Nach einer kurzen thematischen Einführung durch Herrn Dehmel und einer Vorstellungsrunde aller Forumsteilnehmer stellte Thomas Schmitt-Schäfer in einem ausführlichen Vortrag die leistungsrechtlichen Änderungen ab dem Jahr 2020 vor. Seinen Fokus legte Herr Schmitt-Schäfer dabei auf die Leistungen zur Sozialen Teilhabe.
Vortrag von Thomas Schmitt-Schäfer (transfer)
Zu Beginn ging Herr Schmitt-Schäfer kurz auf die Genese des BTHG ein. Trotz der Herauslösung der Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe und der Überführung in das SGB IX habe der Gesetzgeber am Nachrangprinzip der Eingliederungshilfe festgehalten (§ 91 SGB IX n.F.). Demnach erhalte Eingliederungshilfe, „wer die erforderliche Leistung nicht von anderen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.“ Auch das Verhältnis der Eingliederungshilfe zur Pflege („Die Leistungen der Eingliederungshilfe sind im Verhältnis zur Pflegeversicherung nicht nachrangig“, § 13 Abs. 3 SGB XI) bleibe bestehen, was große Schwierigkeiten in der Praxis bereithalte und eines der Knackpunkte in den Verhandlungen zu den Landesrahmenverträgen darstelle. Neu sei dagegen, dass Leistungen der Eingliederungshilfe nur erhält, wer einen Antrag stellt (§198 SGB IX n.F.). Anforderungen an die Form des Antrags gebe es allerdings nicht. Diese werde in den Rahmenvertragsverhandlungen geregelt.
Thomas Schmitt-Schäfer zitierte anschließend § 102 SGB IX, Teil 2 n.F., wonach die Leistungen der Eingliederungshilfe folgende Leistungen umfassen:
- Leistungen zur medizinischen Rehabilitation,
- Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben,
- Leistungen zur Teilhabe an Bildung und
- Leistungen zur Sozialen Teilhabe.
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation
Die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation dienten u.a. dazu, unabhängig von Pflege zu machen. Die Leistungen zur Sozialen Teilhabe dienen ab dem 1. Januar 2020 diesem Zwecke nicht mehr.
Herr Schmitt-Schäfer stellte Zielsetzungen, Maßnahmen und den Bezug auf die ICF der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation vor.
Für die medizinische Rehabilitation gebe es drei Voraussetzungen: die Rehabilitationsbedürftigkeit, die Rehabilitationsfähigkeit und eine positive Rehabilitationsprognose bezogen auf das angestrebte Rehabilitationsziel.
Kurz benannte Herr Schmitt-Schäfer die Leistungen, die sich aus den §§ 41 und 64 SGB IX n.F. ergeben. Übergeordnetes Ziel müsse es sein, so Herr Schmitt-Schäfer, dass insbesondere Menschen mit schweren Behinderungen Zugang zu den entsprechenden Leistungen erhielten.
Mit dem Bundesteilhabegesetz konturiere der Gesetzgeber die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation klarer und fasse sie in einem eigenen Strang, der nicht zu den Leistungen zur Sozialen Teilhabe gehört, zusammen.
Wer Erbringer der medizinischen Rehaleistungen sein kann, ergebe sich aus dem Krankenkassenrecht (§107 Abs. 2 Nr. 2 SGB V). Sofern Leistungserbringer aktuell Leistungen der Eingliederungshilfe abrechnen und diese Leistungen künftig im neuen Leistungserbringungssystem weiter erbringen wollen, müssten Voraussetzungen dafür geschaffen werden, fachlich-medizinisch unter ständiger ärztlicher Verantwortung arbeiten zu können.
Leistungen zur Sozialen Teilhabe
Leistungen zur Sozialen Teilhabe sollen Menschen mit Behinderungen die gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen oder erleichtern. Analog zu den Leistungen der medizinischen Rehabilitation stellte Herr Schmitt-Schäfer Zielsetzungen, Maßnahmen und den Bezug auf die ICF (International Classification of Functioning, Disability and Health) der Leistungen zur Sozialen Teilhabe nach § 113 SGB IX, Teil 2 n.F. vor. Zudem ging er auf den räumlichen Bezug dieser Leistungen ein. Dieser erstrecke sich auf den eigenen Wohnraum sowie auf den Sozialraum. Eine große Bedeutung habe in diesem Kontext das Gesamtplanverfahren, in welchem die Leistungen der Eingliederungshilfe ermittelt werden.
Nach dem BTHG dienen diese Leistungen der Befähigung zur eigenständigen Bewältigung/Erledigung des Alltages einschließlich der Tagesstrukturierung durch Anleitung und Übung. Leistungen zur Beseitigung oder Minderung von Einschränkungen der Funktionsfähigkeit gehören nicht dazu. Leistungen zur sozialen Teilhabe seien mit dem BTHG deutlich abgegrenzt von der medizinischen und beruflichen Rehabilitation, so Herr Schmitt-Schäfer.
Im Gegensatz zu Pflegeleistungen zielen die Leistungen zur Sozialen Teilhabe nicht auf Selbstständigkeit ab, sondern dienen gemäß § 78 SGB IX, Teil 1 der selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltags einschließlich der Tagesstrukturierung. Was genau die Leistungen bedeuten, müsse in den Rahmenvertragsverhandlungen festgelegt werden. § 78 Abs. 2 SGB IX, Teil 1 lege jedoch fest, dass die Leistungsberechtigten selbst auf der Grundlage des Teilhabeplans über die konkrete Gestaltung der Leistungen hinsichtlich Ablauf, Ort und Zeitpunkt der Inanspruchnahme entscheiden.
Um dem Prinzip der Personenzentrierung gerecht zu werden, bestimmten sich die Leistungen der Eingliederungshilfe dabei nach der Besonderheit des Einzelfalls. Soweit sie angemessen sind, ist dabei den Wünschen der Leistungsberechtigte zu entsprechen (§ 104 Abs. 2 SGB IX, Teil 1 n.F.). Die Hürden, die Angemessenheit der gewünschten Leistung abzuerkennen, habe der Gesetzgeber hoch angesetzt. So ist der Kostenträger verpflichtet, die familiären und lebenswirklichen Umstände auf die Zumutbarkeit der Leistungserbringung zu überprüfen. Die verhandelnden Parteien seien gefragt, dies in den Rahmenvertragsverhandlungen zu berücksichtigen.
Pauschale Geldleistungen
Im Anschluss ging Herr Schmitt-Schäfer darauf ein, dass neben Dienst- und Sachleistungen sowie dem Persönlichen Budget im Bereich der Sozialen Teilhabe künftig auch pauschale Geldleistungen möglich sind (§ 105 SGB IX n.F.). Diese könnten etwa für Leistungen zur Assistenz zur Übernahme von Handlungen zur Alltagsbewältigung sowie Begleitung der Leistungsberechtigten (§ 113 Absatz 2 Nummer 2 in Verbindung mit § 78 Absatz 2 Nummer 1 und Absatz 5), zur Förderung der Verständigung (§ 113 Absatz 2 Nummer 6) und zur Beförderung im Rahmen der Leistungen zur Mobilität erteilt werden (§ 113 Absatz 2 Nummer 7 in Verbindung mit § 83 Absatz 1 Nummer 1 [„insbesondere durch einen Beförderungsdienst“]) (§ 116 Abs. 1 SGB IX, Teil 1 n.F.).
Gemeinsame Inanspruchnahme / „Pooling“
Im Rahmen der Gesamtplanung sei künftig auch zu klären, ob es zumutbar ist, Leistungen an mehrere Leistungsberechtigte gemeinsam zu erbringen (§ 116 Abs. 2 SGB IX, Teil 1 n.F.). Diese Leistungen sind auf Wunsch der Leistungsberechtigten gemeinsam zu erbringen, soweit die Teilhabeziele erreicht werden können. Bevor die Feststellung der Leistungsgestaltung erfolge, müsse im Idealfall geprüft werden, welche Form der Leistung (Pauschale Geldleistung, Gemeinsame Leistung, Einzelleistung) bedarfsgerecht ist. Ob Assistenzleistungen tatsächlich als Gruppenleistungen erbracht werden könnten, sei in der Szene absolut fraglich und Gegenstand der Leistungsvereinbarungen auf Länderebene.
