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Vertiefungsveranstaltung Die wesentlichen Änderungen durch das BTHG für Betreuerinnen und Betreuer Februar 2020

24. - 25. Februar 2020

Die wesentlichen Änderungen durch das BTHG für Betreuerinnen und Betreuer

Mit grundlegenden Fragen zur rechtlichen Betreuung nach dem BTHG und mit den wesentlichen gesetzlichen Änderungen beschäftigte sich am 24./25. Februar 2020 eine Veranstaltung des Projekts Umsetzungsbegleitung BTHG. Dabei wurden insbesondere Akteure des Betreuungswesens, mithin die neu hinzugekommene Zielgruppe des Projekts, adressiert. An der Vertiefungsveranstaltung nahmen ca. 60 Personen teil.

Zum Auftakt erläuterte Matthias Dehmel, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt Umsetzungsbegleitung BTHG, zunächst Hintergrund, Intention und Regelungsinhalte des BTHG, ehe er über den aktuellen Umsetzungsstand auf Bundes- und Länderebene informierte.

Das BTHG und die Rolle des rechtlichen Betreuers

Anschließend erhielten die Teilnehmenden eine Einführung in die Änderungen, die das reformierte Recht für die Arbeit der rechtlichen Betreuerinnen und Betreuer mit sich bringt.  

Anja Mlosch, als wissenschaftliche Referentin beim Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. zuständig für das Thema Betreuungsrecht, ging zunächst auf die Rolle des rechtlichen Betreuers im Allgemeinen ein und erläuterte wann und wozu eine rechtliche Betreuung bestellt wird. Sie unterstrich, dass Betreuter und rechtlicher Betreuer als (Handlungs-)Einheit zu verstehen sind. Sie betonte dabei den Grundsatz der Erforderlichkeit als Maßstab und Entscheidungsgrundlage für die Betreuungsgerichte bei der Bestellung einer rechtlichen Betreuung: Soweit die Besorgung der Angelegenheiten durch Vorsorgevollmacht oder durch andere Hilfen ebenso gut sichergestellt ist, ist keine rechtliche Betreuung erforderlich.
Im Anschluss wurden die besonderen Prinzipien bei der Erfüllung der Betreueraufgaben im Rahmen unterstützter Entscheidungsfindung und Stellvertretung erläutert. Explizit stellte Sie klar, dass rechtliche Betreuung immer „Einzelfallarbeit“ sei.

Bezugnehmend auf die Intention des BTHG, die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen entsprechend der Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention zu verbessern, sowie auf die Aufgabe der Eingliederungshilfe, die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen, schilderte Frau Mlosch, wo aktuell für die rechtliche Betreuung Handlungsbedarf besteht bzw. erhöhte Aufmerksamkeit gefordert sei. 
Entsprechend informierte Sie über die neuen Beratungsmöglichkeiten (§§ 12, 32, 106 SGB IX) und wie diese im Verhältnis zur rechtlichen Betreuung stehen. Sie betonte dabei, dass diese Möglichkeiten sowohl von dem Betreuten selbst, als auch vom rechtlichen Betreuer (zu Gunsten seines Betreuten) genutzt werden sollten.

Als letztes wies Frau Mlosch darauf hin, dass Eingliederungshilfeleistungen nunmehr aktiv vom Betreuten bzw. seinem rechtlichen Betreuer eingefordert werden müssen. Dafür bedarf es eines Antrages nach § 108 SGB IX, bei dem u. a. gewisse Fristen zu beachten und einzuhalten seien.

Frau Mlosch schloss mit dem Fazit, dass sich die Rolle der rechtlichen Betreuung mit dem BTHG nicht maßgeblich geändert habe. Aufgabe des rechtlichen Betreuers im BTHG-Kontext sei es:

  • Bedürfnisse und Hilfebedarf zu erkennen
  • Informationen zu beschaffen
  • Optionen und Vorgehen zu besprechen
  • Anträge zu stellen
  • den Verfahrensverlauf sowie die Erbringung und Inanspruchnahme von Leistungen zu begleiten.

