in Relation zu ihrer Umwelt setzt. In der Sozialraumorientierung geht es somit nicht darum, mit spezialisierten Methoden und pädagogischer Absicht Menschen zu verändern. Sondern Ziel ist es, Lebenswelten zu gestalten und Arrangements zu kreieren, die Leistungsberechtigten helfen, auch in prekären Lebenssituationen zurecht zu kommen.

 

Teilhabemöglichkeiten ergeben sich aus der Interaktion mit der Umwelt
Basierend auf den Formulierungen der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) und der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) ist mit der BTHG-Reform nun auch im SGB IX festgehalten: Behinderung resultiert aus der Wechselwirkung von körperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnesbeeinträchtigungen mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren. Im SGB IX wird damit anerkannt, dass sich die Teilhabemöglichkeiten eines Menschen aus der Interaktion mit der Umwelt ergeben. Das bedeutet für die Eingliederungshilfe zwangsläufig die Ausrichtung von Leistungsangeboten nach sozialraumorientierten Aspekten, um somit Teilhabe zu fördern.

 

Rechtliche Verankerung im SGB IX
Der Begriff des Sozialraums lässt sich im SGB IX an mehreren Stellen ausfindig machen.

  • Die Träger der Eingliederungshilfe haben gem. § 95 S. 1 SGB IX im Rahmen ihrer Leistungsverpflichtung eine personenzentrierte Leistung für Leistungsberechtigte unabhängig vom Ort der Leistungserbringung sicherzustellen.
  • Zu Leistungen der sozialen Teilhabe gehört es, Leistungsberechtigte zu einer möglichst selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Lebensführung im eigenen Wohnraum sowie in ihrem Sozialraum zu befähigen oder sie hierbei zu unterstützen (§ 76 Abs. 1 S. 2 SGB IX, § 113 Abs. 1 S.2 SGB IX).
  • Es bestimmen sich gem. § 104 Abs. 1 S. 1 SGB IX die Leistungen der Eingliederungshilfe nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Bedarfes, den persönlichen Verhältnissen, dem Sozialraum und den eigenen Kräften und Mitteln.
  • Die Träger der Eingliederungshilfe müssen gem. § 106 Abs. 2 Nr. 5 und 6 SGB IX u.a. zu anderen Hilfemöglichkeiten und Beratungsmöglichkeiten im Sozialraum beraten können.
  • Das Gesamtplanverfahren soll gem. § 117 SGB IX u.a. sozialraumorientiert sein.
  • Fachkräfte bei der Eingliederungshilfe sollen gem. § 97 S. 1 Nr. 2 SGB IX umfassende Kenntnisse über den regionalen Sozialraum und seine Möglichkeiten zur Durchführung von Leistungen der Eingliederungshilfe haben.

Die Leistung auf den Sozialraum zu beziehen, ist somit vom Gesetzgeber explizit gewünscht und von den Bundesländern in den Landesrahmenverträgen umzusetzen.

 

Rechtliche Verankerungen in den Landesrahmenverträgen
Zu den Aufgaben der Länder gehört es, auf flächendeckende, bedarfsdeckende, am Sozialraum orientierte und inklusiv ausgerichtete Angebote von Leistungsanbietern hinzuwirken. Die Umsetzung des Konzepts der Sozialraumorientierung wird in den Landesrahmenverträgen unterschiedlich stark implementiert.

Im Thüringer Landesrahmenvertrag ist ein Leistungssystem geregelt, dass sich um den Sozialraum herum gruppiert als zentrale Größe bei Leistungsplanung und -erbringung.

In den Landesrahmenverträgen Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt wird in den Präambeln betont, dass regionale Netzwerke im Zuge der sozialräumlichen Ausrichtung des Hilfesystems ausgebaut bzw. gänzlich neu geschaffen werden müssen.

In Mecklenburg-Vorpommern sowie Nordrhein-Westfalen werden die Begriffe Sozialraum und Sozialraumorientierung in den Anlagen ausführlich definiert.