Leistungen zur Pflege
Ein besonders schwieriges Feld bei der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes ergibt sich daraus, dass der Gleichrang zwischen den Leistungen der Eingliederungshilfe und den Leistungen der Pflege erhalten geblieben ist. Durch die Ausweitung des Pflegebedürftigkeitbegriffs zum 1. Januar 2017 auf psychische Problemlagen, kommunikative und kognitive Fähigkeiten etc. seien auch Pflegeleistungen darauf zu beziehen. Das führe in der Praxis zu enormen Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Leistungen der Eingliederungshilfe und Pflegeleistungen. Da sich Leistungen überschneiden können, komme es auf die jeweilige Aufteilung der Verantwortung zwischen den Leistungsträgern an. Nach den neuen, mit dem Pflegestärkungsgesetz II in Kraft getretenen Regelungen haben Pflegeversicherung und Träger der Eingliederungshilfe eine Vereinbarung über das Tragen der Kosten und die Zuordnung zu treffen. Die Leistungen seien „auf der Zielebene zu entscheiden“, mithin im Bedarfsermittlungsprozess.
Das Leistungsstrukturmodell Berlin
Am Ende seiner Ausführungen ging Herr Schmitt-Schäfer auf das von Frau Prof. Dr. Heike Engel erarbeitete Leistungsstrukturmodell für das Land Berlin (PDF-Dokument, 408.4 KB) ein. Ausgehend von den mit der Neuformulierung des Behindertenbegriffs geänderten Rahmenbedingungen der Personenzentrierung der Leistungen (unabhängig von der Wohnform) entwickelte Frau Prof. Dr. Engel ein Modell, demzufolge die Leistungsstruktur eine Brückenfunktion zwischen Bedarfsfeststellung und Bedarfsdeckung wahrnimmt. Das heißt, dass die im Zuge der Bedarfsfeststellung ermittelten erforderlichen Leistungen mit den vorhandenen Eingliederungshilfeleistungen in Zusammenhang stehen sollten, damit die Bedarfe gedeckt werden können. Damit die Leistungen bedient werden können, brauche es im jeweiligen Landesrahmenvertrag eine entsprechende Strukturierung, die sich anschließende auf die Leistungsvereinbarung auf Einzelfallebene auswirkt.
Durch das Leistungsstrukturmodell sollen der individuelle Bedarf, die Feststellung der erforderlichen Leistungen und die Leistungserbringung miteinander verknüpft werden. Es müsse deshalb anschlussfähig an den Gesamtplan sein und gleichzeitig die angebotenen bzw. vorgehaltenen Leistungen systematisch und vollständig abbilden.
Sowohl für den Gesamtplan als auch die Leistungsvereinbarung wird verlangt, dass Art und Inhalt der Leistungen zu beschreiben sind, wobei mit dem BTHG Vorgaben hierzu gemacht werden. So sind in einem ersten Schritt im Gesamtplan die vier Leistungsgruppen aufzunehmen (medizinische Leistungen, Leistungen zur Sozialen Teilhabe, Leistungen zur Teilhabe an Bildung, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben). In das Leistungsstrukturmodell als Grundlage für die Leistungsvereinbarungen müssen in jedem Fall die beiden Leistungsgruppen Teilhabe am Arbeitsleben und Soziale Teilhabe aufgenommen werden. Für die Leistungsgruppe zur medizinischen Rehabilitation gibt es keine eigenen Leistungsvereinbarungen. Die Aufnahme der Leistungsgruppe Teilhabe an Bildung müsse möglich sein, weil sich hier zukünftig Veränderungen, die eine nähere Beschreibung von Leistungen erfordern, ergeben können.
In einem zweiten Schritt werden die Leistungen in den jeweiligen Leistungsgruppen weiter ausdifferenziert.
Nach § 131 Absatz 1 SGB IX n.F. schließen die Träger der Eingliederungshilfe mit den Vereinigungen der Leistungserbringer einheitliche Rahmenverträge zu den Leistungen nach § 125 SGB IX n.F. ab. Der Rahmenvertrag hat dabei u.a. die nähere Abgrenzung der Kostenarten und -bestandteile, die den Vergütungspauschalen und -beträgen zugrunde zu legen sind, zu bestimmen (§ 131 Absatz 1 Nr. 1 SGB IX n.F.). Diese werden in § 125 Absatz 2 zu Inhalt, Umfang und Qualität, einschließlich der Wirksamkeit der Leistungen der Eigliederungshilfe näher definiert, wobei neben sächlicher und personeller Ausstattung insbesondere auch Art, Umfang, Ziel und Qualität der Leistungen der Eingliederungshilfe zu beschreiben sind.
