Trennung der Fachleistungen von den existenzsichernden Leistungen
Gegenstand dieses Forums war die im Zuge der Systemumstellung zum 01. Januar 2020 notwendig werdende Trennung der bisherigen Komplexleistung Eingliederungshilfe in Fachleistungen und existenzsichernde Leistungen.
Nach einer kurzen Einführung begrüßte Moderatorin Annett Löwe zunächst Merle Köpp, Referentin im Referat Vb3 des BMAS, „Eingliederungshilfe, Umsetzungsbegleitung Bundesteilhabegesetz und Hilfe in besonderen Lebenslagen“.
Merle Köpp, BMAS
Der rechtliche Rahmen der Leistungstrennung
Frau Köpp erläuterte kurz das bisherige und neue Leistungsrecht sowie die Veränderungen im Vertragsrecht zwischen Leistungserbringer und Leistungsträger, die mit dem Systemwechsel einhergehen. Die Maßnahmen des Bundes zur Umsetzungsunterstützung dienten insbesondere dazu, Änderungsbedarfe am Gesetz zu identifizieren. Auch die AG Personenzentrierung habe Korrekturbedarfe formuliert, denen das BMAS mit dem Entwurf eines SGB IX/SGB XII-Änderungsgesetzes nachgekommen sei. Bevor sie im Einzelnen auf das Flächenzuordnungsmodell der AG Personenzentrierung einging, wies sie auch auf die weiteren auf Bundesebene konsentierten Papiere zum Themenbereich existenzsichernde Leistungen außerhalb der KdU hin. Alle diese Papiere seien als „Empfehlungen“ anzusehen und würden beständig weiterentwickelt. Man sei in diesem Zusammenhang gespannt auf die ersten Ergebnisse aus den Modellkommunen, die für den Sommer erwartet würden.
(Alle diese Unterlagen sind hier zu finden und werden ständig durch das Projektteam aktualisiert.)
Frau Köpp erläuterte dann das Flächenzuordnungsmodell der AG Personenzentrierung. In einem ersten Schritt wird für sämtliche zu finanzierende Flächen ermittelt, ob es sich um Wohnfläche, Fachleistungsfläche oder um eine Mischfläche handelt. Es wird in einem zweiten Schritt eine Quote zwischen Wohn- und Fachleistungsflächen ermittelt, um in einem dritten Schritt die Mischflächen gemäß dieser Quote zu den Wohn- bzw. Fachleistungsflächen zu addieren. In einem vierten Schritt wird die kalkulatorische Miete für Wohn- bzw. Fachleistungsflächen indem die Kostenkalkulation des gesamten Gebäudes diesem Aufteilungsschlüssel gegenübergestellt wird. Im letzten Schritt schließlich werden die Mietnebenkosten (ebenfalls anhand des Aufteilungsschlüssels) jeweils dem Lebensunterhalt (KdU) oder der Fachleistung der Eingliederungshilfe zugeordnet.
Für die Berechnung der Kosten der Unterkunft in „besonderen Wohnformen” sieht § 42a SGB XII ein besonderes Verfahren vor. Zugrunde zu legen sind die tatsächlichen durchschnittlichen Aufwendungen für die Warmmiete eines Einpersonenhaushalts im Bereich des zuständigen Grundsicherungsträgers zugrunde zu legen. Es werden (wie bislang für Leistungsbezieher nach dem Vierten Kapitel des SGB XII) Haushalte von Beziehern von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung berücksichtigt. Ein höherer Bedarf von bis zu 25 Prozent dieses Betrages wird durch den Bund erstattet, wenn durch einen Vertrag zwischen Leistungserbringer und Leistungsberechtigtem eines der vier in § 42a Abs. 5 SGB XII genannten Kriterien erfüllt sind. Für die darüber hinaus gehenden Kosten wird mit dem SGB IX/SGB XII-Änderungsgesetz eine neue Anspruchsgrundlage in § 113 Abs. 5 SGB IX geschaffen. Diese Kosten werden als besondere Fachleistung anerkannt, wenn der Leistungsberechtigte in einer „besonderen Wohnform“ lebt.