In der Diskussion mit den Teilnehmenden wurden insbesondere Haftungsfragen und –risiken thematisiert. Frau Mlosch riet in diesem Zusammenhang dazu, sicherheitshalber immer einen Antrag zu stellen. 

Trennung der Leistungen Teil 1: Grundsicherung

Katharina Münnich, designiert Leiterin des Referats „Hilfen zum Lebensunterhalt“ in der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie
und Integration der Freie und Hansestadt Hamburg, informierte über Grundsicherungsleistungen, die Menschen in besonderen Wohnformen seit dem 1. Januar 2020 getrennt von ihren Fachleistungen der Eingliederungshilfe erhalten.

Seit Jahresbeginn wird an die Leistungsberechtigten in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung der Regelsatz der Regelbedarfsstufe 2 gezahlt (389 Euro monatlich ab dem 1. Januar 2020). Davon sind die Kosten für den Lebensunterhalt selbst zu zahlen: Barbetrag und Bekleidungspauschale werden also nicht mehr gesondert gezahlt.

Zudem erhalten Leistungsempfänger nunmehr die Mittel für eine angemessene Warmmiete zzgl. Zuschläge von bis zu 25 % auf die Angemessenheitsgrenze für bestimmte (und ausgewiesene) Bedarfe.

Darüber hinaus informierte Frau Münnich über Mehrbedarfe, die Leistungsberechtigten ggf. zusätzlich zur Verfügung stehen. Die Grundsicherungsleistung wird grundsätzlich auf das Konto des Leistungsempfängers überwiesen. Für regelmäßig anfallende Zahlungen stehen Daueraufträge und Lastschriftermächtigungen zur Verfügung.

Im Anschluss stellte Frau Münnich die künftige Bestimmung der existenzsichernden Leistungen am Beispiel Hamburgs dar. Anschließend gab sie den anwesenden Betreuerinnen und Betreuern Hinweise bzgl. ihres Handlungsbedarfs, etwa zu Beantragung von Mehrbedarfen.

In der Diskussion wurde u. a. das Thema Rundfunkgebührenbefreiung für Bewohner/innen besonderer Wohnformen angesprochen. Aktuell gebe es keine Anzeichen dafür, dass die bisherige Befreiung von Bewohnern stationärer Einrichtungen nicht auch für die besonderen Wohnformen des SGB IX gelten würde. Entsprechende Kosten könnten jedoch auch gemäß § 42a Abs. 6 i.V.m. Abs. 5 Satz 4 SGB XII übernommen werden. Herr Dehmel verwies darauf, dass etwaige Gesetzänderungen in die Kompetenz der Länder falle.

Gegenstand der Diskussion war außerdem die Frage, inwieweit Leistungsberechtigte gegenüber Leistungserbringern bei der Aushandlung von Vertragsbedingungen schlechter gestellt seien. Es wurde deutlich, dass die Intention des BTHG, Wahlmöglichkeiten bei Fachleistungen der Eingliederungshilfe zu eröffnen, in der Realität noch auf eine historisch gewachsene Leistungsstruktur und ein ebenso gewachsenes Angebotsspektrum trifft. Es werde noch Zeit brauchen, sei aber unausweichlich, dass sich die (wohnortnahen) Leistungsangebote an den individuellen Bedarfen der Leistungsberechtigten orientierten.

Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nach §§ 135 ff. SGB IX

Tristan Fischer, wissenschaftlicher Referent im Projekt Umsetzungsbegleitung BTHG, informierte über die neuen Regelungen zur Berücksichtigung des Einkommens und Vermögens von Leistungsberechtigten bei Inanspruchnahme von Leistungen der Eingliederungshilfe. Mit der ersten Reformstufe zum 1. Januar 2017 wurde v. a. der Vermögensfreibetrag von einst 2.600 Euro auf 30.000 Euro angehoben. Mit der 3. Reformstufe zum 1. Januar 2020 sind die Freibetragsgrenzen nochmals deutlich angehoben worden.

