Ziel der Regionalkonferenz war es, allen an der Umsetzung des BTHG beteiligten Akteuren eine Plattform für den gemeinsamen Austausch zu bieten. Gute Beispiele und aktuelle Herausforderungen wurden vorab in Fachvorträgen festgehalten und dann live diskutiert und ergänzt. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion gingen Vertreterinnen und Vertreter der Akteursgruppen auch insbesondere auf die Landesrahmenverträge ein.
Eröffnung mit Videobotschaften von Dr. Melanie Leonhard und Dr. Heiner Garg
Die Regionalkonferenz eröffnete mit zwei Videobotschaften von Dr. Melanie Leonhard, Senatorin für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration der Freien und Hansestadt Hamburg, und Dr. Heiner Garg, Minister für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren des Landes Schleswig-Holstein.
Senatorin Leonhard ließ Revue passieren, welche umfangreichen Änderungen das BTHG als "die bedeutsame soziale Gesetzesreform der vergangenen Legislaturperioden" mit sich gebracht hat. Hamburg habe mit seinem bereits 2018 vereinbarten Landesrahmenvertrag eine gute Grundlage für die Umsetzung des BTHG gelegt. Doch es sei längst nicht alles direkt gelungen und noch viel zu tun – zusätzlich verzögert durch die Corona-Pandemie. Die Regionalkonferenz bezeichnete sie als einen Beitrag, um das Ziel einer echten inklusiven Gesellschaft zu erreichen.
Minister Garg lenkte die Aufmerksamkeit der Teilnehmenden auf die Vorteile einer inklusiven Gesellschaft und Chancen, die aus der Umsetzung des BTHG entstehen. Als Beispiel benannte er die Sozialraumorientierung in der Eingliederungshilfe. Individuelle, personenzentrierte Leistungen und eine barrierefreie Umwelt seien integrativer Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Er machte jedoch auch deutlich, dass die Umsetzung des BTHG ein Kraftakt für alle Beteiligten sei und nur im gemeinsamen Dialog erfolgen könne. Dazu werde die Regionalkonferenz einen Beitrag leisten.
Vortrag von Staatssekretär Dr. Rolf Schmachtenberg, BMAS
Dr. Rolf Schmachtenberg, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), hielt im Anschluss eine Rede zum „Umsetzungsstand des BTHG aus Sicht des Bundes“. Seiner Einschätzung nach wurde die dritte Reformstufe des BTHG zum 1. Januar 2020 gut umgesetzt. Der Echtbetrieb des BTHG stehe jedoch noch aus. Dafür müssten nach und nach die bestehenden Übergangsregelungen beendet und die Verhandlungen über die Landesrahmenverträge abgeschlossen werden.
Abschließend ging Herr Dr. Schmachtenberg auf die Maßnahmen des Bundes zur weiteren Umsetzung des BTHG ein. Der Bund begleite die Umsetzung weiterhin etwa mit der modellhaften Erprobung. Die Erkenntnisse aus den Projekten der modellhaften Erprobung hätten bereits zu mehreren gesetzgeberischen Nachschärfungen geführt. Aktuell werde mit dem Teilhabestärkungsgesetz zudem u. a. eine Klarstellung zum Einsatz von Einkommen und Vermögen volljähriger leistungsberechtigter Personen nach § 142 SGB IX sowie der Ausgestaltung des leistungsberechtigten Personenkreises der Eingliederungshilfe (§ 99 SGB IX) angestrebt.
Sozialraumorientierte Eingliederungshilfe - Chancen und Herausforderungen für die Zukunft
Nach einer kurzen Pause folgten ein Vortrag von Prof. Dr. Wolfgang Hinte, emeritierter Leiter des Instituts für Stadtteilentwicklung, Sozialraumorientierte Arbeit udn Beratung der Universität Duisburg-Essen, und sowie Einblicke in zwei Projekte für sozialraumorientierte Eingliederungshilfe in Hamburg und Schleswig-Holstein.
Prof. Dr. Hinte verdeutlichte zu Beginn den Ausgangspunkt der Sozialraumorientierung: Im Zentrum stehe der Mensch und das, was er will, und nicht seine Lebenswelt. Die Konsequenzen daraus seien, so Prof. Dr. Hinte, dass im Sozialraum fallunspezifische Hilfen zur Verfügung stehen sollten, die u.a. frühzeitig Hilfe ermöglichen. Die Bedarfsermittlung müsse diskursiv und kooperativ zwischen den Akteuren des sozialrechtlichen Dreiecks erfolgen und individuelle und flexible Leistungen zum Ziel haben. Das erfordere neue Formen der Zusammenarbeit von Leistungserbringern und fallunabhängige Finanzierungsmodelle der Leistungsträger.
