Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigten sich die 50 Teilnehmenden der Vertiefungsveranstaltung zum Thema „Bedarfsermittlung und Leistungsplanung auf Grundlage der ICF“ vom 26. bis 28. Juni 2019 in Augsburg.
Die Teilnehmerschaft setzte sich aus Trägern der Sozial- bzw. Eingliederungshilfe, weiteren Rehabilitationsträgern, Leistungserbringern, Organisationen von und für Menschen mit Behinderungen sowie Mitarbeiter/innen der EUTB aus dem gesamten Bundesgebiet zusammen.
Bundesteilhabegesetz: Umsetzungsbegleitung und Umsetzungsstand
Zu Beginn der Veranstaltung wurden die aktuellen Maßnahmen des Projekts Umsetzungsbegleitung BTHG, der Umsetzungsstand des BTHG in den Bundesländern, wesentliche Inhalte des BTHG und die Änderungsgesetze zum BTHG durch Dr. Florian Steinmüller, stv. Leiter des Projekts Umsetzungsbegleitung BTHG, ausgeführt.
Begriffsklärung: Gesamt- und Teilhabeplanverfahren
Im weiteren Verlauf des ersten Veranstaltungstags stellte Thomas Schmitt-Schäfer, transfer, die rechtlichen Grundlagen und Neuregelungen der Bedarfsermittlung und Leistungsplanung nach dem BTHG vor. Ein Schwerpunkt lag dabei auf der Abgrenzung zwischen Teilhabe- und Gesamtplanverfahren.
Zuständigkeit für die Bedarfsermittlung, Leistungserbringer und Bestimmung der Vertrauensperson
Die Fragen der Teilnehmenden betrafen u.a. die Themen, wie die zukünftige Einbindung der Leistungserbringer in der Bedarfsermittlung ausgestaltet wird und wer die Bestimmung der Vertrauensperson vornimmt. Der Referent führte hierzu aus, dass die Verantwortung der Bedarfsermittlung laut BTHG bei den Leistungsträgern liegt und Leistungserbringer als Vertrauensperson in das Gesamtplanverfahren einbezogen werden sowie dass die Bestimmung der Vertrauensperson durch die leistungsberechtigte Person oder deren rechtlichen Betreuer/innen erfolgt.
Ist mit dem Bedarfsermittlungsinstrument zugleich der Gesamtplan erstellt?
Eine weitere Frage betraf die Abgrenzung zwischen Bedarfsermittlungsinstrument und Gesamtplan. So sei die aktuelle Ausgestaltung in einem Bundesland so, dass der Gesamtplan als Anlage des Bedarfsermittlungsinstruments ausgefüllt wird. Die Referenten wiesen darauf hin, dass Bedarfsermittlungsinstrument und Gesamtplan nicht identisch sind, sondern vielmehr unterschiedliche Etappen des Gesamtplanverfahrens darstellen, wobei die Bedarfsermittlung, neben der Beratung, den ersten Schritt des Gesamtplanverfahrens darstellt. Der Gesamtplan dient hingegen laut Gesetz der Steuerung, Wirkungskontrolle und Dokumentation des gesamten Teilhabeprozesses. Das BTHG schreibe dabei gemäß § 121 Abs. 4 genau vor, welche Inhalte der Gesamtplan umfassen muss.
Elemente von Planung
Grundlagen der ICF und der Bedarfsermittlung
Im Mittelpunkt des zweiten Veranstaltungstags stand die Bedarfsermittlung anhand der ICF auf Grundlage konkreter Fälle, die im Vorfeld der Veranstaltung anonymisiert durch die Teilnehmenden eingebracht wurden. Die einzelnen Elemente der ICF und der Bedarfsermittlung wurden jeweils beispielhaft anhand der Bedarfsermittlungsinstrumente aus Baden-Württemberg (BEI_BW) und Thüringen (ITP Thüringen) vorgestellt.