Zudem wurde ein Systemwechel bei der Heranziehung von Einkommen und Vermögen vollzogen: Seit dem 1. Januar 2020 wird das Einkommen anhand der steuerrechtlichen Einkünfte des Vorvorjahres bemessen. Zur Ermittlung werden dazu der Einkommenssteuerbescheid bzw. der Rentenbescheid herangezogen. Die Einkommensgrenzen sind dabei gestaffelt nach der überwiegenden Einkommensart festgelegt. Die Staffelung der Einkommensarten orientiert sich an der jährlichen Bezugsgröße der Sozialversicherung (§ 18 SGB IV). Hierbei handelt es sich um das Durchschnittsentgelt der gesetzlichen Rentenversicherung im vorvergangenen Kalenderjahr (38.220 Euro im Jahr 2020).

Beim Vermögen muss bei der leistungsberechtigten Person das gesamte verwertbare Vermögen, also alles was sich veräußern lässt, herangezogen werden. Jedoch wurde der Vermögensfreibetrag durch das BTHG deutlich angehoben. Seit dem 01. Januar 2020 darf die leistungsberechtigte Person bis zu 150 Prozent der jährlichen Bezugsgröße ( 57.330,- Euro im Jahr 2020) ansparen. Falls bestimmte Wertgegenstände nicht unverzüglich vom Leistungsberechtigten veräußert werden können, soll die beantragte Leistung von der Eingliederungshilfe als Sachdarlehen zinsfrei gewährt werden.

Das Einkommen und Vermögen des Partners bzw. der Partnerin wird bei Inanspruchnahme von Leistungen der Eingliederungshilfe seit dem 1. Januar 2020 nicht mehr herangezogen.

In der Diskussion ergaben sich Nachfragen zum Umgang mit Lohnersatzleistungen. Die Regelungen zur Einkommensanrechnung aus dem Einkommenssteuergesetz finden auch im SGB IX Anwendung. Krankengeld und andere Lohnersatzleistungen werden daher von der Eingliederungshilfe nicht bei der Anrechnung des Einkommens berücksichtigt. Die Frage, ob ein Hausgrundstück, das von der leistungsberechtigten Person bewohnt wird, zu schonen ist, konnte Herr Fischer bejahen.

Trennung der Leistungen Teil 2: Eingliederungshilfe

Rainer Sobota, selbstständiger Berufsbetreuer und stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbands der Berufsbetreuer e.V., stellte die neuen Vorschriften zur Eingliederungshilfe dar. Er ging in seinem Vortrag zur Bedarfsermittlung im Gesamt-und Teilhabeplanverfahren darauf ein, wie Bedarfe der Teilhabe erfasst werden und welche Rolle die rechtliche Betreuung dabei einnimmt. Dabei hob er insbesondere die Begleitung bei der Bedarfsermittlung hervor und betonte, dass dafür und für die Durchführung des Gesamtplan-/Teilhabeplanverfahrens auf „andere Hilfen“ zurückzugreifen ist. Bezüglich der Bedarfserhebungsinstrumente für das Eingliederungshilferecht in den Ländern ging er insbesondere auf Kriterien und Ziele der Instrumente ein: Die Instrumente sollen einerseits eine individuelle und funktionsbezogene Bedarfsermittlung und andererseits die Dokumentation und Nachprüfbarkeit gewährleisten, um Feststellungen zu liefern über eine vorliegende oder drohende Behinderung, über deren Auswirkung auf die Teilhabe, über die Art der gesetzten Ziele sowie über die im Rahmen einer Prognose als erfolgversprechend erachteten Leistungen.

Herr Sobota erläuterte anschließend die Schritte des Gesamtplanverfahrens und verwies auf Mitwirkungs- bzw. Zustimmungspflichten der leistungsberechtigten Person. Er betonte, dass Wunsch und Wille des betreuten Menschen im Gesamtplanverfahren bei der Zielbestimmung zu beachten ist. 
Das Ergebnis der Bedarfserhebung wird in einem Gesamtplan festgehalten. Darauf aufbauend fertigt der Eingliederungshilfeträger (Reha-Träger) schließlich den Leistungsbescheid. 
Als nützliche Arbeitshilfe für Betreuerinnen und Betreuer zur Begleitung und Mitwirkung im Gesamtplanverfahren verwies Herr Sobota auf die Gemeinsame Empfehlung Reha-Prozess und weitere Herausgaben der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR).