Im Anschluss stellte Karen Haubenreisser, Leiterin des Hamburger Modellprojekts sozialraumorientierte Eingliederungshilfe, den Teilnehmenden das auf zunächst fünf Jahre und drei Stadtteile angelegte Projekt vor. Der Träger der Eingliederungshilfe kooperiere mit mehreren Leistungserbringern, die auf Grundlage des Hamburger Trägerbudgets arbeiteten.
Christian Grelck, Leiter des Fachbereichs Arbeit und Soziales des Landkreises Nordfriesland, berichtete zum Abschluss von den Erfahrungen mit der Finanzierungsstruktur für sozialräumliche Arbeit, die seit 2013 erprobt und seit 2018 im Regelbetrieb ist. U.a. wurden für die Entwicklung fallunspezifischer und individualisierter Leistungen Einrichtungs- bzw. Trägerbudgets geschaffen. Diese eröffneten den Leistungserbringern Spielräume für flexible, teilweise modularisierte Angebote und minimierten den bürokratischen Aufwand.
Zusammenfassung der Fachforen
Am Nachmittag des 28. Aprils und am Vormittag des 29. Aprils fanden fünf parallele Fachforen statt. Die Teilnehmenden konnten sich zu zwei Themen informieren und diskutieren. Wir haben die wichtigsten Diskussionspunkte für Sie zusammengestellt:
Forum 1 Sozialraumorientierte Eingliederungshilfe
- Der Bedarf für koordinierte, sektorenübergreifende Zusammenarbeit ohne Rückzug des Sozialstaats ist groß.
- Leistungsberechtigte wünschen sich mehr Flexibilität in der Leistungserbringung und innovative Leistungskonzepte.
- Quartiersarbeit muss (finanziell) gefördert und entbürokratisiert werden.
- Wichtig ist der Haltungswechsel: "Barrieren in den Köpfen müssen abgebaut werden, nicht nur die Barrieren der Umwelt."
- Menschen mit Behinderungen müssen bei der Sozialraumerkundung und -planung stärker einbezogen werden.
- Sozialraumorientierung entlastet Profis, stärkt das Ehrenamt und hilft, den demografischen Wandel zu bewältigen.
Forum 2 Schnittstelle der Eingliederungshilfe zur Hilfe zur Pflege und gesetzlichen Pflegeversicherung
- Eine Einzelfallbetrachtung ist erforderlich. Die Erarbeitung von Abgrenzungskriterien ist unabdingbar.
- Die Problematik der pauschalen Abgeltung von Pflegeaufwendungen gemäß § 43 a SGB XI ist nicht bei allen Pflegekassen bekannt.
- Unterschiedliche Vergütungen und Qualifikationen sind erforderlich. Neue Modelle interdisziplinärer Zusammenarbeit müssen noch gestaltet werden.
- Interne Vorgaben können eine individuelle Bedarfsleistung verhindern. Der Bedarf muss sehr genau beschrieben werden und eine Abgrenzung bei inhaltsgleichen Leistungen kann nicht immer erfolgen.
Forum 3 Teilhabe am Arbeitsleben
- Für einen erfolgreichen Übergang eines Menschen mit Behinderung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt mittels des Budgets für Arbeit bedarf es der Zusammenarbeit zwischen WfbM, Integrationsfachdiensten, der Eingliederungshilfe sowie der Wirtschaft. Dieses Netzwerk zwischen den Akteuren ist regional sehr unterschiedlich ausgeprägt.
- Die Zahlung einer Prämie für die erfolgreiche Vermittlung einer leistungsberechtigten Person auf den allgemeinen Arbeitsmarkt wird von den Teilnehmenden aus beiden Bundesländern unterschiedlich bewertet.
- Bisher liegen kaum Erfahrungen mit dem Budget für Ausbildung vor. Die Corona-Pandemie hat die Situation auf dem Ausbildungsmarkt verschärft.
- Die Zulassungsvoraussetzungen für andere Leistungsanbieter sind sehr hoch. Dies ist allerdings notwendig, um den leistungsberechtigten Personen eine bestmögliche Unterstützung gewährleisten zu können.
Forum 4 Bedarfsermittlung und Gesamtplanverfahren
- Die neuen Bedarfsermittlungsinstrumente und Anforderungen an das Gesamtplanverfahren sind noch nicht flächendeckend umgesetzt.
