Dialog als Basis des BTHG
Die Parlamentarische Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller im Bundesministerium für Arbeit und Soziales sagte zu Beginn der Veranstaltung: „Gemeinsam haben wir es geschafft, ein Gesetz zu erarbeiten, dass mit Fug und Recht als eine der richtungsweisenden Sozialreformen der letzten Jahre bezeichnet werden kann. Und eines kann ich ganz deutlich sagen: Ohne Sie und Ihre Bereitschaft zum Dialog gäbe es das BTHG nicht. Es ist uns trotz sehr unterschiedlicher Erwartungen und Wünsche gelungen, am Tisch zu bleiben und in vielen Gesprächen Meinungen und Argumente zu einem Gesetz zu verdichten.“
Diese Bereitschaft zum Dialog und zur Auseinandersetzung mit anderen Akteuren prägte die folgenden Vorträge im Plenum. Nach einem Beitrag von Verena Bentele, der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, die bereits Erreichtes positiv hervorhob und die Bedeutung des Partizipationsprozesses unterstrich, folgten sechs Vorträge zum Umsetzungsstand des BTHG auf den Akteursebenen vom Bund bis zu den Betroffenen:
Umsetzungsstand des Gesetzes
Aus Sicht der Bundesländer identifizierte Michael Ranft (Land Brandenburg, derzeit Vorsitzland der Arbeits- und Sozialministerkonferenz) die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen, etwa im Rahmen der Regelungen des Konnexitätsprinzips, als wesentliche Herausforderung in der Umsetzung des BTHG. Dr. Uda Bastians (Deutscher Städtetag) appellierte an den Gesetzgeber, für derart komplexe Rechtsänderungen künftig auch realistische Fristen für das Inkrafttreten vorzusehen. Angesichts der vielen strittigen Fragen im Gesetzgebungsverfahren seien die Kommunen aber dankbar, dass mit den Art. 25 und 25 a BTHG eine Reihe begleitender Untersuchungen, insbesondere auch zu den finanziellen Auswirkungen des Gesetzes, erfolgen.
Antje Welke sprach für die Fachverbände für Menschen mit Behinderung und Dr. Elisabeth Fix vertrat die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege. Beide betonten übereinstimmend, dass mit dem BTHG tatsächlich eine Reihe von Verbesserungen für die Betroffenen auf den Weg gebracht worden seien. Auf Seiten aller Beteiligten gäbe es jedoch eine Menge zu lernen. Bereits jetzt zeichne sich an vielen Stellen ein Nachbesserungsbedarf ab. Für den Deutschen Behindertenrat hob Dr. Martin Danner hervor, dass die zahlreichen offenen Fragen Unsicherheiten bei anspruchsberechtigten Personen auslösen würden. In diesem Zusammenhang forderte er vor allem Transparenz und regelmäßige Informationen gegenüber den Verbänden von Menschen mit Behinderungen.
Den Auftrag des Gesetzgebers ernst nehmen
Wolfgang Eicher, Vorsitzender des 8. Senats des Bundessozialgerichts a. D., eröffnete den zweiten Veranstaltungstag mit einer juristischen Perspektive auf das BTHG. Angesichts der Komplexität der neuen Regelungen und im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes für die Betroffenen mahnte er dazu, den Auftrag des Gesetzgebers ernst zu nehmen. Auslegungs- und Ermessensspielräume, die das Gesetz den Leistungsträgern bietet, finden ihre Grenze in den Bestimmungen der UN-BRK. Es gilt in erster Linie, praktikable, wirksame und flexible Teilhabelösungen für die Betroffenen zu finden. Anschließend diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in vier interdisziplinär besetzten Fachforen.
Forum 1: Bedarfsermittlung orientiert an der ICF – was bedeutet das für die Praxis?
Was ändert sich, wenn sich die Bedarfsermittlung künftig an der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) orientieren soll? Diese Frage beantwortete zunächst Thomas Schmitt-Schäfer (transfer). Er konfrontierte die Teilnehmenden mit zehn Leitfragen, die für die Orientierung eines Bedarfsermittlungsinstruments an der ICF von zentraler Bedeutung sind. Dazu zählen unter anderem Fragen nach fördernden und hemmenden Umweltfaktoren. In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, welche zentrale Bedeutung den individuellen Interessen und Wünschen des Leistungsberechtigten zukommt. Im Anschluss stellte Dr. Dieter Schartmann (LVR) den Aufbau und die Leitideen des neuen Bedarfsermittlungsinstruments der Landschaftsverbände Rheinland (LVR) und Westfalen-Lippe (LWL) vor.