Carolin Brück, Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie Saarland
Das Modellprojekt im Saarland
Im Rahmen der modellhaften Erprobung führt das Saarland ein Modellprojekt durch, das 10 % des Gesamtbestandes an Leistungsfällen im bisherigen stationären Wohnen umfasst. Das entspricht etwa 250 Einzelfällen. Frau Brück schilderte zunächst die Konstruktion des Modellprojekts.
Zur Ermittlung und Zuordnung der Flächen wurden zunächst Baupläne und dem Raumprogramm nach DIN 277 zugrunde gelegt. Die problematischen Punkte konnten jeweils im Rahmen von Vor-Ort-Besuchen identifiziert werden. Mitarbeiter/innen des Projektteams stellten sich zur Abgrenzung immer wieder die Kontrollfrage, ob eine Fläche/einen Raum so auch in einem Mehrparteienhaus bzw. in Miet- oder Eigentumswohnungen geben würde.
Als besonders sensibel haben sich dabei die Flurflächen erwiesen, deren vollständige Zuordnung zu Wohn- oder Fachfläche jeweils erhebliche Folgen für die Gesamtquote (Wohnflächen/Fachleistungsfläche) haben kann. Zweite Flure und besondere Brandschutztreppenhäuser wurden danach komplett als Fachleistungsflächen ausgewiesen und für Mischflure ein nach Nutzung möglichst genauer Bruch ermittelt.
Grundlage für die Mietberechnung war die Empfehlung der AG Personenzentrierung beim BMAS. Das Modellprojekt hat im Rahmen seiner Untersuchungen festgestellt, dass die Aufteilung der Häuser und beispielsweise auch der Flure teils erhebliche Auswirkungen auf die Höhe der kalkulatorischen Miete hat.
Michael Träbing, Landeswohlfahrtsverband Hessen
Trennung der Fachleistungen und existenzsichernden Leistungen in Hessen
Herr Träbing vertrat mit dem Landeswohlfahrtsverband Hessen einen überörtlichen Träger der Eingliederungshilfe. Er ist unmittelbar an den Verhandlungen zum dortigen Landesrahmenvertrag beteiligt und stellte das Vorgehen zur Systemumstellung in Hessen vor. Es handelt sich dabei um ein durch eine entsprechende Arbeitsgruppe der hessischen Vertragskommission abgestimmtes Verfahren. Auftrag der AG ist es, ein Abgrenzungsschema zu erarbeiten, auf dessen Basis die bisher in den Vergütungen enthaltenen Kosten, die dem Wohnraum zuzuordnen sind, und die künftigen Wohnraumkosten (KdU/Miete) individuell pro Leistungserbringer ermittelt werden können. Im Sommer 2018 lag eine bereits erprobte Abgrenzungsdatei nebst Handbuch vor, mittels derer die Flächen-und Kostendaten in Hessen ermittelt werden konnten.
Darüber hinaus ermöglicht die Datei die Herauslösung der regelbedarfsrelevanten Leistungen aus den bisherigen Kosten. Es ergibt sich zunächst ein Orientierungswert für die Mietkalkulation. Zu den weiteren Einzelheiten des Vorgehens bestand zum Zeitpunkt der Regionalkonferenz noch keine vollständige Einigkeit. Insbesondere war die Anwendbarkeit von Mietrecht auf bereits geschlossene WBVG-Verträge und die Zulässigkeit von Mieterhöhungen im Hinblick auf die durch den Sozialhilfeträger ermittelten durchschnittlichen ortsüblichen tatsächlichen Aufwendungen des Einpersonenhaushalts (Leistungsberechtigte 3. und 4. Kapitel SGB XII).
Herr Träbing stellte zum Abschluss einen Zeitplan bis zum 31.12.2019 der den Abschluss des Landesrahmenvertrages ebenso vorsieht, wie den Abschluss neuer Leistungs- und Vergütungsvereinbarung, die Antragstellungen der Leistungsberechtigten nach beiden Systemen und die entsprechende Bescheidung der existenzsichernden Leistungen und der Fachleistungen der Eingliederungshilfe.
