Wie funktioniert die Bedarfsermittlung bei psychisch Kranken?
Psychisch Kranke können häufig ihre Wünsche nicht deutlich äußern, im Gegensatz zu anderen Behindertengruppen wie Blinden oder Körperbehinderten. Die Gutachten, die aus Gründen der Kostenerstattung defizitorientiert formuliert sind, versperren oft Zukunftsperspektiven, die vielleicht möglich wären. Auch das Prozedere ist häufig so undurchschaubar, dass selbst ein Mensch, der weniger Einschränkungen hat, damit überfordert ist. Berufsbetreuer haben auf Grund der vielen Fälle, die sie betreuen, keine Zeit, sich intensiv zu kümmern. Welche Beteiligungsmöglichkeiten haben Angehörige psychisch Kranker?
Das Gesamtplanverfahren: transparent, individuell und konsensorientiert
Das seit dem 1. Januar 2018 für die Träger der Eingliederungshilfe vorgesehene Gesamtplanverfahren nach §§ 141 ff. SGB XII (§§ 117 ff. SGB IX n.F.) sieht detaillierte Regelungen vor, die u. a. zu mehr Transparenz, Individualität und Konsensorientierung im Rahmen des Verfahrens beitragen sollen.
Ferner ist vorgesehen, dass die Bedarfsermittlung zwingend mit Instrumenten zu erfolgen hat, die an der ICF (Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit) orientiert sind. Eine besondere Bedeutung kommt dabei dem neuen, am bio-psycho-sozialen Modell der ICF orientierten Behinderungsbegriff zu, der eine funktionale Beeinträchtigung nicht mehr als Eigenschaft und Defizit einer Person betrachtet, sondern sie im Zusammenspiel mit Kontextfaktoren sowie mit den Interessen und Wünschen des betroffenen Menschen sieht. Dieser Betrachtung wird im gesamten verfahren Rechnung getragen, um zu gewährleisten, dass die Leistungen auch tatsächlich den Teilhabebedarf decken.
Angehörige können als Vertrauensperson teilnehmen
Am Gesamtplanverfahren ist gem. § 144 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII (§121 Abs. 3 Nr. 2 SGB IX n.F.) eine Vertrauensperson des Leistungsberechtigten zu beteiligen. Angehörige können also direkt am Verfahren teilnehmen, soweit der Leistungsberechtigte sie als Vertrauensperson benennt.
Erste Orientierungshilfe für die Mitarbeiter
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Sozialhilfeträger (BAGüS) hat im Februar 2018 ihre Orientierungshilfe (BAGüS 2018) für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Eingliederungshilfe veröffentlicht. Diese Orientierungshilfe hat zwar keinen normativen und rechtverbindlichen Charakter, beschreibt das durch den Gesetzgeber vorgesehene Verfahren aber gut und wird anhand der Erfahrungen der Praxis in den Jahren 2018 und 2019 weiterentwickelt.
Weitergehende Pflichten für Träger der Eingliederungshilfe ab 1. Januar 2020
Damit korrespondierend werden den Trägern der Eingliederungshilfe ab 1. Januar 2020 neue und weiterreichende Beratungs-und Unterstützungspflichten auferlegt (§ 106 SGB IX n.F.), die die rechtlichen Betreuer entlasten und es dem Betroffenen und seinen Angehörigen erleichtern, sich über Angebote zu informieren und ggf. erforderliche Anträge richtig zu stellen bzw. adäquate Beratungsangebote wahrzunehmen.
Materialien
- BAGüS (2018): Orientierungshilfe zur Gesamtplanung §§ 117 ff. SGB IX / §§ 141 ff. SGB XII (Stand: Februar 2018). Download des Dokuments im PDF-Format (PDF-Dokument)(24.10.2019).