Forum 2: Teilhabe- und Gesamtplanung als Chance für Leistungen wie aus einer Hand
Die Teilnehmenden erhielten zunächst von Marc Nellen (BMAS) einen Überblick zur trägerübergreifenden Teilhabeplanung. Sowohl die Zusammenarbeit mit öffentlichen Stellen, die keine Reha-Träger sind, als auch das gestärkte Wunsch- und Wahlrecht für Betroffene erläuterte er dem Fachpublikum. Die theoretische Darstellung des Zusammenspiels zwischen Teilhabeplan und Gesamtplan ergänzte Ute Winkelmann-Bade (BASFI Hamburg) um einen Einblick in die Praxis des Hamburger Fallmanagements der Eingliederungshilfe. Neben der Kooperation der sozialhilferechtlichen, sozialpädagogischen und ärztlichen Fachdienste thematisierte sie, wie Teilhabeziele formuliert werden sollten. Dr. Michael Schubert (BAR) erläuterte den Teilnehmenden schließlich die 16 Kriterien des Teilhabeverfahrensberichts nach § 41 SGB IX-neu, zu denen von Reha-Trägern künftig Daten erfasst und ausgetauscht werden müssen.
Forum 3: Teilhabe am Arbeitsleben – Neue Möglichkeiten und Herausforderungen durch das Bundesteilhabegesetz
Welche Erfolgsfaktoren es für das Budget für Arbeit aus Sicht des Landes Rheinland-Pfalz gibt, erläuterte Matthias Rösch, Beauftragter für die Belange behinderter Menschen in Rheinland-Pfalz. Dazu zählen unter anderem ein gutes Integrationsmanagement in den Werkstätten für Menschen mit Behinderungen (WfbM) und das Auffinden geeigneter Betriebe. Dr. Fritz Baur (bag if) ging anschließend auf Inklusionsbetriebe ein, die sich insbesondere im Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich, nicht jedoch im Arbeitsbereich als andere Leistungsanbieter positionieren könnten. Einen Überblick über Chancen und Risiken aus Sicht der BAG WfbM gab abschließend Dr. Martin Kaufmann (BAG WfbM), angefangen bei neuen Möglichkeiten der Kooperation zwischen Werkstätten, anderen Leistungsanbietern und Nutzern des Budgets für Arbeit bis hin zu anstehenden vertragsrechtlichen Änderungen.
Forum 4: Trennung von Fach- und existenzsichernden Leistungen – Aktuelle Entwicklungen
Mit dem Blick der Leistungsträger auf die künftige Finanzierungssystematik des BTHG eröffnete Dirk Lewandrowski (LVR) das Forum 4. Er schilderte den Teilnehmenden anhand von zwei Modellprojekten die konkreten Herausforderungen der neuen Regelungen. Als Vertreterin der Leistungserbringer ergänzte Uta Frieske (Lebenshilfe Sachsen) Bemühungen zur Aufteilung der Leistungen in Fachleistungen, Hilfen zum Lebensunterhalt und Kosten der Unterkunft. Mit Hilfe von Rechenbeispielen aus zwei Einrichtungen verdeutlichte Frieske, wie ausdifferenziert die Kosterfassung ausfallen müsse, um sowohl bei Personal- als auch bei Sachkosten genau bestimmen zu können, zu welchem Kostentyp diese anteilig gehören.
Respektvolles und motiviertes Miteinander
Trotz hoher inhaltlicher Dichte der Vorträge und der verschiedenen Hintergründe der Teilnehmenden war die Veranstaltung vom respektvollen Umgang mit den unterschiedlichen Positionen geprägt. Nach dem ebenso partizipativen wie kontroversen Gesetzgebungsverfahren machten Referierende und Teilnehmende ihren Willen deutlich, sich nun auch gemeinsam auf den Weg zu machen und die Neuregelungen nicht nur umzusetzen, sondern den aus der UN-BRK gespeisten „Geist des BTHG“, wie es ein Teilnehmer formulierte, nicht aus den Augen zu verlieren.
Die Präsentationen der Referentinnen und Referenten, Audioaufnahmen und Zusammenfassungen u.a. der Foren finden Sie unter folgenden Links: