Frau Löwe führte mit dem Hinweis ins Thema ein, dass gerade dessen Komplexität und die große Menge bislang ungeklärter Fragen in diesem Zusammenhang von allen Beteiligten ein hohes Maß an Konstruktivität und vertrauensvoller Zusammenarbeit erfordere, wenn der Systemwechsel zum 1. Januar 2020 gelingen soll.
Input durch Anja Wiesner (TexLL)
Vorstellung des Verbundprojekts TexLL
Frau Anja Wiesner ist eine der beiden Projektleiterinnen des Verbundprojekts TexLL der beiden Landschaftsverbände Nordrhein-Westfalens. Das Projekt beschäftigt sich im Rahmen der modellhaften Erprobung mit den Regelungsbereichen „Trennung der Fachleistungen und existenzsichernden Leistungen, Entwicklung und Erprobung einer neuen Leistungssystematik“. Das Projekt ist eng verzahnt mit den Verhandlungen zum Landesrahmenvertrag und die Erkenntnisse bzw. Fragestellungen des Projekts werden dort unmittelbar Gegenstand der Debatten.
Frau Wiesner erläuterte zunächst den Projektplan, innerhalb dessen man im Augenblick nach der intensiven Projektvorbereitung und der Entwicklung der Instrumente für die modellhafte Erprobung nun bei Phase 3, der Pilotphase angekommen sei.
Das Projekt habe sechs stationäre Einrichtungen und zwei ambulante Wohngemeinschaften einbezogen, um auch den Vergleich zur Leistungserbringung im ambulanten Setting zu ermöglichen.
Arbeitsgrundlagen
Eine der Prämissen sei dabei, dass die bisherigen Kosten auch in Zukunft getragen werden können. Aus diesem Grund starte das Projekt mit einer Erhebung der IST-Kosten.
Derzeitige Arbeitsgrundlage des Projekts seien Empfehlungen der AG Personenzentrierung zur Flächenzuordnung und Ermittlung der Kosten der Unterkunft sowie die aktuellen Empfehlungen der Länder-Bund-AG zu den existenzsichernden Leistungen außerhalb der KdU.
Bereits identifizierte Probleme
Frau Wiesner skizzierte dann die Probleme, die für den Regelungsbereich bislang identifiziert wurden. Zum einen werde durch das Projekt geprüft, ob die Regelbedarfsstufe 2 für die Bewohner/innen der bisherigen stationären Einrichtungen sei. Ferner werde geprüft, ob der durch den Bund zu tragende Zuschlag in Höhe von 25 Prozent oberhalb der ortsüblichen Angemessenheitsgrenze ausreiche, um die tatsächlichen Kosten der Unterkunft zu finanzieren. Was den darüber hinaus gehenden Betrag angehe, den man absichtlich nicht „Fachleistung“, sondern „Existenzsichernde Leistung II“ nenne, so sei bislang sowohl die Rechtnatur dieses Betrages völlig unklar, als auch seine Höhe.
Die Abgrenzung, Aufteilung und Finanzierung der Miet-und Mietnebenkosten sein im Detail problematisch.
Bei der Flächenaufteilung sein insbesondere die Zuordnung von Kurzzeitplätze und Krisenplätzen zweifelhaft. Man könne sich vorstellen, sie für die Zeit der tatsächlichen Nutzung als Wohnflächen und für die restliche Zeit als Fachleistungsflächen in Form von „Vorhalteflächen“ zu erklären.
Die Frage, welche Flächen „betriebsnotwendig“ sind, sei derzeit auch In den Rahmenvertragsverhandlungen besonders umstritten. Die Empfehlung der AG Personenzentrierung weise das Problem dem Aushandlungsprozess zwischen Träger und (einzelnem) Leistungserbringer zu. Die Landschaftsverbände verträten dazu die Ansicht, dass nur die bislang im Raumprogramm anerkannten Flächen auch „betriebsnotwendig“ seien, nicht aber mehr oder gar alle Flächen. Die Erbringerseite sei dazu naturgemäß anderer Ansicht.