Folgende Fälle wurden bearbeitet:
- Fall 1: Herr H., Trisomie 21, HEBBögen liegen vor
- Fall 2: Herr X., Pflegegrad 3, verschiedene körperliche Beeinträchtigungen, Depression
- Fall 3: Frau S., fragiles XSyndrom, wohnt in therapeutischer Wohngruppe, spricht 2-4 Sätze
- Fall 4: Kind 1, ektodermaler Dysplasie, zwischen 5 und 7 Jahren alt
- Fall 5: Kind 2, 14 Jahre, bestehende Psychose, aktuell in Kinder und Jugendpsychiatrie
Wünsche und Ziele der leistungsberechtigten Person
Zu Beginn des zweiten Veranstaltungstags referierte Frau Keßler zunächst zu begrifflichen und gesetzlichen Grundlagen von Zielen. Eine Diskussion gab es dazu, wie Ziele von Wünschen differenziert werden und wer die Entscheidung trifft, welche Wünsche der leistungsberechtigten Person mit konkreten Zielen hinterlegt und durch Eingliederungshilfeleistungen verfolgt werden. Konkret kam die Frage auf, ob bei einem Auszug aus einer besonderen Wohnform jede leistungsberechtigte Person Anspruch auf eine 24-Stunden-Assistenz hat. Die Referenten wiesen darauf hin, dass die entsprechende Entscheidung beim Träger der Eingliederungshilfe liegt, wobei gemäß § 104 SGB IX n.F. den Wünschen der Leistungsberechtigten, die sich auf die Gestaltung der Leistung richten, zu entsprechen ist, soweit sie angemessen sind. Maßgeblich ist zudem, dass die Ziele entsprechend des individuellen Bedarfs der leistungsberechtigten Person der Selbstbestimmung und Teilhabe dient. Aus dem Publikum wurde ergänzt, dass es wichtig sei zu beachten, welchen konkreten Hintergrund der Wunsch der leistungsberechtigten Person hat, um herauszufinden, welches Ziel und welche Maßnahme hierfür passend wären.
In einer ersten Arbeitsgruppenphase ermittelten die Teilnehmenden die Leitziele der leistungsberechtigten Person des jeweiligen Fallbeispiels und führten einen Abgleich zur derzeitigen Situation durch.
Einführung in die ICF und deren Komponenten Körperfunktionen und -strukturen, Aktivitäten und Teilhabe sowie Kontextfaktoren
Im weiteren Verlauf des zweiten Veranstaltungstags wurde die ICF und deren einzelne Komponenten vorgestellt. Herr Schmitt-Schäfer ging zunächst auf die Unterschiede zwischen ICD und ICF sowie zwischen ICF und ICF-CY (ICF-Version für Kinder und Jugendliche) ein, bevor er die Logik des bio-psycho-sozialen Modells der ICF sowie der einzelnen Items erläuterte. Im Anschluss daran führte er zur ICF-Komponente der Körperfunktionen und -strukturen aus. In der zweiten Arbeitsgruppenphase wählten die Teilnehmenden für ihr Fallbeispiel zwei für die Person relevant erscheinende Kapitel der Körperfunktionen aus und bearbeiteten diese. Am Nachmittag des zweiten Veranstaltungstags folgte zudem die Vorstellung der ICF-Komponenten Aktivitäten und Kontextfaktoren, zu denen jeweils eine weitere Arbeitsgruppenphase stattfand.
Zu Beginn des dritten Veranstaltungstags wurde die ICF-Komponente der Teilhabe sowie Teilhabeziele vorgestellt und in den Arbeitsgruppen bearbeitet. Eine Diskussion unter den Teilnehmenden fand dahingehend statt, woran man Teilhabe erkennt und wie man mit Zielen der leistungsberechtigten Person, wie etwa Alkoholkonsum, umgeht.
Das neue Leistungsrecht der Eingliederungshilfe
Zum Abschluss der Veranstaltung ging Herr Schmitt-Schäfer auf das neue Leistungsrecht der Eingliederungshilfe und die verschiedenen Leistungsgruppen und Schnittstellenprobleme ein.