Quantitative Bedarfsfeststellung ohne ICF-Items
Bislang war (ohne die alten Zeiten eines pauschalen Kostensatzes zu nennen) zur quantitativen Feststellung (und somit die Grundlage zur Verpreisung / Refinanzierung) zumindest in Baden-Württemberg, das HMB-Verfahrens nach Dr. Heidrun Metzler, oder als informelles Konkurrenz- und Korrekturmodel das GBM Verfahren nach Professor Werner Haisch anwendbar. Gerade im Bereich der sogenannten geistigen Behinderung war dies in Bezug auf Entwicklung von Bedürfnissen, Wünschen und Teilhabe im Sinne einer überhaupt zu entwickelnden Aneignung (lernen und entfalten) von Lebensvorstellungen ein praktikables Modell, um auch die noch zu entwickelnden Bedürfnisse und Bedarfe abzubilden.
All dies vermisse ich im „Bedarfsermittlungsinstrument BEI Baden-Württemberg“.
Der angesagte Verzicht auf die ICF Items, die diesbezüglich noch Anhaltspunkte hätte liefern können, reduziert das Bedarfsermittlungsinstrument zum „Prosaprodukt“ in der jeweiligen Güte des Schreibers. Aus meiner Sicht kann damit zumindest nicht seriös ein quantitativer Bedarf festgestellt werden. Dies wäre auch nicht im Sinne einer UN-Behindertenrechtskonvention.
Meine Frage wäre, gibt es dazu mittlerweile „seriöse Vorschläge“?
Neuer Ansatz der Bedarfsermittlungsinstrumente nach § 118 SGB IX
Das Bedarfsermittlungsinstrument nach § 118 SGB IX geht von einem grundsätzlich anderen Ansatz aus, als dies bei den bisherigen Instrumenten der Fall war. Diese sind für die „institutionellen“ Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 53 SGB XII entwickelt worden und dienten nicht vornehmlich der Bedarfsermittlung, sondern der Bildung von Gruppen mit vergleichbarem Hilfebedarf. Der Hilfebedarf wurde dabei versucht, „objektiviert“ und unabhängig von den Wünschen und Zielen der leistungsberechtigten Personen und in einer Mischung von Teilhabeleistungen und Pflegeleistungen zu erfassen.
Nach § 118 SGB IX hat „der Träger der Eingliederungshilfe (..) die Leistungen nach den Kapiteln 3 bis 6 unter Berücksichtigung der Wünsche des Leistungsberechtigten festzustellen. Die Ermittlung des individuellen Bedarfes des Leistungsberechtigten muss durch ein Instrument erfolgen, das sich an der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit orientiert. Das Instrument hat die Beschreibung einer nicht nur vorübergehenden Beeinträchtigung der Aktivitäten und Teilhabe in den folgenden Lebensbereichen vorzusehen:
1. Lernen und Wissensanwendung,
2. Allgemeine Aufgaben und Anforderungen,
3. Kommunikation,
4. Mobilität,
5. Selbstversorgung,
6. Häusliches Leben,
7. Interpersonelle Interaktionen und Beziehungen,
8. Bedeutende Lebensbereiche,
9. Gemeinschafts-, soziales und staatsbürgerliches Leben“
Dies findet sich im BEI_BW vollinhaltlich wieder. Auf die ICF-Items wurde keineswegs verzichtet. Sie finden sich in den sogenannten neun Lebensbereichen in den Dialog- und Erhebungsbögen. In dem noch zu erstellenden Manual werden auch die einzelnen Items der Komponente „Aktivitäten und Partizipation“ der ICF enthalten sein. Auf die ICF-Checkliste wurde absichtlich verzichtet, da die Gefahr des Abhakens zu groß ist und damit eben nicht die Perspektive der leistungsberechtigten Person erfasst wird. Die Wünsche und Teilhabeziele werden zu Beginn des Dialog- und Erhebungsbogen erfasst und bilden die Grundlage für die Ermittlung der Teilhabebeeinträchtigungen und des daraus resultierenden Hilfebedarfs, der in Bogen D nach Qualität und Quantität erfasst wird.
Die Leistungsfeststellung hat der Gesetzgeber von der Bedarfsermittlung getrennt. Das ist die logische Konsequenz der Unabhängigkeit der Leistungserbringung von der Wohnform. An Stelle von Leistungen in möglichst selbstbestimmten Wohnformen geht das geänderte SGB IX von Leistungen der Sozialen Teilhabe aus, die im gesamten Sozialraum der leistungsberechtigten Person erbracht werden. Im Mittelpunkt stehen die Assistenzleistungen, die ebenfalls auf der Grundlage der Komponente „Teilhabe und Partizipation“ der ICF konstruiert werden. Nach § 78 Absatz 2 SGB IX entscheiden „die Leistungsberechtigten (..) auf der Grundlage des Teilhabeplans nach § 19 über die konkrete Gestaltung der Leistungen hinsichtlich Ablauf, Ort und Zeitpunkt der Inanspruchnahme.
Der Teilhabeplan ist somit der Transfer zwischen Bedarfsermittlung und Leistungsfeststellung der Eingliederungshilfe. Als Rehabilitationsleistung hat die Eingliederungshilfe eine veränderte Funktion: „Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es, Leistungsberechtigten eine individuelle Lebensführung zu ermöglichen, die der Würde des Menschen entspricht, und die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern. Die Leistung soll sie befähigen, ihre Lebensplanung und -führung möglichst selbstbestimmt und eigenverantwortlich wahrnehmen zu können“ (§ 90 SGB IX). Als Teilhabeleistung steht die Befähigung im Vordergrund. Dazu bedarf es der Zielorientierung der leistungsberechtigten Personen anstatt der „objektiven“ Bedarfsfeststellung. Die reine Versorgung ist Aufgabe der Pflegeleistung, die von der zuständigen Pflegekasse ermittelt wird.