Für die Beantwortung der Frage, welche weiteren Kosten mit dem Mietzins abgegolten werden können, berufe sich das Projekt auf die sogenannte II. Berechnungsverordnung (2.Bv = Verordnung über wohnungswirtschaftliche Berechnungen nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz).
Auch die AG Personenzentrierung habe bereits erkannt, dass es bei der Frage, welche Miethöhe „angemessen“ ist, rechtliche Unterschiede zwischen den Leistungsberechtigten der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XI und Grundsicherungsberechtigten nach dem Vierten Kapitel des SGB XII gibt. Wenn das so bliebe, müssten die KdU-Leistungen jeweils unterschiedlich berechnet werden. Auch der durch den Bund zu finanzierende 25-prozentige Zuschlag auf die Kosten der Unterkunft sei lediglich für Leistungsberechtigte nach dem Vierten Kapitel vorgesehen, nicht aber für Empfänger der Hilfe zum Lebensunterhalt
Bei den Mietkosten für Fachleistungsflächen gebe es noch viele offene Fragen. Die Empfehlung der AG Personenzentrierung verweise auch hier lediglich darauf, dass öffentliche Förderungen hier (und nicht bei der Wohnfläche) anzurechnen seien, alles Übrige aber Vereinbarungssache sei.
Für die Ermittlung der Regelbedarfe und der Lebensunterhaltsbedarfe nach den Empfehlungen der LBAG sei es wichtig zu wissen, dass Abweichungen nach oben und unten sind nach § 27 a SGB XII zulässig seien. Hier werde jedoch eine Auslegung der Vorschrift unter Beachtung der gesetzlichen Vorgabe nötig sein, dass ein mehr als geringfügiger Teil des Regelsatzes beim Leistungsberechtigten verbleiben müsse.
Das Projekt TexLL bezweifle dieses Herangehen grundsätzlich. Man müsse bei der Zuordnung vielmehr zunächst fragen, welche Leistungen die Einrichtung erbringe und welche Wahlmöglichkeiten der Leistungsberechtigte dort habe, um dann die Höhe des verbleibenden Teils des Regelsatzes ermitteln zu können.
Im Projekt sei ferner die Frage entstanden, ob hier irgendwelche Standards vereinbart werden, die zumindest für die Umstellung hilfreich wären.
Bislang sei auch völlig unklar, ab wann es sich bei neuen Wohnformen eher eine gemeinschaftliche Wohnform handele und wo die tatsächlich ambulante Wohnform „beginne“.
Erste Ergebnisse
Frau Wiesner präsentierte abschließend die ersten Ergebnisse der Projektarbeit. Es sei verständlicherweise eine gewisse Zurückhaltung der Leistungserbringer bei der Offenlegung von IST-Daten festzustellen.
Anhand der dem Projekt zur Verfügung stehenden Daten habe man Fachleistungsflächenanteile zwischen 10 und 20 Prozent ermitteln können. Bei den Kosten für Unterkunft und Heizung werde es Gewinner und Verlierer geben (z.B. Warmmiete statt IST-kostenbasierte Berechnung; Stadt-Land-Gefälle). Der Umgang mit Fördermitteln und die Zuordnung von Kurzzeit-und Krisenplätzen sei heftig umstritten.
Input durch Michael Conty (LAG Freie Wohlfahrtspflege NRW)
Ziel der LAG der Freien Wohlfahrtspflege in den laufenden Verhandlungen
Herr Conty eröffnete seinen Vortrag damit, den Teilnehmenden in Erinnerung zu rufen, wie eng der zeitliche Rahmen zur Umsetzung der Systemumstellung ist. Das Ausführungsgesetz sei spät verabschiedet worden und der Landesrahmenvertrag soll nach jetzigem Zeitplan im März 2019 fertig werden.
Vorrangiges Ziel der LIGA der Freien Wohlfahrt sei es, dass dieser Prozess keine Verschlechterung der Lebenssituation für Leistungsberechtigte mit sich bringt. Deren wirtschaftliche Situation soll sich verbessern und es soll Versorgungssicherheit bei den Fachleistungen geben.