In Bremen hingegen ist das Konzept der Sozialraumorientierung in Form von Programmsätzen (§ 11 Abs. 2; Einbindung in Versorgungs- und Kooperationsstrukturen und in den Sozialraum als Strukturqualitätsmerkmal) zu finden.

Schwerpunkte der Diskussion

  • Wie erfolgt die Ermittlung des Sozialraums des Leistungsberechtigten. Welche Instrumente werden hierfür ggf. genutzt?
  • Wie erfolgt die Beteiligung von allen Akteuren im Sozialraum?
  • Kennen Sie gute Beispiele, bei denen eine sozialräumliche Ausrichtung der Eingliederungshilfe bereits erfolgreich praktiziert wird?
  • In welchem Verhältnis sehen Sie die Stellung der Personenzentrierung zur Sozialraumorientierung?
  • Wird der unmittelbare Sozialraum ins Verhältnis gesetzt, um im Gesamtplan-/Teilhabeplanverfahren optimale unmittelbare Wirkungen bei den Leistungsberechtigten zu erzielen? Inwiefern kann eine solche Vorgehensweise zu einer wirtschaftlichen Optimierung der Aufwendungen bei den Trägern der Eingliederungshilfe führen?
  • Welche Verbesserungen im Sozialraum könnten auch zur Entlastung der Träger der Eingliederungshilfe beitragen?
  • Dienen Sozialraum- bzw. Trägerbudgets nach § 132 SGB IX für eine bessere Umsetzung der sozialraumorientierten Leistungserbringung?

 

BTHG-Kompass

Antworten auf Ihre Beiträge

Ihre Beiträge zu den Fachdiskussionen haben wir unter anderem mit der Hilfe von Expertinnen und Experten beantwortet. Sie finden die von uns beantworteten Beiträge in unserem BTHG-Kompass unter folgendem Link.

Veranstaltungen zum Thema

16.05.2023

Der Sozialraum im Teilhaberecht –Vertragliche Konkretisierung auf Landesebene

Art
Digitale Veranstaltung
Zeit
16.05.2023 10:00 Uhr – 11:30 Uhr
Ort
Digitale Veranstaltung

Zu den Aufgaben der Bundesländer gehört es, auf flächendeckende, bedarfsdeckende, am Sozialraum orientierte und inklusiv ausgerichtete Angebote von Leistungsanbietern hinzuwirken. Einen ausgewählten Überblick zu den Konzepten der Sozialraumorientierung aus den Landesrahmenverträgen der Bundesländer stellte Michael Beyerlein, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Sozial- und Gesundheitsrecht, Recht der Rehabilitation und Behinderung an der Universität Kassel vor.

12.06.2023

Erhebung sozialräumlicher Bedarfe aus Sicht eines Leistungserbringers im Kontext einer sozialraumorientierten Leistungserbringung

Art
Digitale Veranstaltung
Zeit
12.06.2023 10:00 Uhr – 12:00 Uhr
Ort
Digitale Veranstaltung

Woraus leiten sich die Bedarfe im Sozialraum ab? Wie werden Bedarfe ermittelt und die aus der Bedarfsermittlung erlangten Erkenntnisse genutzt, um eine passgenaue und personenzentrierte Leistungserbringung zu gewährleisten? Wie ein Leistungserbringer die sozialräumlichen Bedarfe ermitteln könnte und welche Rollen er in diesem Zuge im betrachteten Sozialraum einnimmt, darüber berichtete Herr Dr. Martin Holler im Rahmen der Veranstaltung.

20.06.2023

Prozess der Sozialraumorientierung am Beispiel der Stadt Ulm

Art
Digitale Veranstaltung
Zeit
20.06.2023 10:00 Uhr – 11:30 Uhr
Ort
Digitale Veranstaltung

Die Stadt Ulm hat ein Fachkonzept für Sozialraumorientierung entwickelt, welches die Basis für eine Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe vor dem Hintergrund des Bundesteilhabegesetzes ist. Im Rahmen des städtischen Fachkonzeptes wurden fünf Sozialräume definiert. Andreas Krämer vom Amt für Soziales der Stadt Ulm stellte das Konzept und die praktische Umsetzung vor.

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