Daraus ergeben sich für die Leistungserbringer verschiedene Aufgaben:
- Die fachlichen Konzepte müssen weiterentwickelt werden;
- Assistenzleistungen müssen beschrieben und kalkuliert werden;
- Neue Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen sind abzuschließen, möglicherweise mit weiteren Leistungsträgern;
- Es müssen Mietverträge vorbereitet und geschlossen werden. Dazu müssen die Wohnflächen von den Flächen, die für die Fachleistungen erforderlich sind, abgegrenzt werden. Die Höhe der Miete muss kalkuliert werden;
- Versorgungsverträge müssen vorbereitet und geschlossen werden. Die Versorgungsleistungen sind zu kalkulieren.
Austausch mit dem Publikum
An beiden Konferenztagen fand ein intensiver fachlicher Austausch mit den Teilnehmenden des Forums zum neuen Leistungsrecht ab 2020 statt. Hier werden die wesentlichen Punkt rekonstruiert:
Persönliches Budget
Eine Vertreterin der Selbsthilfe bediente das Beispiel der Nachbarschaftshilfe, in deren Rahmen womöglich die Pauschale Geldleistung dafür genutzt wird, einen Obolus an eine/n Helfer/in zu zahlen, der/die beispielsweise für den Menschen mit Behinderungen einkaufen geht. Wie sowohl diese als auch die Leistungsberechtigte Person im Zuge dessen versichert seien, regele aktuell keine Vorschrift.
Anschließend erinnerte die Dame an die Einführung des Persönlichen Budgets. Seinerzeit habe es Befürchtungen der Leistungserbringer gegeben, dass dieses dazu führen würde, dass Menschen mit Behinderungen nicht mehr in den Einrichtungen leben wollen. Angesichts dessen stellte sie infrage, dass die Einführung des Persönlichen Budgets etwas Grundlegendes an der Leistungsstruktur geändert hätte.
Herr Schmitt-Schäfer pflichtete ihr bei, dass alle ihm bekannten Evaluationen ebenfalls nicht bestätigten könnten, dass das Persönliche Budget zu einem Zurückfahren von Leistungen geführt hätte.
Beratungspflichten des Trägers der Eingliederungshilfe
Aus dem Publikum kam die Bitte auf, auf die Beratungspflichten des Trägers der Eingliederungshilfe einzugehen. Herr Schmitt-Schäfer verwies in diesem Zusammenhang auf § 106 SGB IX n.F. und auf die Absicht entsprechende Berater/innen und Unterstützer/innen auszubilden. Eine Mitarbeiterin einer Stadtverwaltung ergänzte, dass ihren Informationen zufolge dieser Beruf ab 2020 an einer Fachhochschule ausgebildet und zertifiziert werden solle.
Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf
Ein Teilnehmer bemängelte, dass der Personenkreis der Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf regelmäßig und auch nach der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes vernachlässigt werde. Insbesondere die Schwierigkeiten bei der Kommunikation im Zuge der Bedarfsermittlung seien Anlass für Sorge.
Das Problem bestehe laut Herrn Schmitt-Schäfer darin, dass der Gesetzgeber es nicht vermocht habe, die Pflegeversicherung von Pflegeaufwendungen von Menschen mit Behinderungen in bestimmten Einrichtungen zu entlassen. Zu den Assistenzleistungen für den Personenkreis der Menschen mit schwersten und mehrfachen Beeinträchtigungen enthalte das Gesetz wenig. Konzeptionell müsste die Bedarfsdeckung daher so ausgestaltet werden, dass der/die Betroffene Leistungen zur medizinischen Reha erhalte, die seine Beeinträchtigung kompensieren, und man die Leistungen zur Sozialen Teilhabe auf die Teilhabe (im Sozialraum) fokussieren könne. Dafür müsste die Eingliederungshilfe inhaltlich profiliert werden, appellierte Herr Schmitt-Schäfer.
Bedarfsermittlung bei Personen mit psychischen Erkrankungen
Eine Mitarbeiterin eines Leistungserbringers erkundigte sich nach der Bedarfsermittlung bei Personen mit psychischen Erkrankungen. Herr Schmitt-Schäfer wies auf die Pflicht der Trägerseite hin, eine qualitativ hochwertige Bedarfsermittlung zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang müsse dieser auch mit jenen Personen, Einrichtungen, Assistent/innen usw. in den Austausch treten, die mit der betroffenen Person arbeiten bzw. im Alltag Kontakt haben – sofern das von der leistungsberechtigten Person erwünscht sei.