Schwierigkeiten auf dem Weg
Er skizzierte im Folgenden einige Schwierigkeiten, die der Erreichung dieser Ziele aus Sicht der Leistungserbringer aus rechtlicher und tatsächlicher Sicht noch im Wege stehen.
- Es ist noch nicht völlig klar, ob künftig für die Berechnung der Grundsicherung und damit der angemessenen Kosten der Unterkunft der Wohnort oder der gewöhnliche Aufenthalt des Leistungsberechtigten zugrunde gelegt werden soll.
- Auch er wies auf die rechtliche Diskrepanz bei der Höhe der angemessenen Kosten der Unterkunft zwischen Empfängern der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII und denen nach dem Viertel Kapitel des SGB XII hin. Besondere Probleme entstünden noch für Menschen mit psychischen Erkrankungen, die derzeit in Einrichtungen der Behindertenhilfe leben und teilweise Leistungen nach dem SGB II, beziehen, in dem die angemessenen Kosten der Unterkunft nach einem dritten Modus ermittelt werden. Einer Umfrage innerhalb der Mitgliedsverbände habe ergeben, dass es derzeit im Einzugsbereich des LWL 7 Prozent HLU-Empfänger, 71 Prozent Grundsicherungsempfänger und Rentner gebe.
- Die sogenannte „Existenzsicherung II“, also der die Angemessenheitsgrenze um 125 Prozent übersteigende Betrag schwebe, rechtlich gesehen, völlig im luftleeren Raum. Seine Rechtsnatur sei umstritten, müsse aber geklärt werden, wenn man am Schluss tatsächlich um die existenzsichernden Leistungen bereinigte Fachleistungen erbringen wolle.
- Mit dem 1. Januar 2020 fallen alle alten Rechtsgrundlagen weg. Heimverträge werden ungültig, Leistungs-und Vergütungsvereinbarung ebenso. Herr Conty wies darauf hin, dass bis dahin dringend tragfähige und pragmatische Lösungen erarbeitet werden müssen, die einen nahtlosen Übergang ins neue System möglich machen.
Aus Sicht der Freien Wohlfahrtspflege müsse es für die Leistungstrennung eine landesweite Lösung unter folgenden Prämissen geben:
- Die Leistungserbringer werden durch die Träger der EGH in die Lage versetzt, kontinuierlich bedarfsdeckende Leistungen zu erbringen.
- Die Herauslösung der LU/KdU-Leistungen erfolgt möglichst einfach und mit geringem Aufwand.
- Der Umstellungsaufwand wird durch den EGH-Träger entgolten (einmalig); der erhöhte Aufwand durch Vermehrung der Schnittstellen und Aufgaben der LE wird entgeltlich berücksichtigt (dauerhaft).
- Nach vollzogener Trennung der Leistungen ist das Erlösbudget der Einrichtungen (Vergütung durch den Leistungsträger für Fachleistungen + vertraglich geschuldete Entgelte aus Wohnraumüberlassung und weiteren Leistungen durch den Leistungsberechtigten) größer als bisher.
Lebensunterhalt im engeren Sinne
Herr Conty ging dann auf den Lebensunterhalt im engeren Sinne ein. Die LAG FW habe ein Arbeitspapier zu existenzsichernden Leistungen vorgelegt.
Lebensunterhaltsleistungen i.e.S. (nur Wareneinsatz) sind heute im stationären Leistungsentgelt enthalten (§ 27b Abs. 1, Satz 2 SGB XII) und werden vom Bund getragen:
• Regelsatz der Regelbedarfsstufe 3 (RBEG2018)
• Zusätzliche Bedarfe nach dem Zweiten Abschnitt des dritten Kapitels (§§ 30-33 SGB XII)
• Bedarfe für Unterkunft und Heizung nach § 42 Nr. 4 b SGB XII
Diese Leistungen fließen letztlich auch in die Vergütungen der Leistungserbringer ein. Hinzu kommt der weitere notwendige Lebensunterhalt (§ 27b Abs. 2 SGB XII), insbesondere Bekleidungspauschale und Barbetrag, die an den Leistungsberechtigten bar ausgezahlt werden.