In der Diskussion wurden Handlungsmöglichkeiten im Falle der Schlecht- oder Nichtleistung durch Leistungserbringer thematisiert. Herr Sobota verwies hierbei auf regelmäßige Kontrolle, Kommunikation und Verbraucherschutzrechte. Die Leistungserbringung müsse durch die entsprechenden Dienste konkret dokumentiert werden. Umso wichtiger sei es, im Zuge der Bedarfsermittlung die konkreten Bedarfe zu erfassen. Ergänzend dazu verwies Herr Dehmel darauf, dass in den Landesrahmenverträgen Kriterien für die Wirksamkeit von Leistungen und deren Kontrolle festgelegt sind. Diverse Leistungserbringer hätten zudem eigene Ansätze zur Messung der Wirksamkeit und Wirkung von Teilhabeleistungen entwickelt.
 

WBVG-Verträge: Verbraucherschutzaspekte für rechtliche Betreuerinnen und Betreuer

Zum Abschluss berichtete Regina Kalthegener, Referentin im Referat Pflegeberufe, Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) im Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) zu Verbraucherschutzgesichtsaspekten des WBVG sowie zu den kürzlich erfolgten Anpassungen des Gesetzes.

Zunächst informierte Frau Kalthegener über Hintergründe des WBVG. Sie wies dabei auch auf die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen im Bereich „Heimrecht“ im föderalen System hin, aufgrund derer es inzwischen in jedem Bundesland spezielle Regelungen gibt. 

Zur Relevanz und Notwendigkeit des WBVG erinnerte die Referentin an den besonde-ren Schutzbedarf von Verbraucher/innen bei der Verknüpfung von Wohnen und Pflege-/Betreuungsleistungen. Denn ein besonderer Schutzbedarf ergibt sich u.a. aus der doppelten Abhängigkeit der Verbraucher/in vom Unternehmen, wenn Wohnen mit Pflege- oder Betreuungsleistungen gekoppelt ist; aus der großen Reichweite der Entscheidung über den Lebensmittelpunkt und die Absicherung von benötigter Pflege- und Betreuungsleistungen; aus dem Umstand, dass entsprechende Entscheidungen wegen akuter Bedarfslage häufig unter hohem Zeitdruck erfolgen; sowie aus dem ungleichen Maß an Wissen und Erfahrung, das den/die Verbraucher/in von einer gleichberechtigten Verhandlungsposition ausschließen kann.

In den Anwendungsbereich des WBVG fallen typische Vertragsgestaltungen des sog. „Betreuten Wohnens“ und nach Einzelfallprüfung u.U. auf Wohngemeinschaften, nicht jedoch auf häusliche Versorgung in der eigenen Wohnung noch auf das sog. „Service-Wohnen“ (Wohnen nur mit allgemeinen Unterstützungsleistungen).

In Bezug auf den Verbraucherschutzcharakter des WBVG wies Frau Kalthegener darauf hin, dass das Gesetz den Verbraucherschutz durch festgeschriebene Informationspflichten, Transparenzvorgaben und Schutzbestimmungen vor benachteiligenden Vertragsklauseln gewährleiste.

Außerdem ging sie auf die zivilrechtliche Verortung des WBVG ein. Im Zuge dessen erinnerte sie daran, dass angesichts der sozialrechtlichen Neuerungen das Zivilrecht nicht außer Acht gelassen werden sollte. Frau Kalthegener verwies dabei auf Klagemöglichkeiten und die Inanspruchnahme von Beratungskosten- und Prozesskostenhilfe für anwaltliche Beratung und Vertretung sowie auf den Nutzen von Schlichtungsver-fahren. Außerdem stellte sie den Unterschied individueller zivilrechtlicher Ansprüche nach dem WBVG und ordnungsrechtlicher Unternehmerpflichten, kontrolliert durch die Heimaufsicht, dar.
 

PROGRAMM

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