Vorhalten von Leistungen
Ein Teilnehmer fragte zur Leistungsstruktur, wie die Landesrahmenverträge regeln könnten, dass man einen festgestellten Bedarf bei einem anderen Leistungsanbieter in Anspruch nehmen möchte, diesen aber womöglich nicht findet.
Thomas Schmitt-Schäfer verwies auf § 95 SGB IX n.F., demzufolge die Träger der Eingliederungshilfe im Rahmen ihrer Leistungsverpflichtung eine personenzentrierte Leistung für Leistungsberechtigte unabhängig vom Ort der Leistungserbringung sicherzustellen haben und hierzu Vereinbarungen mit den Leistungsanbietern nach den Vorschriften des Kapitels 8 SGB IX abgeschlossen werden. Daher müsse in den Landesrahmenvertragen darauf hingearbeitet werden, entsprechende Angebote vorzuhalten.
Leistungstypisierung vs. Wunsch- und Wahlrecht
Ein Vertreter der Selbsthilge fragte, wie die Leistungstypisierung mit dem individuellen Wunsch- und Wahlrecht vereinbar sei. Thomas Schmitt-Schäfer unterstrich die Geltung des Leistungsrechts. Es sei von Fall zu Fall zu überprüfen, ob die gewünschte Leistung durch das Recht abgedeckt ist.
Landesrahmenversträge und Einzelvereinbarungen zu den Leistungen
Ein weiterer Diskussionspunkt drehte sich um den § 131 SGB IX n.F., der Regelungen zu den Rahmenverträgen enthält. Dieser hält u.a. fest, dass „In den Rahmenverträgen […] die Merkmale und Besonderheiten der jeweiligen Leistungen berücksichtigt werden“ sollen. Hier würden zwar „Vorentscheidungen“ getroffen werden, aber nicht im Detail, so Thomas Schmitt-Schäfer. Die Details seien den Einzelvereinbarungen vorenthalten.
Vom Bedarf zur Leistung
Eine Mitarbeiterin des Sozialministeriums erläuterte kurz das sächsische Verfahren „vom Bedarf zur Leistung“. Zur Bedarfsermittlung nutze das Bundesland künftig den ITP. Die konkrete „Verpreislichung“ finde aktuell in den Rahmenvertragsverhandlungen statt. Eine Besonderheit Sachsens bestehe darin, dass das Land selbst nicht an den Verhandlungen beteiligt sei, sondern der KSV Sachsen als überörtlicher Träger der Eingliederungshilfe. Nichtsdestotrotz beobachte man den Verlauf und lasse sich stets auf dem Laufenden der Verhandlungen halten.
Ein Teilnehmer ergänzte, dass es im Bereich der Menschen mit psychischen Erkrankungen bis dato kein gemeinsames Verfahren zur Feststellung des Hilfebedarfs gegeben habe, von dem man ausgehend einen Weg zur Leistung beschreiben könne. Die bevorstehenden Neuerungen durch die Anwendung des ITP betrachtet er daher durchaus als Verbesserung.
Ein Teilnehmer von Seiten der Leistungserbringer vermutete, dass es problematisch sein werde, eine echte Umstellung kostenneutral zu gestalten bzw. dass sich an der alten Systematik (Einteilung in fünf Hilfebedarfsgruppen etc.) wenig ändert.
Gemeinschaftliche Erbringung von Leistungen/Pooling
Zum Themenkomplex Pooling führte Thomas Schmitt-Schäfer auf Nachfrage aus, dass die Frage danach, ob eine leistungsberechtigte Person bestimmte Leistungen in der Gruppe in Anspruch nehmen möchte oder dies für bestimmte Leistungen strikt ablehnt, im Rahmen des Gesamtplanverfahrens erörtert werden müsse.
Eindämmen der Kostendynamik vs. Mehr Teilhabe
Ein Mitarbeiter eines Leistungserbringers mahnte an, dass die Umsetzung des Gesetzes nur im Dialog gelingen könne und appellierte an alle Verfahrensteilnehmer, „eingefahrene Machtstrukturen“ zurückzufahren, um mehr Selbstbestimmung und Eigenverantwortung für Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen.