Konkret: den Landschaftsverbänden fließen je Leistungsberechtigtem 332 € (Regelsatz Regelbedarfsstufe 3) je Monat als Erstattung für LU i.e.S. zu. Hiervon werden 112,32 € als Barbetrag an die Leistungsberechtigten ausgekehrt. Der jährliche Ansatz für die Bekleidungspauschale je Leistungsberechtigten wird von beiden Landschaftsverbänden derzeit mit 225 € je Jahr, also durchschnittlich 18,75 €/Monat, angesetzt.
Es ergibt sich ein verbleibender monatlicher Betrag von 200,93 € je Leistungsberechtigtem, der heute als amtlicher Verrechnungswert für den notwendigen Lebensunterhalt in stationären Einrichtungen zur Verfügung steht.
Das ist der monatliche Abzugsbetrag aus dem vollstationären Leistungsentgelt für den Lebensunterhalt im engeren Sinne bei der Trennung der Leistungen.
Zwischen den Leistungsberechtigtem und den Leistungserbringern werden Verträge über die Erbringung von Versorgungsleistungen (Ernährung, Wäschepflege, Reinigung, Beschaffung etc.) geschlossen.
Eine aktuelle Empfehlung der Länder-Bund-AG kommt zu dem Schluss, dass dem Leistungsberechtigten für Vollversorgung aus staatlicher Sicht nicht mehr als 262 € in Rechnung gestellt werden sollten. Hierbei sei zu beachten, dass die zugrunde gelegte Stichprobe für die Ermittlung dieses Betrages ohne das hier in Rede stehende Klientel gebildet wurde.
Die tatsächliche Gestaltung der Vertragsinhalte und die Vereinbarung über die Vergütung der vereinbarten Leistungen obliege künftig zudem den Vertragsparteien, so dass sich darüber vorab keine pauschale Aussage treffen lasse.
Entgeltliche Überlassung von Wohnraum
Herr Conty erläuterte im Folgenden das Vorgehen zur Ermittlung einer kalkulatorischen Miete in NRW. Bezogen auf die Bestandseinrichtungen werden mit einem zu konsentierenden Verfahren (Vorschlag LAG FW liegt vor) die Flächen ermittelt und gemäß der Empfehlung der AG Personenzentrierung nach Wohnflächen, Fachleistungsflächen und Mischflächen zugeordnet.
Die Landschaftsverbände vertreten dazu bislang den Standpunkt, dass lediglich die bisher anerkannten Flächen zu berücksichtigen sind, während die LAG FW auf dem Standpunkt stehe, dass die IST-Flächen zu berücksichtigen seien. Dieser Punkt sei derzeit heftig umstritten.
Der jeweilige Flächenschlüssel sei auch die Grundlage für die Aufteilung der einrichtungsbezogenen Investitionsbeträge.
Die Betriebskosten werden ebenfalls den Wohnflächen und Fachleistungsflächen auf der Basis des Flächenschlüssels zugeordnet, sofern nicht eine andere Zuordnung zwingend erforderlich sei (so sind z.B. „Systemkosten“ EULA immer vollständig dem Fachleistungsbereich zuzuordnen). EULA, so erläuterte Herr Conty, sei eine Einrichtung, die rund um die Uhr versorge, ein Wohnheim und mit dieser Bezeichnung eine NRW-Spezialität.
Zwischen den Mietern in den Gemeinschafswohnformen und den Leistungserbringern werden Mietverträge (ohne Kopplung anderer Leistungen) oder Verträge zur entgeltlichen Überlassung von Wohnraum nach dem WBVG (mit Kopplung anderer Leistungen) sowie über die jeweiligen Nebenkosten geschlossen.
Die Kosten der Wohnraumüberlassung werden dem Leistungsberechtigten in Rechnung gestellt.
Wohnraumkosten inkl. NK bis zur Höhe der besonderen Angemessenheitsgrenze zzgl. des möglichen Aufschlags von 25 Prozent bei nachgewiesenen Kosten gemäß § 42a Abs. 5 SGB XII 2020 werden bei wirtschaftlicher Bedürftigkeit vom Sozialhilfe- bzw. Grundsicherungsträger ungeschmälert übernommen.
