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Fachbeitrag von Dr. Harry Fuchs im Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht: Ermittlung des Rehabilitationsbedarfs - Auswirkungen des Bundesteilhabegesetzes (November 2017)

Fachbeitrag von Dr. Harry Fuchs im Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht: Ermittlung des Rehabilitationsbedarfs - Auswirkungen des Bundesteilhabegesetzes (November 2017)

2.1 Sicherstellungs- und Hinwirkungspflicht der Träger

Nach § 12 Abs. 1 SGB IX haben die Rehabilitationsträger durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass ein Rehabilitationsbedarf frühzeitig erkannt und auf eine Antragstellung der Leistungsberechtigten hingewirkt wird.

Bereits nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 SGB I sind die Rehabilitationsträger verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass jeder Berechtigte die ihm zustehenden Sozialleistungen in zeitgemäßer Weise, umfassend und zügig erhält. Die Erkennung und die Hinwirkung in § 12 Abs. 1 SGB IX betreffen den Bedarf eines behinderten Menschen an Leistungen zur Teilhabe in seiner Gesamtheit und nicht nur begrenzt auf die jeweiligen Leistungsgesetze. Damit werden die allgemeinen Pflichten der Sozialleistungsträger, die sich aus dem SGB I ergeben, wie z. B. die Aufklärungspflicht nach § 13 SGB I, die Beratungspflicht nach § 14 SGB I, die Auskunftspflicht zu Sozialleistungen nach § 15 SGB I oder die Hinwirkungspflicht auf die Stellung sachdienlicher Anträge nach § 16 Absatz 3 SGB I, deutlich erweitert7.

Es bleibt der Organisationsverantwortung der Rehabilitationsträger und ihrer Selbstverwaltung überlassen festzulegen, welche Maßnahmen geeignet sind und wie diese inhaltlich ausgestaltet werden. Nach der Begründung zu § 12 Abs. 1 SGB IX sind organisatorische Vorkehrungen oder Qualifizierungsmaßnahmen, die die frühe Erkennung von Rehabilitationsbedarfen unterstützen, denkbar. Besonders wichtig seien – in Entsprechung zur einfachen Gestaltung und Verwendung allgemein verständlicher Antragsvordrucke in § 17 Abs. 1 Nr. 3 SGB I – auch geeignete Antragsformulare, die sowohl den Fallbearbeitern als auch den potenziell Leistungsberechtigten die Inanspruchnahme von Rehabilitationsleistungen nahelegen und erleichtern. Implizit oder direkt leistungsverengende Verfahren, Abläufe und Auskünfte seien demgegenüber pflicht- und rechtswidrig. Die Leistungsberechtigten können sich demnach gegenüber den Rehabilitationsträgern auf die Hinwirkungspflicht nach § 12 SGB IX berufen, falls auf die Möglichkeit einer Antragstellung auf Leistungen zur Teilhabe pflichtwidrig nicht hingewiesen wurde oder wenn Antragsformulare den fehlerhaften Eindruck erwecken würden, die Nichtzuständigkeit eines Leistungsträgers für eine bestimmte Teilhabeleistung sei gleichbedeutend mit einem Leistungsausschluss8. Soweit dem Berechtigten daraus ein Nachteil entsteht, könnte dadurch auch ein öffentlich-rechtlicher Herstellungsanspruch erwachsen.

Die Erweiterung der Hinwirkungspflichten im Zusammenhang mit der frühzeitigen Bedarfserkennung müsste für alle Träger von Teilhabeleistungen Anlass sein, ihre Antragsverfahren und Antragsvordrucke zu überprüfen und ggf. weiter zu entwickeln, da diese durchaus nicht immer den gesetzlichen Vorgaben gerecht werden und verschiedentlich durchaus Defizite enthalten.