- Die Corona-Pandemie hat alle Akteure in den letzten Monaten vor neue Herausforderungen gestellt und die Umsetzung zum Teil verzögert.
- Es bedarf besserer Vorbereitungsmaterialien für Leistungsberechtigte, um Kommunikation auf Augenhöhe zu erreichen.
Forum 5 Qualität und Wirksamkeit
- Qualität, Wirkung und Wirksamkeit müssen gut voneinander abgegrenzt werden. Die Akteursgruppen müssen ein gemeinsames Verständnis entwickeln, um Wirksamkeit nicht nur als Element der Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsprüfung und vor dem Hintergrund möglicher finanzieller Kürzungen zu diskutieren.
- Zum Zeitpunkt der Regionalkonferenz schien es nicht sinnvoll, einheitliche Indikatoren für alle Leistungserbringer und -angebote festzuschreiben. Denn entsprechen Wirksamkeitsziele nicht den Zielen der leistungsberechtigten Person, kann eine Wirkung ausbleiben.
- Für einen erfolgreichen Prozess der Fachberatung müssen auf allen Seiten die personellen und finanziellen Ressourcen vorhanden sein. Kommunikation ist ein wichtiges und zentrales Element.
Podiumsdiskussion "Kulturwandel BTHG: Meilensteine der BTHG-Umsetzung in Hamburg und Schleswig-Holstein"
An der Podiumsdiskussion nahmen teil:
- Ingo Tscheulin, Sozialbehörde Hamburg
- Dr. Michael Hempel, Sozialministerium Schleswig-Holstein
- Claudia Schwartz, Hansestadt Lübeck
- Sabine Korb-Chrosch, Rauhes Haus Hamburg
- Kay-Gunnar Rohwer, Diakonie Schleswig-Holstein
- Kerrin Stumpf, LAG Hamburg
- Ursula Hegger, Mitarbeiterin des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung Schleswig-Holstein
Im ersten Teil der Podiumsdiskussion diskutierten die Teilnehmenden Veränderungen durch das BTHG. Insgesamt sehen sie die Umsetzung des BTHG in beiden Ländern auf einem guten Weg. Durchaus spürbar sei der Haltungswandel bei den Mitarbeitenden der Leistungserbringer. Doch noch fehlen regional Angebote und die Trennung von Fachleistungen und existenzsichernden Leistungen habe zu erheblicher Mehrarbeit für Betroffene sowie ihre Vertreterinnen und Vertreter geführt. Grund dafür seien die komplizierteren Verfahrens- und Verwaltungsabläufe durch das BTHG. Dass Leistungsträger darauf durchaus Einfluss nehmen können, berichtete Claudia Schwartz von der Hansestadt Lübeck. Die Vertreterinnen und Vertreter aus Schleswig-Holstein stellten fest, dass die Beteiligung der Menschen mit Behinderungen bzw. ihrer Interessenvertretungen im Bundesland gestärkt wurden. Die erforderliche hohe Fachlichkeit und die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie hätten die Zusammenarbeit jedoch erschwert.
Der zweite Teil der Podiumsdiskussion thematisierte die Landesrahmenverträge. Noch sei fraglich, ob die Überleitungsphase in Schleswig-Holstein wie geplant am 31. Dezember ende. Bei einigen Punkten hätten sich die Interessen der Akteursgruppen auch nach zwei Jahren noch nicht angenähert. Vorteil der Überleitungsphase seien die entstandenen Gestaltungsmöglichkeiten. Als Nachteil formulierten die Teilnehmenden jedoch, dass Ziel und Vision für Menschen mit Behinerungen dadurch schwer zu erkennen seien. In Hamburg sei die Umsetzung des BTHG ohne Übergangsphase erfolgt, aber keineswegs reibungslos verlaufen. Auch zum Zeitpunkt der Regionalkonferenz gebe es noch praktische Probleme in der inhaltlichen Umsetzung. Lobend sprachen sich die Teilnehmenden jedoch für die Transparenz bei den Verhandlungen zum Landesrahmenvertrag sowie die Beteiligung der Menschen mit Behinderungen in Hamburg aus.
Für Teilnehmende
MATERIALIEN
Hier finden Sie alle Präsentationen und Aufzeichnungen zur Vorbereitung auf die Fachforen.
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Dokumentation
Hier finden Sie die ausführliche Dokumentation mit allen Mitschnitten, Pinnwänden und Umfrageergebnissen.
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