Wohnraumkosten oberhalb der 125 Prozent-Grenze werden für alle Leistungsberechtigten ungeschmälert vom EGH-Träger als „Existenzsicherung II“ übernommen. Dies müsste dann aus Sicht der Leistungserbringer auch für Menschen geschehen, die eine Rente beziehen, denn die Leistung werde ja offensichtlich aus Behinderungsgründen geleistet
Input durch Carl-Wilhelm Rößler (Kompetenzzentrum Selbstbestimmt Leben e.V.)
Herr Rößler stellte die Sicht der Menschen mit Behinderungen auf die Leistungstrennung vor und ging auf Chancen und Befürchtungen der Menschen ein, deren verbesserte Teilhabechancen Gegenstand des Systemwechsels sind.
Grundsätzliches
Herr Rößler betonte zunächst, dass es ihm nicht darum gehe, an dieser Stelle "Gesetzesbashing" zu betreiben. Vielmehr ginge es jetzt darum, das geltende Recht gemeinsam umzusetzen. Die Leistungstrennung als Idee sei gut, weil sie die Vergleichbarkeit der Lebensverhältnisse deutlich verbessert. Gleichwohl müssten einige kritische Anmerkungen erlaubt sein.
Wegfall des grundsätzlichen Vorrangs der ambulanten Hilfe
Die Vertreter der Menschen mit Behinderungen hätten sich im Gesetzgebungsverfahren gewünscht, dass der Vorrang ambulanter Hilfen im Gesetz verstärkt werden würde. Er existiere zwar, jedoch beziehe sich insbesondere § 104 SGB IX (neu ab 2020) weiterhin auf die Kriterien des jetzigen Mehrkostenvorbehalts und verletze damit die Vorgaben aus Art. 19 UN-BRK, wonach niemand verpflichtet werden kann, in besonderen Wohnformen zu leben.
Grundsatz der individuellen Bedarfsdeckung durch die Regelung des § 42 a Abs. 5 SGB XII
Herr Rößler ging im Folgenden anhand einiger sehr konkreter Beispiele darauf ein, dass der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft zugrunde gelegte Durchschnittswert der vor Ort als angemessen anerkannten Kosten der Unterkunft einen fehlerhaften Vergleich zieht. Zugrunde gelegt werden die unteren 15-20 Prozent des örtlichen Mietspiegels. Die Situation von Menschen mit Behinderungen wird nicht einmal mit einem pauschalen Zuschlag widergespiegelt. Vielmehr ist tatsächlich barrierefreier Wohnraum nicht Bestandteil dieses Segments des Wohnungsmarktes. Besondere Ausstattung oder größere Räume würden häufig als "Luxusmerkmale" zu höheren Mieten führen. Es fehle sowohl an hinreichend barrierefreiem Wohnraum als auch an einer gesicherten Datenlage zu den durchschnittlichen Kosten dieser Art von Wohnraum.
Vergleichbarkeit der Kosten für den Lebensunterhalt (außerhalb der Unterkunftskosten)?
Dasselbe gelte im Grunde für die herangezogene Vergleichsgruppe bei den Lebensunterhaltskosten außerhalb der KdU. Die Lebenswirklichkeit von Menschen mit Behinderungen werde durch die zugrunde gelegten Stichproben nicht realistisch abgebildet. Auch hier fehlt es an einer repräsentativen und gesicherten Datenlage. Das Konsumverhalten und die Konsummöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen seien nicht mit dem anderer Menschen vergleichbar. Einkauf beim Discounter sei mitunter ebenso schwierig wie die kostengünstige Gestaltung der eigenen Mobilität. Wenn hier überhaupt pauschaliert werden müsse, dann doch unter Zugrundelegung einer anderen Vergleichsgruppe.
Das Minimum einer Korrektur wäre Gewährung der Regelbedarfsstufe 1, denn wer in einer Einrichtung lebt, bildet damit nicht automatisch (wie vom Gesetzgeber offenbar angenommen) eine Bedarfsgemeinschaft mit den ebenfalls zufällig dort lebenden Menschen.