Fragen aus dem Publikum und Diskussion
Kosten der Unterkunft
In der Diskussion wurde insbesondere problematisiert, dass die tatsächlichen angemessene KdU unter den Einpersonenhaushalten von Leistungsbeziehern nach dem Vierten Kapitel des SGB XII vielerorts noch nicht ermittelt sind. Zur örtliche Zuständigkeit zur Zahlung dieser Kosten konnte Frau Köpp darüber aufklären, dass der vorliegende Entwurf eines SGB IX/SGB XII-Änderungsgesetzes keine Änderungen an der Zuständigkeit für die Fälle vornimmt, in denen ein Leistungsberechtigter aus einer anderen Kommune in einer bisherigen stationären Einrichtung lebt. Es werde vielmehr verdeutlicht, dass insoweit „alles beim Alten“ bleibe und der Sozialhilfeträger des Herkunftsortes weiterhin zur Gewährung der Leistung zuständig bleibt. Es wird lediglich klargestellt, dass die KdU am Ort der Einrichtung für die Höhe Leistungsgewährung maßgeblich sind.
„Fachleistung II“
Ferner ging es darum, dass über die „Fachleistung II“ (künftig § 113 Abs. 5 SGB IX) eine Leistungs-und Vergütungsvereinbarung geben muss, die in Abhängigkeit von der ggf. jährlichen Neubestimmung der durchschnittlichen tatsächlichen Aufwendungen dann auch jährlich wechseln kann. Es empfehle sich, jährlich zu verhandeln, soweit dieser Betrag nicht gleich als „Variable“ Teil der Leistungs-und Vergütungsvereinbarung wird.
25%-Regelung
Frau Köpp konnte die Frage, ob eines der Kriterien des § 42 a Abs. 5 SGB XII ausreiche, um den bis zu 25%-Zuschlag zu den KdU auszulösen, bejahen. Die Kriterien müssen nicht kumulativ erfüllt sein.
Direktzahlungen des Grundsicherungsträgers an den Leistungserbringer
Ein weiterer großer Teil der Diskussion betraf die Frage, auf welche Weise Direktzahlungen des Grundsicherungsträgers an den Leistungserbringer bewerkstelligt werden können. Die Ansicht, dies ginge über Abtretungserklärungen wurde jeweils von einer Mehrheit verworfen. Vereinbarungen zwischen Leistungsberechtigtem und Grundsicherungsträger darüber, dass die KdU direkt an den Leistungserbringer gezahlt werden soll, wurden allerdings für zulässig gehalten. Große Sorgen bereitete einem Teil des Plenums auch, dass derzeit nicht ausgeschlossen werden könne, dass eine Wohnform nach § 71 Abs. 4 SGB XI als „stationäre“ Einrichtung gilt, für die die Pflegekassen lediglich Kosten in Höhe von 266,- EUR monatlich erstatten, während dieselbe Wohnform in nach § 42a SGB XII als „ambulant“ gelte, mit der Folge, dass als KdU lediglich 100 % der durchschnittlichen tatsächlichen Aufwendungen übernommen werden. Es bestand hier allerdings Einigkeit darüber, dass man zunächst die Verabschiedung der Richtlinien gem. § 71 Abs. 5 SGB XI abwarten müsse.
Wunsch- und Wahlrecht
Ein weiterer Themenkomplex betraf die Frage, auf welche Weise die Einrichtungen das Wunsch-und Wahlrecht künftig realistisch umsetzen können (z.B. Mahlzeiten für einzelne Tage oder zur Gänze „abwählen“). Hier gab es bereits Vertreter von Leistungserbringern, die seit Jahren mit Essensmarken arbeiten und kein Problem darin sehen, dass auch künftig so zu handhaben. Man könne sich dies auch für andere regelbedarfsrelevante Leistungen vorstellen. Es komme auf die konzeptionelle Grundlage der Einrichtungen an. Die Debatte setzte sich fort um die Frage der Auskömmlichkeit der Regelbedarfsstufe 2 und der im WBVG festgehaltenen Versorgungsverpflichtung, die sich womöglich auch auf eine gesunde und ausgewogene Ernährung erstrecke. Einige Diskussionsteilnehmer sehen noch nicht, dass das Versprechen des BTHG, „niemandem werden es schlechter gehen als vorher“ tatsächlich eingelöst werden könne. Allerdings handele es sich dabei bislang nur um eine Hypothese, die ihren Praxistest erst noch vor sich habe.