Regelungen für Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohte Menschen
Im Teil 1 des SGB IX wird ein neuer Behinderungsbegriff eingeführt, der sich am bio-psycho-sozialen Modell der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) orientiert. Der neue Behinderungsbegriff begreift eine funktionale Beeinträchtigung nicht mehr als Eigenschaft und Defizit einer Person, sondern betrachtet sie im Zusammenspiel mit Kontextfaktoren sowie mit den Interessen und Wünschen des betroffenen Menschen.
Durch das BTHG wurde für alle Rehabilitationsträger präzisiert, dass der Rehabilitationsbedarf unter Verwendung systematischer Arbeitsprozesse und standardisierter Arbeitsmittel, individuell und funktionsbezogen sowie in seiner Gesamtheit und nicht nur begrenzt auf die jeweiligen Leistungsgesetze zu ermitteln ist. Das bio-psycho-soziale Modell der Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterstützt diese funktionsbezogene Bedarfsermittlung. Werden Bedarfe aus verschiedenen Leistungssystemen identifiziert, kooperieren die Leistungsträger und stellen den Bedarf gemeinsam fest. Hierfür werden die Regelungen zur Zuständigkeitsklärung, zur Bedarfsermittlung, zum Teilhabeplanverfahren und zu den Erstattungsverfahren der Rehabilitationsträger untereinander geschärft und für alle Rehabilitationsträger verbindlich ausgestaltet. Unterschiede zwischen verschiedenen Rehabilitationsträgern und Bundesländern sollen so verringert und Leistungen wie aus einer Hand ermöglicht werden.
Das BTHG verbessert zudem das Informations-und Beratungsangebot für Menschen mit Behinderungen. Es verpflichtet die Rehabilitationsträger zu einer eingehenderen, an der konkreten Lebenssituation des Hilfesuchenden orientierten Beratung. Erweitert wird sie um eine ergänzende unabhängige Teilhabeberatung. Beim sogenannten Peer Counseling handelt es sich um eine kostenlose und niedrigschwellige Beratung durch andere Menschen mit Behinderungen.
Zudem werden mit dem BTHG die Voraussetzungen geschaffen, Menschen mit Behinderungen den Weg in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu ebnen. Insbesondere durch das Budget für Arbeit und „andere Leistungsanbieter“ sollen Alternativen zur Beschäftigung in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) entstehen.
Besondere Leistungen zur selbstbestimmten Lebensführung für Menschen mit Behinderungen (Eingliederungshilferecht)
Bisher waren die Leistungen der Eingliederungshilfe im SGB XII, dem Recht der Sozialhilfe geregelt. Mit dem BTHG werden sie als „Besondere Leistungen zur selbstbestimmten Lebensführung für Menschen mit Behinderungen“ in das SGB IX aufgenommen und reformiert. Die Unterstützung erwachsener Menschen mit Behinderungen wird nicht mehr an eine bestimmte Wohnform geknüpft, sondern am notwendigen individuellen Bedarf ausgerichtet sein. Der Träger der Eingliederungshilfe soll künftig auch für Menschen, die in Einrichtungen leben, lediglich die reinen (therapeutischen, pädagogischen oder sonstigen) Fachleistungen erbringen, während für die Hilfe zum Lebensunterhalt und die notwendigen Kosten der Unterkunft, wie bei Menschen ohne Behinderungen, Leistungen nach dem 3. oder 4. Kapitel des SGB XII bzw. nach dem SGB II erbracht werden.
Menschen mit Behinderungen, die in besonderen Wohnformen leben, schließen mit den Leistungserbringern künftig Verträge ab, in denen insbesondere die „Miete“ für die Überlassung des Wohnraums sowie die Fachleistungen der Eingliederungshilfe getrennt ausgewiesen sind. Als Voraussetzung dafür mussten neue Rahmenverträge auf Landesebene und Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen zwischen den Leistungsträgern und Leistungserbringern geschlossen werden.
Die Eingliederungshilfe wurde zudem um weitere Leistungen ergänzt. Menschen mit Behinderungen haben so künftig größere Auswahlmöglichkeiten unter den Einzelleistungen der Leistungserbringer. Mit den neuen Leistungsgruppen „Teilhabe an Bildung“ und „Soziale Teilhabe“ haben Menschen mit Behinderungen künftig einen Anspruch auf Assistenzleistungen und Leistungen zur unterstützten Elternschaft. Letztere werden ggf. gebraucht, um Menschen mit Behinderung mit Kind bei der Versorgung des Kindes zu unterstützen.
Zur Erhöhung der Steuerungsfähigkeit wird für die Träger der Eingliederungshilfe eine praktikable, bundesweit vergleichbare Gesamtplanung normiert, die das für alle Rehabilitationsträger verbindlich geltende Teilhabeplanverfahren ergänzt. Erbrachte Leistungen werden künftig einem Prüfungsrecht des Leistungsträgers und einer Wirkungskontrolle unterzogen. Im Eingliederungshilferecht sieht das BTHG zudem vor, dass die Ermittlung des individuellen Bedarfs durch ein Instrument erfolgt, das sich an der ICF orientiert und die Beschreibung einer nicht nur vorübergehenden Beeinträchtigung der Aktivität und Teilhabe in den neun Lebensbereichen der ICF vorzunehmen hat.
Um Anrecht auf Eingliederungshilfe zu haben, müssen Menschen mit Behinderungen künftig zudem nicht mehr mittellos sein oder bleiben. Die Einkommens- und Vermögensfreigrenzen werden schrittweise erhöht.
2017 wurde der Einkommensfreibetrag um bis zu 260 Euro monatlich und der Vermögensfreibetrag um 25.000 Euro erhöht. Zudem wurde der Schonbetrag für Barvermögen für Bezieher von SGB XII-Leistungen von 2.600 auf 5.000 Euro angehoben. Ab 2020 steigt der Vermögensfreibetrag auf rund 50.000 Euro. Partnereinkommen und -vermögen wird nicht mehr herangezogen.
Besondere Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen (Schwerbehindertenrecht)
Im Teil 3 des SGB IX wird das Schwerbehindertenrecht weiterentwickelt. Die inhaltlichen Änderungen umfassen im Wesentlichen die Stärkung des ehrenamtlichen Engagements der Schwerbehindertenvertretungen, die Verbesserung der Mitwirkungsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen in Werkstätten für behinderte Menschen, Regelungen zur Benutzung von Behindertenparkplätzen sowie die Schaffung eines Merkzeichens für taubblinde Menschen im Schwerbehindertenausweis.
Service
Arbeitshilfen und Empfehlungen
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