Umsetzung der Geldverwaltung
Herr Rößler ging ferner darauf ein, dass der verantwortungsvolle Umgang mit den plötzlich zur Verfügung stehenden Mitteln durch viele Menschen mit Behinderungen erst erlernt werden müsse. Sie seien besonders schutzbedürftig gegenüber unlauteren Geschäften. Gesetzliche Betreuung könne dies nicht leisten und sei vor dem Hintergrund der UN-BRK auch selbst reformbedürftig. Auch das regelmäßige Stellen von Anträgen und die Mitteilung von Veränderungen in den persönlichen Verhältnisse an Behörden falle vielen Menschen mit Behinderungen schwer. Die Leistungstrennung dürfe kein Grund dafür sein, mehr Menschen unter rechtliche Betreuung zu stellen, als bisher nötig.
Abschließend hob Herr Rößler nochmals hervor, dass die Trennung von Fachleistung und Existenzsicherung grundsätzlich eine gute Idee sei. Im Hinblick auf das eben Gesagte, sei es jedoch erforderlich, diese Grundidee weiter zu entwickeln.
Diskussion im Plenum
In der teils auf die Einzelvorträge bezogenen, teils am Schluss geführten Diskussion mit dem Plenum wurden folgende Fragen erörtert:
Zeitschiene realistisch?
Die zeitliche Enge zur geplanten Systemumstellung war je Gegenstand aller drei Impulsreferate und natürlich interessierten sich insbesondere Vertreter der Leistungserbringerseite dafür, wie realistisch es sei, bis Mitte 2019 tatsächlich Mietverträge für die Bewohner/innen der bisherigen stationären Einrichtungen bereithalten zu können. Frau Wiesner erwiderte darauf, dass das tatsächlich ein Problem sei, dem man nur dadurch begegnen könne, dass man jetzt viele Dinge parallel tut. Man könne durchaus schon jetzt eine Flächenaufteilung vornehmen, die eigenen Kosten aufstellen und müsse erforderlichenfalls später nochmals "umsortieren".
Höhe der KdU
Ein größerer Diskussionspunkt war die Ermittlung der Höhe der Kosten der Unterkunft. Teilnehmer/innen wollten wissen, wo man erfahren könne wie hoch die angemessenen KdU in den Systemen der Grundsicherung seien.
Hier wurde zunächst geklärt, dass die Kosten der Unterkunft im System der Grundsicherung für Arbeitssuchende nochmals anderen Regeln unterworfen sei, man aber in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit den Unterschied nicht erklären könne. Grundsätzlich könne man die Höhe der angemessenen KdU beim zuständigen Grundsicherungsträger erfragen. Aber auch die Landschaftsverbände hielten entsprechende Listen bereit, die man dort erhalten könne.
Ein Teilnehmer wies auf ein Problem hin, dass ihm im Bereich SGB II/intensiv betreutes Wohnen für psychisch Kranke begegnet sei. Nachdem eine Fachleistung der Eingliederungshilfe bewilligt worden war, verweigerte das zuständige Jobcenter zunächst die Genehmigung des notwendigen Umzugs mit dem Argument, man benötige ein ärztliches Gutachten. Dies sei dem Leistungserbringer unverständlich gewesen. Diese Erfahrung teilte das Podium nicht, vielmehr sei der Fehler wohl beim einzelnen Sachbearbeiter der Grundsicherung zu suchen. Grundsätzlich sei eine Doppelbegutachtung weder nötig noch vorgesehen.
Einem der Teilnehmer war die eigentliche Bedeutung der Flächenaufteilung nicht klar. Es komme, so jedenfalls im Zuständigkeitsbereich seines Grundsicherungsträgers, für die Ermittlung der angemessenen KdU nicht auf die bewohnten Quadratmeter an, sondern nur auf den Mietpreis. Frau Wiesner stellte klar, dass die Quadratmeterzahl zumindest bei einer Überschreitung der Angemessenheit von Belang sei und um die Fachleistungsflächen zu definieren, spiele es in jedem Fall eine Rolle, wie groß die Wohnflächen sind.
