Teilhabe an Bildung und Hilfsmittel
Zur Teilhabe an Bildung werfen sich mir und meinen Kolleginnen noch einige Fragen auf. Aktuell häufen sich die Anfragen für die unter §112 SGB IX genannten Hilfsmittel. Vorranging geht es um PCs, Tablets, PC-Zubehör, FM Anlagen etc. Die Krankenkassen leiten vielfach an die Träger der Eingliederungshilfe weiter. Die Schulträger zucken trotz Digitalpackt mit den Schultern. Die Zuständigkeit scheint im Bezug auf Hilfsmittel, die auch im Schulunterricht zum Einsatz kommen sollen, nicht einheitlich und deutlich zu definieren.
Teilhabe an Bildung und Hilfsmittel
Nachrangigkeitsgrundsatz
Zunächst gilt der allgemeine Nachranggrundsatz des § 91 SGB IX. Insbesondere die in § 33 SGB V geregelten Hilfsmittel-Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung sind deshalb vorrangig in Anspruch zu nehmen. Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) haben generell Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, wenn sie im Einzelfall erforderlich sind,
• um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern,
• einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder
• eine Behinderung auszugleichen (§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V).
Zudem dürfen diese Hilfsmittel nicht zu den allgemeinen Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens gehören (§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V).
Insbesondere Gegenstände, die nur mittelbar die Körperfunktion ersetzen bzw. die mittelbar ihre Wirkung entfalten, gelten jedoch dann als der Leistungspflicht unterliegendes Hilfsmittel, wenn sie die Auswirkungen der Behinderung in einem Lebensbereich positiv beeinflussen, der ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Grundsätzlich zählen daher auch die Herstellung und die Sicherung der Schulfähigkeit eines Schülers bzw. der Erwerb einer elementaren Schulausbildung im Rahmen der Hilfsmittelversorgung zu den Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung. Ein behinderungsgerecht ausgestatteter PC kann deshalb – ebenso wie ein mobilerer Laptop – grundsätzlich Hilfsmittel i.S. dieser Vorschrift sein.
Die GKV leistet jedoch nichts, was über das als erforderliche Maß an Bildung zur Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht hinausgeht. Vor allem bei jüngeren Menschen dürfte in Anbetracht ihrer Persönlichkeitsentwicklung eine stark individualisierte Sicht ihrer Grundbedürfnisse geboten sein.
Die für die weiterführende schulische Bildung, die Weiterbildung und den Hochschulbesuch erforderliche Unterstützung ist dagegen in der Regel als Aufgabe der Eingliederungshilfe anzusehen, weil die hiermit verbundenen Bedarfe über den Bereich der Grundbedürfnisse hinausweisen (Luthe in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl., § 112 SGB IX (Stand: 13.11.2020), Rn. 87)
Eingliederungshilfe und Kernbereich der Schule
Leistungen der Eingliederungshilfe in Form der Hilfen zur Schulbildung nach § 112 Abs. 1 Ziff. 1 SGB IX werden zudem nur für Aufgaben gewährt, die nicht dem Kernbereich pädagogischer Arbeit zuzuordnen sind. Denn dieser Kernbereich liegt in der ausschließlichen Verantwortung des Schulträgers und muss daher von ihm gewährleistet werden. Diese ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gilt auch im neuen Recht der Eingliederungshilfe fort. Nach Auffassung des BSG ist der Kernbereich pädagogischer Arbeit eng auszulegen. Erfasst ist davon nur die Unterrichtsgestaltung (vgl. BSG, Urteil vom 21.09.2017 – Az: B 8 SO 24/15 R). Kosten, die hierfür entstehen, muss der Träger der Eingliederungshilfe dementsprechend nicht übernehmen.
Hilfsmittel können nach § 112 Abs. 1 Satz 5 SGB IX in Anspruch genommen werden, wenn dies wegen der gesundheitlichen Beeinträchtigung für die Teilhabe an Bildung erforderlich ist. Auf die Gewährung des Hilfsmittels/Gegenstandes hat der Leistungsbezieher einen Rechtsanspruch ((Luthein: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl., § 112 SGB IX (Stand:13.11.2020), Rn. 79)
Der für die Unterstützung benötigte Gegenstand bzw. das Hilfsmittel muss speziell als Kompensation einer gesundheitlichen Beeinträchtigung erforderlich sein und hierdurch muss ferner ein positiver Effekt auf die Teilhabe an Bildung zu verzeichnen sein. Nicht ausreichend ist, wenn nur eine Erleichterung allgemeiner Lebensvollzüge beim Leistungsberechtigten in Aussicht gestellt werden kann. Anhaltspunkte für die Beurteilung der geforderten Eignung und Erforderlichkeit liefert ggf. der Gesamtplan (§ 121 Abs. 4 Nr. 3SGB IX). Es muss insofern eine überwiegende Wahrscheinlichkeit bestehen, dass die Bildungsteilhabe mit dem Gegenstand bzw. dem Hilfsmittel erreicht werden kann. Diese Prognose kann grundsätzlich gerichtlich überprüft werden. Ein Beurteilungsspielraum der Verwaltung - der dann eine gerichtlichen Überprüfung nicht ermöglichen würde - wäre dagegen dann akzeptabel, wenn ein aussagekräftiger Gesamtplan (§ 121 Abs. 4 Nr. 3 SGB IX) vorliegt, dem eine fachlich korrekte und normativ ausgewogene Einschätzung des Eignungskriteriums entnommen werden kann (vgl. Luthe in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl., § 112 SGB IX (Stand: 13.11.2020), Rn. 82).
Inhalt des Gesamtplans ist maßgeblich
Maßgeblich ist daher, was im Gesamtplan bezüglich des Hilfsmittelbedarfs aufgenommen worden ist. Sollte der Bedarf an Hilfsmittel erst nach Erstellung des Gesamtplans aufgetreten sein, ist der Gesamtplan zu ergänzen bzw. zu abzuändern. Die Zuständigkeit für die Finanzierung beispielsweise eines Notebooks für eine Schülerin/einen Schüler ist somit einzelfallabhängig und kann entweder über die Schule (Kernbereich päd. Arbeit), die gesetzliche Krankenversicherung (§ 33 SGBV) oder die Eingliederungshilfe (§112 Abs. 1 Satz 5 SGB IX; Nachrangigkeit nach § 91 SGB IX) erfolgen.