2.2 Unterstützung der Bedarfserkennung durch Informationsangebote der Träger

Der Gesetzgeber verpflichtet die Rehabilitationsträger dazu, die frühzeitige Erkennung des Rehabilitationsbedarfs insbesondere durch die Bereitstellung und Vermittlung von geeigneten barrierefreien Informationsangeboten über

  • die Inhalte und Ziele von Leistungen zur Teilhabe
  • die Möglichkeiten der Leistungsausführung als Persönliches Budget
  • das Verfahren zur Inanspruchnahme von Leistungen zur Teilhabe und
  • Angebote der Beratung, einschließlich der ergänzenden und unabhängigen Teilhabeberatung nach § 32 SGB IX

zu unterstützen. Diese gesetzlichen Vorgaben entsprechen weitgehend den Verfahren und Schriften, die die Rehabilitationspflichten bisher schon zur Erfüllung ihrer Auskunfts- und Aufklärungspflichten nach §§ 13, 15 SGB IX umfänglich vorhalten. Dabei handelt es sich – wie bei allen schriftlichen Informationsangeboten – der Natur der Sache nach um in der Regel sehr abstrakte, auf die Beschreibung der rechtlichen Vorgaben und Möglichkeiten beschränkte Inhalte, deren Verständlichkeit für den Nutzer häufig auch begrenzt ist.

Bisher ist es Aufgabe der am 31.12.2018 wegfallenden Gemeinsamen Servicestellen, diese allgemeinen Informations- und Aufklärungsangebote durch Beratung und personenbezogene Unterstützung für den behinderten Menschen und seine Vertrauensperson bezogen auf die individuelle Teilhabebeeinträchtigung zu vertiefen, auf klare und sachdienliche Anträge und auf zeitnahe Entscheidungen des Rehabilitationsträgers hinzuwirken sowie den behinderten Menschen während des gesamten Teilhabeverfahrens unterstützend zu begleiten9.

Der Gesetzgeber hält jedoch trotz des Wegfalls der Gemeinsamen Servicestellen daran fest, zu einer besseren Koordination und Kooperation der Rehabilitationsträger im Sinne der Betroffenen zu kommen. Insbesondere das trägerübergreifende und partizipative Teilhabeplanverfahren sowie die Einführung eines ergänzenden von Leistungsträgern und Leistungserbringern unabhängigen Teilhabeberatungsangebotes, das auch dem Peer-Prinzip Rechnung trägt (§ 32 SGB IX), soll für die Menschen mit Behinderungen künftig deutlich bessere Beratung und Unterstützung bieten.

Die Rehabilitationsträger bleiben aber auch weiterhin zur umfassenden Beratung der Leistungsberechtigten verpflichtet und haben dazu künftig nach § 12 SGB IX untereinander vernetzte Ansprechstellen einzurichten10. Diese Verpflichtung tritt an die Stelle der bisherigen Regelungen zu den Gemeinsamen Servicestellen. Damit haben die Rehabilitationsträger – wie vor dem 01.07.2001 – die in der Zwischenzeit den Gemeinsamen Servicestellen mit §§ 22, 23 SGB IX a. F. übertragenen Aufgaben nunmehr wieder in eigener Verantwortung wahrzunehmen und zu organisieren. Mit dem BTHG entfällt lediglich die Verpflichtung, dies in gemeinsamer Verantwortung institutionell in Form der Gemeinsamen Servicestellen zu tun. Es bleibt abzuwarten, wie die Träger die gesetzlich vorgegebene Vernetzung der neuen trägerspezifischen Ansprechstellen gestalten und ob damit im Ergebnis tatsächlich eine bessere trägerübergreifende Koordination und Kooperation erreicht werden kann als mit den Gemeinsamen Servicestellen.

Positiv zu bewerten ist, dass auch die Jobcenter im Rahmen ihrer Zuständigkeit für Leistungen zur beruflichen Teilhabe, die Integrationsämter für ihre Leistungsverpflichtungen für schwerbehinderte Menschen sowie die Pflegekassen in gleicher Weise zur Unterstützung der frühzeitigen Bedarfserkennung verpflichtet sind wie die Rehabilitationsträger (§ 12 Abs. 2 SGB IX).

3. Instrumente zur Ermittlung des Rehabilitationsbedarfs

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