Existenzsichernde Leistungen außerhalb der KdU - Regelbedarf, "Barbetrag"
Nachdem Herr Conty ausführlich zur Ermittlung des verbleibenden Regelbedarfs ausgeführt hatte, wies ein Teilnehmer darauf hin, dass doch eigentlich vereinbart gewesen sei, dass dieser Betrag nicht kleiner werden dürfe, als der bisherige Barbetrag. Frau Wiesner antwortete hierauf, dass der "Barbetrag" nicht der Höhe nach im Gesetz fixiert sei, das bedeute, es müsse jetzt erst ermittelt werden wie der „verbleibende Teil des Regelbedarfs“ ermittelt werden kann.
Den Zuschnitt der Fachleistungen in Bezug auf die darin enthaltenen Bestandteile des Regelsatzes soll künftig jeder Leistungserbringer mit dem Landschaftsverband selbst aushandeln. Es entsteht aber die grundsätzliche Frage, ob die Menschen in diesen Wohnformen „Bedarfsgemeinschaften“ sind. Wenn dann auch noch die ambulanten Wohngemeinschaften hinterfragt würden und womöglich dort auch die Regelbedarfsstufe 2 eingeführt werden würde, sei das doch eine Benachteiligung einer ganzen Gruppe von Menschen.
Frau Wiesner antwortete, es sei zunächst die Hypothese des Gesetzgebers, dass es in den bisherigen stationären Einrichtungen hinsichtlich der mit dem Regelsatz abzudeckenden Bedarfe „Synergieeffekte“ analog zur Bedarfsgemeinschaft gebe. Wenn unter anderem die Modellprojekte etwas anderes feststellen, müsse und werde zu diesem Punkt das Gesetz korrigiert. Dazu müsse man aber erst einmal konkret zu rechnen beginnen.
Einige Teilnehmer/innen des Forums hatten dazu wohl schon konkrete Berechnungen angestellt und dabei festgestellt, dass der Regelsatz nach der Regebelbedarfsstufe 2 nicht ausreicht, wenn die Höhe des bisherigen Barbetrages und eine Bekleidungspauschale sowie der "zusätzliche Barbetrag" für Erwerbsminderungsrentner/innen bzw. der bislang gezahlte Zuschlag für Blinde und Sehbehinderte beim Leistungsberechtigten verbleiben soll. Wenn diese Zuschläge künftig entfielen, würde das Postulat "niemandem werde es nach der Leistungstrennung schlechter gehen" nicht zu halten sein.
Herr Conty antwortete, das Renten künftig an die Berechtigten ausgezahlt werden würden, während der "Zusatzbarbetrag" entfiele. Frau Wiesner versprach, die Frage mit ins Projekt TexLL zu nehmen, um herauszufinden, ob und welche Zuschläge künftig unter welchen Voraussetzungen durch wen gezahlt werden.
Einbeziehung der Träger der Grundsicherung in die Vorbereitungen der Umstellung
Nachdem die Schnittstelle zu den Systemen der Grundsicherung von allen Referent/innen angesprochen worden war, wurde aus dem Plenum die Frage gestellt, ob die Kommunen als Träger der Grundsicherung schon darüber informiert wären, was da auf sie zukomme? Leistungserbringer würden mitunter auf Unverständnis und Unkenntnis stoßen, wenn Sie versuchten, mit den Trägern der Grundsicherung über die Eingliederungshilfe ab 2020 zu sprechen.
Für das Modellprojekt konnte Frau Wiesner sagen, dass man daran von vornherein auch die dazugehörigen Träger der Grundsicherung beteiligt habe. Im Übrigen hätten beide Landschaftsverbände gemeinsame Gremien mit den Grundsicherungsämtern, um diese Umstellung zeitlich gut und mit möglichst wenig Aufwand für alle vorzubereiten. Nachdem sich zwei kommunale Vertreter zu Wort gemeldet und versichert hatten, dass sie selbst ebenso wie die herangezogenen Gemeinden über die im Zusammenhang mit der Leistungstrennung entstehenden Herausforderungen informiert seien, ergänzte Frau Dr. Imamovic (MAGS NRW), dass es auch nach ihrer Kenntnis gemeinsame und permanente Gremien mit den Kommunen gebe, um den Übergang gemeinsam vorzubereiten.
Die Vertreterin einer Kommune fragte, ob die Landschaftsverbände gemeinsame Vorgaben für die Höhe der angemessenen KdU (3. und 4.Kapitel des SGB XII) machen würden. Frau Wiesner verneinte dies unter Hinweis darauf, dass dies wirklich in der originären Zuständigkeit der Kommunen läge.
Höhere Anforderungen an Leistungsberechtigte und rechtliche Betreuer?
Ein weiterer Diskussionspunkt waren die neuen Herausforderungen bürokratischer Art, die auf die Menschen zukommen, die in den bisherigen stationären Einrichtungen leben. Eine Frage an Herrn Rößler in diesem Zusammenhang war, dass dieser hohe Aufwand, sich immerfort mit der aktuellen Rechtslage und den verschiedenen Anträgen zu beschäftigen ja auch andere Menschen, wie zum Beispiel Seniorinnen und Senioren treffe. Ob es nicht so sei, dass Menschen allgemein dem immer schwerer gewachsen seien.
Herr Rößler antwortete darauf, dass selbst die gesetzliche Betreuung da kein Allheilmittel sei, vielmehr seien auch gesetzliche Betreuer/innen häufig überfordert. Nach Ansicht von Frau Wiesner sei es gerade die Aufgabe der gesetzlichen Betreuer/innen diese Aufgaben zu übernehmen. Die aus dem Plenum erhobene Forderung, vielleicht grundsätzlich von Amts wegen immer dann wenigstens eine Verfahrenspflegschaft einzusetzen, wenn Menschen mit Behinderungen auf diese Veränderungen unzureichend vorbereitet zu sein scheinen, lehnte sie indessen ab. Die Leistungsträger hätten ja auch selbst Kontakt zu den Menschen und würden unterstützend eingreifen können. Sie glaube, die Gefahr, dass jemand aus dem System herausfällt, weil er seinen Antrag nicht rechtzeitig gestellt habe, sei unter dieser Voraussetzung gering. Die Leistungen der Eingliederungshilfe selbst könnten ja grundsätzlich auch unbefristet gewährt werden.
Wenn Leistungen tatsächlich auslaufen informieren beide Landschaftsverbände und sie gehe mangels anderer Anhaltspunkte davon aus, dass die Grundsicherungsträger dies auch tun.
Erweiterung des Inklusionsbegriffs durch "Öffnung" der Einrichtungen
Die Trennung der Leistungen könne nach Ansicht eines Teilnehmers ja durchaus dazu führen, dass die bisherigen stationären Einrichtungen Bewohner/innen durch Umzug ins ambulante Setting verlieren. Ihn interessierte, ob die Leistungserbringer darauf vorbereitet seien, ihre Wohnangebote dann anderen etwa am Wohnungsmarkt benachteiligten Menschen zu öffnen. Hierauf erwiderte Herr Conty, dass er selbst sicherlich nicht im Verdacht stehe, Menschen in Einrichtungen festzuhalten. Er habe selbst viele Jahre lang die Ambulantisierung von Betreuungsangeboten vorangetrieben. Die Freie Wohlfahrtspflege unterstütze den Ansatz, attraktive Wohnensembles zu schaffen, in die dann auch andere Menschen, wie etwa Studierende einziehen könnten.
Frau Wiesner ergänzte, dass Sie aus dem Vortrag von Herr Rößler mitnehme, es gebe zu wenig bezahlbaren Wohnraum und wenn dieser zusätzlich barrierefrei sein soll, dann werde es wirklich schwierig. Ein weiterer Punkt im Zusammenhang mit der notwendigen Höhe existenzsichernder Leistungen für Menschen mit Behinderungen sei die Entwicklung eines inklusiven Sozialraums.
Im Zuge der Verhandlungen zum Landesrahmenvertrag wird derzeit darüber nachgedacht, auf welche Weise ein für die Betroffenen nahtloser Übergang (Umstellungsregelung) gestaltet werden kann, auch wenn zum 1. Januar 2020 noch nicht alle im Zusammenhang mit der Leistungstrennung stehenden Fragen restlos geklärt sein werden.