Eine Vertreterin aus dem Bereich der Selbsthilfe erwiderte darauf, dass der Gesetzgeber mit dem BTHG einen Widerspruch zu vereinen versuche: Die Ermöglichung eines Mehrs an Teilhabe zu gleichen Kosten. Dieser Widerspruch sei jedoch nicht aufzulösen. Entsprechend sollten Leistungserbringer und Leistungsberechtigte trotz mitunter unterschiedlicher Interessen, ein gemeinsames Ziel verfolgen: Dass der Kostenträger die erforderlichen Leistungen „ohne Deckel“ übernimmt.
Herr Schmitt-Schäfer erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass der Gesetzgeber das Ziel formuliert habe, die Kostendynamik in der Eingliederungshilfe zu dämpfen. Das heiße aber nicht, dass die (volkswirtschaftlichen) Kosten im Allgemeinen nicht steigen dürften. Allein das Herauslösen der existenzsichernden Leistungen aus der Eingliederungshilfe entstehe ein Kostensenkungsbeitrag im Bereich der Eingliederungshilfe. Daneben stelle sich die Frage, ob es an der Schnittstelle Eingliederungshilfe/Pflege gelingen kann, die Leistungen der Pflegeversicherung vollumfänglich zu aktivieren. Analog gelte das zur Schnittstelle Eingliederungshilfe/medizinische Leistungen.
Sofern das gelinge, könne durch die klarere Verteilung der entsprechenden Leistungen auf unterschiedliche Systeme auch ohne Steigerung der Kostendynamik mehr in die Leistungen der Eingliederungshilfe fließen und dadurch mehr Selbstbestimmung möglich gemacht werden.
Einführung von Budgetmodellen in Berlin
Am Ende des zweiten Konferenztages entwickelte sich schließlich eine kontroverse Diskussion über die mögliche Einführung von Budgetmodellen in Berlin. Das Budgetmodell sehe vor, dass in der Eingliederungshilfe Leistungsanbietern ein bestimmtes Budget zur Verfügung gestellt wird. Diese verpflichten sich im Gegenzug dazu, die Leistungen bedarfsgerecht zu erbringen. Damit tritt die Budgetlösung gleichsam an die Stelle von Einzelvereinbarungen.
Erfolgreiche Modelle seien laut Thomas Schmitt-Schäfer bspw. im Landkreis Nordfriesland und der Freien und Hansestadt Hamburg zu beobachten. Der Staat überprüfe im Falle der Budgetlösung lediglich, ob Qualitätsansprüche an die Leistungserbringung eingehalten werden.
Arbeitsgruppen
Am Ende seiner Ausführungen skizzierte Herr Schmitt-Schäfer die nach seiner Ansicht aktuell strategisch bedeutsamen Fragestellungen:
1. Wie gelangt man vom Bedarf zur Leistung?
Unabhängig vom Bedarfsermittlungsinstrument müssen die ermittelte Bedarfe in irgendeiner Art und Weise zur Bedarfserbringung übergeleitet werden. Wie der Weg vom Bedarf zur Leistung beschritten wird, wurde in der Arbeitsgruppe 1 erörtert.
2. Verhältnis Eingliederungshilfe/Pflege
Wie soll das Verhältnis zwischen Eingliederungshilfe und Pflege auf der Ebene der Leistungsstruktur koordiniert werden? Damit beschäftigte sich Arbeitsgruppe 2.
3. Eingliederungshilfe/medizinische Leistung
Die Leistungen der medizinischen Reha müssen abgegrenzt werden von der sozialen Teilhabe. Das betrifft insbesondere das Leistungssystem „Sucht“ und „Seelische Behinderung“. Dieses Thema wurde in Arbeitsgruppe 3 behandelt.
4. Trennung der Leistungen
Wie definiert man Fachleistungen und wie trennt man diese künftig von den existenzsichernden Leistungen? Da sich das Fachforum 3 der Regionalkonferenz Ost mit diesem Thema auseinandersetzte, wurde hierzu keine Arbeitsgruppe eingerichtet.
5. Teilhabe an Bildung
Auf Wunsch einiger Teilnehmenden wurde eine vierte Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich der Teilhabe an Bildung, insbesondere im Schulbereich widmete.
Unter dem folgenden Button können Sie sich die fotografisch festgehaltenen Ergebnisse der vier Arbeitsgruppen herunterladen.
Forum 4
Der Referent
Thomas Schmitt-Schäfer, Geschäftsführer von transfer – Unternehmen für soziale Innovation